Repetitorium
BETÄUBUNGSMITTEL – TEIL 1
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BtM lagern im Tresor und bei der Abgabe muss man zwei Rezeptteile bedrucken und abzeichnen lassen – eines für die Krankenkasse und eines für die Dokumentation. Werden BtM angeliefert, kommen sie separat in einem durchsichtigen Verschlussbeutel und bei der Annahme muss man sein Kürzel mit Datum auf ein mehrteiliges Formular setzen. Und trotz des ganzen Aufwands, geht dann doch alles ganz schnell: „Fünf Euro, bitte“ – und schon verlässt die Packung gemeinsam mit ihrem neuen Besitzer die Apotheke. Die Vorgänge sind Routine, in jeder öffentlichen Apotheke. Doch wozu der ganze Aufwand? Psychotrope Substanzen wie beispielsweise Haloperidol oder Sertralin unterliegen nicht diesem Prozedere.
Um das zu verstehen, muss man sich die heterogenen Substanzen der Betäubungsmittel einmal genauer ansehen. Grob gesagt handelt es sich um eine Gruppe zentral wirksamer Arzneimittel und Stoffe, die vom Staat beziehungsweise den zuständigen Bundesbehörden streng reguliert werden. Dies geschieht vor allem zum Schutz der Bevölkerung vor Missbrauch, unerwünschten Wirkungen und Abhängigkeit. Denn bekanntermaßen werden BtM auch zu illegalen Zwecken hergestellt, vertrieben und konsumiert. Der Begriff Betäubungsmittel stammt dabei aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts und beschreibt die Arzneistoffe, die gegen starke Schmerzen eingesetzt wurden – sozusagen zur Betäubung oder Anästhesie. Die englischsprachige Bezeichnung Narcotics verdeutlicht das.
Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte zunehmend die Bedeutung des Missbrauchs in den Vordergrund und eine einheitliche und strenge Gesetzgebung musste her. Seitdem versteht man Betäubungsmittel als die Stoffe oder Zubereitungen, die in Anlage I bis III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgelistet sind. Um die Gesetzgebung wird es im nächsten Teil des Repetitoriums gehen, im dritten Teil um die Abläufe während der Abgabe. Im Folgenden soll auf die wichtigsten Substanzgruppen in der Praxis näher eingegangen werden.
Opium fürs Volk Eine berühmte Volksparole, die sich an ein Zitat von Karl Marx anlehnt – also schon ganz schön alt ist. Und Opium selbst ist schon viel länger bekannt: Bereits vor 8000 Jahren wurde der Schlafmohn (Papaver somniferum L.) schon als Kulturpflanze angebaut und gegen Schmerzen oder für Rauschzustände eingesetzt, später wurden sogar Kriege wegen der Droge geführt. Im 19. Jahrhundert hatte der missbräuchliche Konsum dann seinen Höhepunkt: Opiumhöhlen waren überfüllt, weltweit Millionen Menschen abhängig. Im Dezember 1929 wurde der Missbrauch in Deutschland dann per Opiumgesetz unter Strafe gestellt.
Der an der Luft eingetrocknete Milchsaft der unreifen Samenkapseln des Schlafmohns enthält mehr als 20 Alkaloide, deren Gehalt stark schwankt. Als Hauptalkaloid gilt Morphin, wichtige Nebenalkaloide sind Noscapin (früher Narcotin genannt), Codein, Papaverin, Thebain und Narcein. Heute wird lediglich noch eingestellte Opiumtinktur (Tinctura Opii normata Ph.Eur.) als Ausgangsstoff zur Herstellung individueller Rezepturen verwendet und lediglich zur Ruhigstellung des Darms bei schwer einstellbaren Durchfällen. Missbräuchlich wird Opium hierzulande auch nicht mehr unbedingt gebraucht – man hat sich den daraus abgeleiteten (halb)synthetischen Substanzen, den Opiaten oder Opioiden, zugewandt. Im Großarabischen Raum wird jedoch noch häufig Opium zu Rauschzwecken geraucht.
Opioid-Analgetika Die Opioidrezeptoren finden sich sowohl im Zentralnervensystem als auch in der Peripherie und lassen sich in verschiedene Typen unterteilen. Die wichtigsten sind µ-, κ- und δ-Rezeptoren, daneben existieren noch einige Subtypen. Sie gehören zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, genauer zu der Unterklasse der Gi/o-Rezeptoren. Das bedeutet, dass ihre Aktivierung zu einer Hemmung der Adenylatzyklase führt. Dadurch verringert sich die Öffnungswahrscheinlichkeit präsynaptischer Calciumkanäle und es werden keine Transmitter freigesetzt – das Schmerzsignal wird nicht weitergeleitet. Dabei werden die verschiedenen Wirkungen der Opioide (siehe Kasten) der Wechselwirkung an den Rezeptortypen zugeschrieben.
So wird für Analgesie und antitussive Effekte, aber auch für Atemdepression vorrangig der µ-Rezeptor verantwortlich gemacht, ebenfalls Analgesie sowie Sedierung bewirkt die Stimulation des κ-Rezeptors und δ-Rezeptoren rufen neben Analgesie auch Dysphorie und Halluzinationen hervor. Opioid-Analgetika wirken demnach analgetisch, indem sie agonistisch an einem oder mehreren Opioid-Rezeptoren angreifen. Das Wirkprofil der einzelnen Substanzen ist daher ähnlich, aber nicht identisch. Sie lassen sich aufgrund ihrer Rezeptorkinetik, der Wirkstärke und der Wirkdauer unterscheiden. Und noch genauer, wenn man sich ihre jeweilige Bindungsaffinität an die jeweiligen Rezeptoren anschaut. So existieren reine, volle Agonisten (z. B. Morphin), gemischte Agonisten/Antagonisten (z. B. Nalbuphin), Partialagonisten (z. B. Buprenorphin) und reine Antagonisten (z. B. Naloxon).
Die klassischen Analgetika sind reine Agonisten. Reine Antagonisten wie Naloxon oder Naltrexon heben die Wirkung von Opioiden auf, indem sie mit hoher Affinität an die Opioidrezeptoren binden, aber keine Wirkung auslösen. Daher eignen sie sich bei Opioid-Vergiftungen oder als fixe Kombinationen mit agonistischen Opioiden, da hierdurch unerwünschte Wirkungen (wie Obstipation durch Hemmung peripherer Wirkungen) gemindert werden und das Missbrauchsrisiko für einen intravenösen Gebrauch sinkt (durch Hemmung zentraler Wirkungen). Nalbuphin wurde mit der Idee entwickelt, ähnliche analgetische Effekte auszulösen wie klassische Opioidanalgetika, nur ohne deren Abhängigkeitspotenzial. Der gemischte Antagonist/Agonist wirkt agonistisch am κ-Rezeptor und antagonistisch am µ-Rezeptor.
Ein ähnliches Ziel verfolgen auch Partialagonisten wie Buprenorphin. Der Arzneistoff wird zur Substitution nach Opioidmissbrauch (z. B. Heroin) eingesetzt, wirkt zwar agonistisch am µ-Rezeptor, aber lange nicht so stark wie Morphin und führt, dank eines ausgeprägten Ceiling-Effekts, trotz Dosissteigerung auch nicht annähernd zu den Effekten reiner Agonisten. Generell werden bei der Behandlung starker Schmerzen bevorzugt Retard-Präparate angewendet – vor allem in der Langzeittherapie. Der Wirkstoff flutet dadurch nicht so schnell an, was die missbräuchliche Verwendung (der „Kick“ fehlt) reduziert. Strukturell lassen sich Opioide in Morphin-Derivate (Morphin, Codein, Heroin), Dhydromorphin-Derivate (Dihydrocodein, Hydromorphon, Oxycodon), die Pethidin-Gruppe (Pethidin), die Methadon-Gruppe (Levomethadon, Piritramid), die Fentanylgruppe (Fentanyl, Alfentanil, Sufentanil, Remifentanil), und sonstige Substanzen (Nalbuphin, Buprenorphin, Tapentadol, Tilidin, Tramadol) unterscheiden.
Opioid-Missbrauch Werden Opioide dauerhaft eingenommen, sei es unter therapeutischer Aufsicht oder durch illegalen Konsum, kann es zu psychischen und physischen Abhängigkeitsphänomenen kommen. Wird es vom Arzt korrekt dosiert verschrieben und kontrolliert eingenommen, so stellen sich meistens keine Probleme ein. Schwierig wird es dann, wenn das Opioid nicht ausreichend analgetisch wirkt, also zu gering dosiert oder mit einem weniger potenten Wirkstoff eingestiegen wird. Dann besteht das Risiko der unkontrollierten Dosissteigerung (häufig selbsttätig durch den Patienten). In der Drogenszene sind die Substanzen aufgrund ihrer euphorisierenden und zentraldämpfenden Eigenschaften beliebt, Opioidabhängige gewöhnen sich recht schnell an hohe Dosen, bis zu einem Gramm Morphin täglich sind keine Seltenheit.
Schuld daran ist die Toleranzentwicklung, es müssen für die gleichen Effekte immer höhere Dosen eingesetzt werden. Das trifft jedoch nicht auf die Wirkungen Obstipation, Miosis und vor allem Atemdepression zu – sodass es in Folge von Überdosierungen zu Todesfällen kommen kann. Vergangenes Jahr kursierten vor allem Schlagzeilen über die Opioid-Problematik in den USA – von einer regelrechten Epidemie war die Rede. Die US-Gesundheitsbehörde CDC gab bekannt, dass die Einlieferungen in Krankenhäuser wegen einer Überdosis Heroin, Fentanyl oder anderer Opioide von 2016 bis 2017 um 30 Prozent gestiegen sei. Abhängige leiden unter Schlaflosigkeit, Impotenz, Tremor, Koordinationsstörungen, psychischen Störungen (Halluzinationen, Depressionen) und magern ab.
Konsumieren sie nicht weiter, zeigen sich Unruhe, Angstzustände, Frieren, Schwitzen und Depressionen als Entzugssymptomatik. Nach 24 bis 48 Stunden erreicht das Abstinenzsyndrom seinen Höhepunkt: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Dehydratation, Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks, Muskelkrämpfe und Spasmen treten auf. Nach ungefähr einer Woche klingen die Symptome ab – eine lange Zeit, die der Betroffene durchhalten muss. Am besten findet ein Entzug daher unter stationären Bedingungen statt, das Alpha-2-Sympatomimetikum Clonidin kann den Entzug erleichtern.
Substitutionsprogramme dienen vorrangig der Wiedereingliederung des Betroffenen in das soziale Leben und sollen die Beschaffungskriminalität senken. Dazu werden die Substanzen Levomethadon, Methadon-Racemat, Buprenorphin und unter bestimmten Voraussetzungen Heroin eingesetzt. Sie befriedigen die Entzugssymptomatik ohne berauschend zu wirken (Ausnahme Heroin). Bei schleichender Dosisreduktion in einer langfristigen Behandlung kann zudem die Erfolgsquote beim Entzug erhöht werden.
Erwünschte und unerwünschte Wirkungen von Opioiden
Zentrale Wirkungen:
+ Analgesie
+ Sedierung
+ Anxiolyse (angstlösend)
+ Euphorie und Dysphorie
+ Atemdepression
+ Antitussive Wirkung
+ Rigidität (Verhärtung) der Skelettmuskulatur
+ Emesis (zunächst Erregung des Brechzentrums, später oft antiemetisch)
+ Miosis (Verengung der Pupillen)
+ Antidiuretische Wirkung
Periphere Wirkungen:
+ Analgesie
+ Verzögerte Magenentleerung
+ Obstipation
+ Kontraktion im Bereich der Gallenwege
+ Harnverhalt
+ Orthostase (Blutdruckabfall)
+ Histaminfreisetzung (dadurch Hautrötung, Urtikaria, Juckreiz)
Die unerwünschten Wirkungen ergeben sich aus den zentralen und peripheren Wirkungen (Erbrechen, Obstipation, Hypotension, etc.) und aus den Reaktionen darauf (Abhängigkeit, Toleranz, Verkehrstüchtigkeit).
Partydroge, Dopingmittel und Arzneimittel Amphetamin wurde 1887 erstmals synthetisiert, seine stimulierende Wirkung jedoch erst in den 1930er Jahren genauer erforscht – man war auf der Suche nach einem Asthmamedikament. Amphetamin fand seinen Weg schließlich als Schnupfenmittel auf den freien Markt, ein paar Jahre später war auch das weitaus stärkere Metamphetamin gegen Leistungsschwäche und Lungenerkrankung erhältlich. Soldaten bekamen es während des Zweiten Weltkriegs (auch Panzerschokolade genannt) um wach zu bleiben und weniger Hunger, Schmerzen oder Durst zu empfinden. Heute wird es benutzt, um nächtelang durchzufeiern: Speed, Crystal, Ecstasy unterdrücken Müdigkeit, Durst- und Hungergefühl und steigern das Selbstbewusstsein.
Aber auch im Leistungssport greifen einige zu Amphetaminen, um länger durchzuhalten. Die Grundsubstanz alpha-Phenylethylamin ähnelt strukturell biogenen Aminen, Neurotransmittern im Zentralnervensystem und der Peripherie. Amphetamin und seine Derivate führen zur Ausschüttung von Dopamin und Noradrenalin – man zählt sie daher zu der Gruppe der Psychostimulanzien. Periphere Wirkungen führen zu erweiterten Bronchien, einem erhöhten Puls, Blutdruck- und Körpertemperaturanstieg. Daher geht mit dem missbräuchlichen Einsatz auch ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall einher. Die dauerhaft hochgehaltene Leistungsbereitschaft, vor allem bei erneuter Dosiseinnahme, um noch länger durchhalten zu können, kann dem Körper letztlich alle Energiereserve rauben – es kann zu Tremor, Nervosität, Dehydratation und schlimmstenfalls Krampfanfällen kommen.
Bei hohen Dosen können zudem Psychosen oder bleibende kognitive Defizite auftreten. Ähnlich wie Opioide verfügen Amphetamine über eine hohe Toleranzentwicklung und Abhängigkeit, es können ähnliche Entzugssymptome beobachtet werden. Doch es gibt Personengruppen, die von der Wirkung dieser sogenannten „Weckamine“ profitieren können. So sind die BtM Methylphenidat, Dexamfetamin und Lisdexamfetamin zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugelassen. Die häufig im Kindesalter beginnende hyperkinetische Störung zeichnet sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und/oder motorischer Unruhe aus, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Die Mechanismen, die diese Störung hervorrufen, sind noch nicht abschließend geklärt.
Vermutet wird ein Ungleichgewicht von Noradrenalin und vor allem Dopamin in verschiedenen Hirnarealen – in manchen ist zu viel, in manchen zu wenig. Beide Neurotransmitter werden mit dem Arbeitsgedächtnis, der Handlungsplanung und -kontrolle sowie in der Steuerung von sozial angemessenem Verhalten assoziiert. Dennoch scheint der Einsatz „aufputschender“ Substanzen bei ADHS seltsam – doch es funktioniert und wird auch paradoxe Wirkung genannt. Wahrscheinlich wird das Gleichgewicht der Neurotransmitter wiederhergestellt. Als unerwünschte Wirkungen können jedoch Angst, Tremor, Mundtrockenheit, Appetitmangel, Tachykardien und allergische Reaktionen auftreten.
Gras aus der Apotheke Cannabis hat es in die Apotheke geschafft. Seit März 2017 sind verschiedene getrocknete Blüten des Medizinalhanfs (Cannabis sativa L.) verschreibungsfähig. Der Einsatz richtet sich dabei nach der anteiligen Zusammensetzung der aktiven Substanz delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Aktuell bekommen vor allem Schmerz- und Krebspatienten die Blüten verschrieben, aber auch Menschen mit ADHS, Spastiken, Depression, Epilepsie, Darmerkrankungen oder Tourette-Syndrom. Vor der Gesetzesänderung existierte bereits Dronabinol, ein Stereoisomer von THC, als Rezeptursubstanz zur Herstellung von Dronabinolhaltigen Kapseln und Tropfen. Ebenso mehrere Fertigarzneimittel, die einen Dickextrakt aus Cannabis sativa enthalten und als Spray bei akuten Schmerzen (z.B. Durchbruchschmerzen bei einer Krebserkrankung) eingesetzt werden können.
Die Wirkungen (Euphorie, Entspannung, Analgesie, Appetitanregung, in geringem Umfang auch Immunmodulation, Einfluss auf die Motorik und das Kurzzeitgedächtnis) kommen durch Wechselwirkungen an den Cannabinoid-Rezeptoren zustande, natürliche Liganden sind Endocannabinoide. Die Rezeptoren finden sich sowohl im Zentralnervensystem als auch in der Peripherie (z.B. Knochenmark, Gebärmutter, Lunge, Pankreas). Vor allem die beiden Typen CB1 und CB2 sind für die Wirkung relevant, wobei sich CB1 vornehmlich im ZNS und CB2 in der Peripherie findet.
Es handelt sich um G-Protein (Gi/o)-Rezeptoren, die Reizweiterleitung (Schmerz, Übelkeit, die Motorik betreffende Reize) wird daher durch agonistische Wechselwirkung gehemmt. Für CBD konnte bislang keine psychoaktive Wirkung gefunden werden, wahrscheinlich wirkt es sogar regulierend auf die THC-Wirkungen. Die entkrampfenden, entzündungshemmenden, angstlösenden und antiemetischen Wirkungen der Substanz gelten als gesichert, eine antipsychotische Komponente wird aktuell erforscht.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/19 ab Seite 86.
Farina Haase, Apothekerin/Redaktion