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Verschiedene Sinne brauchen einander

AKUSTISCHE RAUMKARTE

Ich sehe was, was Du nicht hörst - wenn ein Sinn fehlt, verbessern sich oft die verbliebenen. Doch das gilt nicht in jedem Fall, es gibt auch Beeinträchtigungen.

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Kennen Sie das auch? Sie stehen an einer blindengerechten Fußgängerampel und hören das gleichmäßige Klicken, das von der Anlage ausgeht. Als diese auf grün schaltet, ändert sich das Klickgeräusch, um so auch Blinden anzuzeigen, dass sie die Straße nun sicher überqueren können.

Haben Sie in so einer Situation nicht auch schon des Öfteren das außergewöhnliche Hörvermögen bewundert, über das Blinde offensichtlich verfügen müssen, wenn sie sich anhand solcher Geräusche in ihrer Umwelt orientieren können? Tatsächlich scheint der Verlust eines unserer Sinne oft mit gesteigerten Leistungen der verbleibenden einherzugehen, wodurch das Handicap in vielen Fällen zumindest teilweise kompensiert werden kann.

Ursache hierfür ist die außerordentliche Fähigkeit des Gehirns, auf veränderte Situationen mit plastischen Reorganisationsprozessen seiner neuronalen Verbindungen zu reagieren: Führt also zum Beispiel der Ausfall eines Sinnesorgans dazu, dass dem Gehirn aus dieser Modalität weniger oder gar keine Informationen über die Umwelt mehr zur Verfügung gestellt werden, dann können andere Sinnesorgane die frei gewordenen Kapazitäten im Gehirn zumindest teilweise nutzen:

So lassen sich etwa in der Sehrinde, also dem Teil der Großhirnrinde, der normalerweise für die Verarbeitung visueller Information zuständig ist, bei Blinden Erregungen nach taktiler oder akustischer Stimulation nachweisen. Offenbar verarbeiten diese Neurone nun also die Informationen aus anderen Sinnesmodalitäten, wenn ihr Primärsinn, das Sehen, beeinträchtigt oder ganz ausgefallen ist und durch diese zusätzliche „Rechenkapazität“ können einzelne Sinnesleistungen dann im Vergleich zu Personen ohne Handicap verbessert sein.

Doch wie neueste Studien zeigen, gibt es auch den umgekehrten Fall: Für bestimmte Leistungen unserer Sinne scheint nämlich das Zusammenspiel verschiedener Modalitäten, zumindest in kritischen Perioden der Entwicklung, essenziell zu sein. So haben von Geburt an blinde Personen deutliche Defizite, die relativen räumlichen Positionen von Tönen zueinander richtig abzuschätzen.

Scheinbar benötigt das Hörsystem während seiner Reifung visuelle Informationen, um die räumliche Position von Tönen richtig berechnen zu lernen: Zuständig hierfür ist unter anderem eine Struktur im Mittelhirn, der sogenannte Colliculus superior: in ihm existieren Karten des uns umgebenden Raumes, wobei visuelle und akustische Karten übereinander liegen, sodass einer Position im Raum sowohl Töne als auch Bildinformationen zugeordnet werden können.

Da das Hör- im Gegensatz zum Sehsystem die Raumposition aus einem Vergleich der Schallereignisse an den beiden Ohren erst berechnen muss, nutzt es scheinbar die visuelle Karte für ein Feintuning. Fehlt diese wie bei blind Geborenen, so kann sich auch die akustische Raumkarte nicht korrekt, also weniger hoch aufgelöst, ausbilden. Doch meist merkt man das den Betroffenen gar nicht an – aber das kennen Sie ja auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 auf Seite 12.

 


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