Elektroden werden zur Behandlung auf der Kopfhaut aufgebracht und wirken wie eine Art Schrittmacher. © shironosov / iStock / Getty Images Plus

Depression | Pilotstudie

DEPRESSION: WECHSELSTROMBEHANDLUNG SENKT SYMPTOME

Jeder ist doch irgendwie mal schlecht gelaunt und antriebslos. Wer allerdings schon einmal unter einer richtigen Depression gelitten hat, kennt den Unterschied. Eine Behandlung mit Wechselstrom reduziert offenbar die Symptome und bringt die Hirnwellen wieder in Harmonie. Es könnte ein Ansatz für eine sanfte Behandlungsalternative zu den heute üblichen Antidepressiva sein.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Es gibt verschiedene Formen der Depression. Bei der schwersten Form, der sogenannten „Major Depression“, liegt der Schwermut so tief, dass von der Lebensqualität nichts mehr übrig ist. Mit den gängigen Antidepressiva werden nicht immer die gewünschten Erfolge erzielt. Zum einen zeigt sich die Wirkung oft erst nach mehrwöchiger Einnahme, zum anderen führen unerwünschte Nebenwirkungen gelegentlich zum Absetzen. Und bei einem Teil der Patienten wirken die Antidepressiva gar nicht.

Die sogenannte Tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von schweren Depressionen wurde in den vergangenen Jahren für den Kampf gegen die Schwermut entwickelt. Bei dieser Vorgehensweise werden dem Patienten zunächst Elektroden ins Gehirn eingepflanzt, die dann Impulse abgeben und im Anschluss wie eine Art Schrittmacher den Gemütszustand nach und nach verbessern. Allerdings handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um ein invasives Verfahren und einen doch eher drastischen Eingriff. Aus diesem Grund konnte sich diese Methode nicht durchsetzen.

In dem neuen Ansatz wurde mittels Elektroden, die äußerlich auf der Kopfhaut angebracht werden, versucht, ähnliche Effekte wie bei der Tiefen Hirnstimulation zu erzielen. Mit dem Einsatz von Gleichstrom war diese Variante bisher erfolglos. Flavio Frohlich von der University of North Carolina in Chapel Hill und sein Team haben nun eine Methode entwickelt, bei der ebenfalls eine Behandlung über Elektroden auf der Kopfhaut erfolgt, allerdings mit Wechselstrom.

Die Forscher stellten folgende Hypothese auf: Diese sogenannte transkranielle Wechselstrom-Hirnstimulation (tACS) könnte die Hirnwellen günstig beeinflussen, die bei Depressions-Patienten bekanntermaßen oft eine „Dissonanz“ aufweisen. In früheren Untersuchungen wurde bereits deutlich, dass bei depressiven Menschen die sogenannten Alpha-Oszillationen im linken präfontalen Cortex ungewöhnlich intensiv sind. Mit dem neuen Ansatz wollten die Forscher erreichen, dass die Schwingungen mit den Alpha-Schwingungen im rechten präfontalen Cortex in Einklang gebracht werden. Dadurch könnte die gewünschte Linderung der Depressions-Symptome erzielt werden.

Soviel in der Theorie. Zur Umsetzung in der Praxis wurde der Ansatz in einer Pilotstudie an 32 Probanden durchgeführt, bei denen bereits eine Depression festgestellt wurde. Vor dem Studienbeginn wurden die Symptome der Erkrankung durch einen in der Psychologie üblichen Standardtest erfasst. Da es sich um eine Doppelblind-Studie handelte, wurden weder die Forscher selbst, noch die Probanden über die Aufteilung der Gruppen informiert. Insgesamt gab es drei Gruppen. Die Kontrollgruppe erhielt einen kurzen elektronischen Stimulus, der die Empfindung zu Beginn einer „tatsächlichen“ tACS-Sitzung simulierte. Die zweite Kontrollgruppe erhielt eine 40-Hertz-tACS-Behandlung, die weit außerhalb des gewünschten Frequenzbereichs lag. Die Forscher nahmen an, dass er die Alpha-Oszillationen nicht beeinflussen würde, die zwischen 8 und 12 Hertz aufweisen. Die Experimentalgruppe hingegen erhielt die eigentliche Behandlung durch 10-Hertz-tACS-Wechselstrom. Bei allen 32 Probanden wurde an fünf aufeinanderfolgenden Tagen eine 40-minütige Behandlung durchgeführt. Über den Standardtest wurde dann nach zwei und noch einmal nach vier Wochen der depressive Zustand der Probanden erfasst.

Die Ergebnisse der Pilotstudie sind vielversprechend. Bei der Experimentalgruppe bewirkte die Behandlung tatsächlich eine Abnahme der Alpha-Oszillationen im linken präfontalen Cortex – es bildete sich eine Harmonie mit der rechten Seite aus. Wirft man einen Blick auf den Effekt auf die Depression, so ist ein deutlicher Effekt hinsichtlich der Symptome nach zwei Wochen zu erkennen. Bei 70 Prozent der Patienten hatten sich die Depressionssymptome um die Hälfte reduziert. Es gab zudem Patienten, bei denen ein solch starker Rückgang zu verzeichnen war, dass derzeit von den Forschern Fallstudien der jeweiligen Probanden erstellt werden. Leider handelt es sich allen Anschein nach nur um einen vorübergehenden Effekt, da bereits vier Wochen nach Beendigung der Behandlung die Depression wieder auf dem Ausgangsniveau lag.

Weitere Untersuchungen mit einer höheren Anzahl an Probanden ist laut den Forschern notwendig: „Um das Verfahren erstmal zu testen, handelte es sich um eine kleine Studie mit nur 32 Probanden“, so Frohlich. „Nun, da sich abzeichnet, dass das tACS-Verfahren Depressionssymptome reduzieren kann, wird es weitergehen.“ Das Forscherteam rekrutiert momentan Probanden für eine weitere Studie. „Wir hoffen, dass sich aus unseren Ergebnissen eine relativ kostengünstige und nichtinvasive Behandlungsform entwickelt, die vielen Menschen helfen kann“, erklärt der Wissenschaftler.

Nadine Hofmann,
Leitung Online-Redaktion

Quelle: www.wissenschaft.de


Originalpublikation: University of North Carolina Health Care, Translational Psychiatry,
doi: 10.1038/s41398-019-0439-0

×