Was macht das Rauchen so attraktiv?
DER BLAUVERNEBELTE GEIST
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Kennen Sie das auch? Das nicht zu beherrschende Verlangen nach der nächsten Zigarette? Raucher nutzen den blauen Dunst zur Steigerung der Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, aber auch zur Beruhigung – alles zunächst einmal positive Effekte. Doch obwohl Tabakrauch die Nummer Eins unter den vermeidbaren Killern darstellt, kommt der Raucher meist nicht davon los: Nikotin hat ein höheres Suchtpotenzial als so genannte „harte“ Drogen wie Kokain oder Heroin. Und auch auf das Gehirn hat Nikotin neben positiven Kurzzeit- erhebliche negative Langzeiteffekte.
Was also macht diese Substanz mit unserem Gehirn? Nikotin ist ein Agonist des daher nach ihm benannten nikotinischen Acetylcholinrezeptors . Dabei handelt es sich um einen Rezeptor, der in Synapsen, also den Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, die Signalübertragung gewährleistet. Normalerweise wird er von dem Transmitter (Botenstoff) Acetylcholin (ACh) aktiviert, Nikotin kann als Agonist aber ebenfalls an den Rezeptor binden und eine Erregung auslösen.
nAChR sind im gesamten Nervensystem weit verbreitet, daher wirkt Nikotin auch auf so vielfältige Weise. Der Schlüssel zu den oben genannten Wirkungen liegt im mesolimbischen System, dem internen Belohnungssystem des Gehirns. Dieses wird durch Nikotin aktiviert, da nAChR auf den Neuronen der ventralen tegmentalen Area sitzen, welche bei Erregung Dopamin im frontalen Kortex (Stirnhirn) und dem Nucleus accumbens ausschütten.
Des Weiteren stimuliert Nikotin die so genannte Langzeitpotenzierung im Hippocampus, ein Mechanismus zur Verstärkung von Synapsen, der als zentral bei Lernvorgängen angesehen wird. Während der frontale Kortex ebenfalls für Gedächtnisbildung wichtig ist, spielt der Nucleus accumbens eine zentrale Rolle bei der Sucht entstehung. Kurzzeitig kann Nikotin also positive Effekte auf Lernen, Gedächtnis und Aufmerksamkeit entfalten, durch die unphysiologische Aktivierung des Belohnungssystems gerät man aber schnell in ein echtes Suchtverhalten.
Langzeitkonsumierung führt dann zu weiteren, negativen Effekten im Gehirn: Durch die Dauerstimulierung der nAChR werden diese inaktiv, sodass zur Kompensation mehr Rezeptoren gebildet werden. Wird dann Nikotin abgesetzt, sorgen die zusätzlichen nAChR zu einer Überaktivierung durch normal ausgeschüttetes ACh. Man wird nervös, gereizt, braucht die nächste Zigarette zur „Beruhigung der Nerven“. Zusätzlich führt Dauerkonsum zu einer Ausdünnung der Großhirnrinde und Schädigung der Blut-Hirn-Schranke und damit zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Gehirns insgesamt. Besser also, man probiert den blauen Dunst gar nicht erst aus – ich hoffe, so kennen Sie das auch …
ZUR PERSON
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/11 auf Seite 12.
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