Jungs erkranken viermal häufiger an Autismus als Mädchen. © KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus

Autismus | Medizin

AUTISMUS: JUNGS SIND HÄUFIGER BETROFFEN

Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung, rund ein bis drei Prozent der Kinder sind von dieser Entwicklungsstörung betroffen. Bei Jungs tritt dieses Krankheitsbild rund viermal häufiger auf als bei Mädchen. Deutsche Forscher könnten eine Erklärung hierfür gefunden haben.

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Menschen, die an Autismus leiden, haben große Probleme damit, soziale und emotionale Interaktionen einzugehen und zu verstehen. Zu den typischen Verhaltensauffälligkeiten gehören, dass sie Blickkontakte und Berührungen meiden und überempfindlich auf Sinnesreize reagieren. Kinder, die unter Autismus leiden, zeigen oft sich wiederholende Verhaltensmuster. Typische Symptome treten meist erstmals im Alter zwischen einem und drei Jahren auf. Bestimmte Frühzeichen wären aber auch schon bei Säuglingen mit Hilfe eines Hirnscans zu erkennen. Warum es allerdings zu dieser Entwicklungsstörung kommt, ist bislang nicht bekannt, mögliche Ursachen gibt es viele. Vorgeburtliche Umwelteinflüsse könnten beispielsweise eine Rolle spielen. Zudem gibt es eine Vielzahl von Risikogenen, die Autismus auslösen können. „Autismus kommt bei Jungen viermal häufiger vor, das Asperger-Syndrom sogar elfmal häufiger“, so Simone Berkel und ihre Kollegen vom Universitätsklinikum Heidelberg. Die Wissenschaftler haben bereits länger den Verdacht, dass ein geschlechtsspezifischer Hormoneinfluss auf bestimmte Gene hinter dieser ungleichen Verteilung der Entwicklungsstörung stecken könnte. Um ihre Spur weiter zu verfolgen, haben die Forscher eine bestimmte Gruppe von Risikogenen genauer unter die Lupe genommen, die sogenannten SHANK-Gene. Sind in diesen Abschnitten der Erbinformation Defekte vorhanden, können Autismus und andere psychische Erkrankungen eher entstehen.

Die Wissenschaftler untersuchten innerhalb ihrer Studie die Wirkung des männlichen Geschlechtshormons Testosteron auf Zellkulturen aus kindlichen Gehirntumoren, die als Modell für sich entwickelnde Nervenzellen beim Ungeborenen dienten. Die Ergebnisse machen deutlich, dass durch die Zugabe von Testosteron die SHANK-Gene überdurchschnittlich stark, nämlich um 35 Prozent, aktiviert wurden. Um diese Beobachtung zu untermauern, wurden ergänzende Untersuchungen an Mäusen durchgeführt, die diese Erkenntnisse ebenfalls bestätigten. Männliche Mäuse, die von Natur aus mehr Testosteron in Blut und Gehirn hatten, hatten wesentlich aktivere SHANK-Gene, was sich wiederum an einer vermehrten Produktion der Shank-Proteine zeigte.

Die Aktivierung der SHANK-Gene wird dadurch hervorgerufen, dass das Geschlechtshormon an spezielle Hormonrezeptoren auf der Zelloberfläche andockt. Besteht allerdings eine Blockierung des Rezeptors, werden die Risiko-Gene nicht aktiviert: „Das konnten wir bei Untersuchungen an jungen Mäusen, bei denen dieser Androgen-Rezeptor nicht gebildet wird, bestätigen: Bei ihnen wurden diese Gene deutlich schwächer aktiviert als bei Kontroll-Tieren mit intakten Rezeptoren“, erklärt Berkel. Somit wird deutlich, dass der spezifische Effekt des Geschlechtshormons Testosteron für die Aktivierung der SHANK-Risikogene verantwortlich ist.

 

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In den Augen der Wissenschaftler könnte diese Erkenntnis eine mögliche Erklärung dafür sein, warum Autismus häufiger bei Jungen als bei Mädchen auftritt: „Wir gehen davon aus, dass die größere Menge an Shank-Protein im männlichen Gehirn die „Durchschlagskraft“ von Defekten in den SHANK-Genen erhöht und daher zu einem höheren Autismus-Risiko führt“, erklärt Seniorautorin Gudrun Rappold. Testosteron als männliches Geschlechtshormon trägt somit entscheidend dazu bei, die Wirkung der Risikogene für Autismus zu verstärken. „Nun haben wir einen ersten Hinweis, warum – jedenfalls in Bezug auf eine wichtige Gruppe der zahlreichen Risiko-Gene – Jungen ein so deutlich höheres Autismus-Risiko haben als Mädchen“, so Rappold.

Nadine Hofmann,
Leitung Online-Redaktion

Quelle: www.wissenschaft.de



 Originalpublikation: Simone Berkel (Universitätsklinikum Heidelberg) et al., Frontiers in Molecular Neuroscience, doi: 10.3389/fnmol.2018.00337

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