© Kyoungil Jeon / www.iStockphoto.com. Teeplantage mit reifen Pflanzen.

Interview

DAS GRÜNE WUNDER?

Adipositas, Hypertonie oder Diabetes – inwieweit der Konsum von grünem Tee tatsächlich gegen Zivilisationskrankheiten hilft, erläutert Dr. Michael Boschmann, Facharzt für klinische Pharmakologe und Biochemie.

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Plakativ gefragt: Ist grüner Tee die neue Geheimwaffe gegen Übergewicht?
Grüner Tee ist sicherlich nicht „die” Geheimwaffe gegen Übergewicht und damit einher gehende Krankheiten. Aber es gibt Hinweise aus epidemiologischen Studien, dass regelmäßiger Teegenuss mit deutlich weniger Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen, aber auch verschieden Krebsarten assoziiert ist. Die Teetrinker wiesen dabei aber auch generell einen gesünderen Lebensstil auf als die untersuchten Nicht-Teetrinker. Möglicherweise hat das Trinken von grünem Tee eine deutliche präventive Funktion durch seine nachgewiesenen antioxidativen, antimikrobiellen, antiinflammatorischen, zytoprotektiven und sonstigen Eigenschaften.

Wie viele Studien haben sich bereits mit dem Thema grüner Tee und Abnehmen beschäftigt, was sind die Ergebnisse?
Zum Thema gibt es bislang nur sehr wenige Untersuchungen. Die bisherigen Studien sind hauptsächlich durch nur kleine Populationen (maximal 100 Teilnehmer), kurze Dauer (maximal drei Monate), den Einschluss von meist moderat übergewichtigen Probanden, nicht jedoch stark Adipösen, und die Verwendung von entweder nicht-standardisierten Teeaufgüssen, Grünteeextrakten (GTE) oder Kapseln mit einem hohen EGCG-Anteil durchgeführt worden.

Die Ergebnisse sind dementsprechend sehr unterschiedlich, die Studien nur begrenzt vergleichbar. So macht es beispielsweise einen großen Unterschied, ob grüner Tee/GTE

  • nur als Nahrungsergänzungsmittel bei nahezu unveränderter Ernährung,
  • während einer Reduktionsdiät oder
  • nach einer Reduktionsdiät

hinsichtlich Veränderungen im Körpergewicht und in der Körperzusammensetzung beziehungsweise in Stoffwechselleistungen untersucht wurde. Grüner Tee beziehungsweise GTE mit unveränderter Zusammensetzung der einzelnen Catechine soll zu moderaten Anstiegen des 24-Stunden-Energieumsatzes und der Fettoxidation führen, während Kapseln mit einem hohen EGCG-Gehalt wohl eher die postprandiale Fettoxidation bei nur marginalen Änderungen im Energieumsatz fördern.

Wird bereits ein Gewichtsreduktionsprogramm mit einer „Very Low Caloric Diet“ (VLCD) oder „Low Caloric Diet“ (LCD) durchgeführt, dann bringt grüner Tee beziehungsweise GTE keinen zusätzlichen Nutzen bezüglich der Reduktion von Körpergewicht beziehungsweise Fettmasse. In der Phase nach erfolgreicher Gewichtsreduktion scheint grüner Tee/GTE eine unterstützende Rolle beim Erhalt des reduzierten Körpergewichtes zu spielen. Eine regelmäßige Zufuhr von circa 300 Milligramm EGCG in Form von Tee, GTE oder EGCG-Kapseln scheint völlig ausreichend zu sein. Höhere Dosen bringen keinen größeren Effekt.

»Fünf bis sechs Tassen grüner Tee am Tag sind als unbedenklich einzustufen.«

Welche Inhaltsstoffe des Tees werden für die gewichtsreduzierende Wirkung verantwortlich gemacht? Das sind hauptsächlich die Catechine Epigallocatechingallat (EGCG), Epigallocatechin (EGC), Epicatechingallat (ECG) und Epicatechin (EC), wobei EGCG wohl das bedeutsamste und wirksamste zu sein scheint.

Liegt es nicht doch nur am Koffein?
Tee enthält auch Koffein, jedoch in deutlich geringeren Konzentrationen als EGCG. Dieses Koffein kann aber durchaus zu den stoffwechselaktivierenden Effekten von EGCG beitragen. Interessanterweise zeigen starke Kaffeetrinker (sechs bis acht Tassen pro Tag) kaum noch zusätzliche Effekte, wenn sie auch noch grünen Tee trinken. Die metabolischen Effekte (Steigerung des Energieumsatzes und der Fettoxidation) lassen sich offensichtlich nur auf ein bestimmtes Niveau heben, darüber geht nichts mehr, was auch physiologisch zu sein scheint.

Kommt EGCG ausschließlich in grünem Tee vor?
EGCG kommt hauptsächlich in grünem, deutlich weniger in schwarzem Tee vor. Oolong Tee liegt in der Mitte. Grüner Tee ist im Gegensatz zu Schwarzem nicht fermentiert. Bei der Fermentierung polymerisieren die Catechine zu einem großen Teil. Dabei entstehen Theaflavine und Thearubine, die selbst aber auch andere positive Eigenschaften besitzen.

Kochendes Wasser, zweiter Aufguss – haben die Zubereitungsmethoden Einfluss auf den Gehalt an EGCG?
Für den Gehalt an EGCG sind sowohl die eingesetzte Menge an Tee, das Volumen an kochendem Wasser sowie die Zeit des „Ziehen lassen” entscheidend. EGCG wird hauptsächlich im ersten Aufguss freigesetzt, kaum noch im zweiten. Ein Aufguss von etwa zwei Gramm Tee mit 200 Milliliter heißem (circa 70 °C), nicht kochendem Wasser und einer Ziehzeit von etwa fünf Minuten scheinen optimal.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer, Multiple Sklerose – hilft grüner Tee hier ebenfalls, was ist mittlerweile bewiesen?
eine tasse grüner tee auf einer bambusmatte stehendGrüner Tee/GTE scheinen bei Bluthochdruck günstig zu wirken. Auch bei Morbus Alzheimer gibt es vielversprechende Studienergebnisse, vorerst jedoch meist aus tierexperimentellen Untersuchungen. Dabei soll sich die Ablagerung von falsch gefalteten Proteinen im Gehirn vermindern. Die Einnahme von GTE beziehungsweise Kapseln mit hohem EGCG-Gehalt scheint auch günstige Auswirkungen bei multipler Sklerose hinsichtlich Fortschreiten und Schwere der Erkrankung zu haben. Hier kommen wohl in erster Linie die antiinflammatorischen, antioxidativen und zytoprotektiven Eigenschaften von EGCG zum Tragen. In jedem Fall soll bei Vorliegen einer neurodegenerativen Erkrankung zunächst Rücksprache mit dem Arzt genommen werden, ob eine zusätzliche Einnahme von EGCG-Präparaten von Vorteil ist oder nicht.

Profitieren nur „Kranke” von grünem Tee, wie wirkt er bei Gesunden?
Letztere profitieren in jedem Falle von den vielen präventiven Wirkungen von grünem Tee/GTE. Aber auch hier gilt: Viel hilft nicht unbedingt viel.

Welche Mengen können unbedenklich getrunken werden?
Man kann sicherlich fünf bis sechs Tassen grünen Tee am Tag trinken, das entspricht dann circa 600 Milligramm EGCG. Diese Dosis in Form von grünem Tee kann als unbedenklich angesehen werden, 300 Milligramm EGCG sind allerdings schon völlig ausreichend für positive Wirkungen auf den Stoffwechsel.

Können auch bereits Säuglinge und Kleinkinder grünen Tee trinken?
Dazu gibt es bisher keine Untersuchungen. Von der Verabreichung von anregenden Getränken, wie Tee und Kaffee, an Säuglinge und Kleinkinder sollte aber generell abgesehen werden. Hier spielen auch negative Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System eine Rolle.

Beeinflusst grüner Tee die Wirkung von Arzneimitteln?
Ja. Bei hohem Konsum kann hier durchaus eine verstärkte Wirkung von Sympathikomimetika auftreten. Das gilt noch mehr bei Einnahme von EGCG-Kapseln, die ja frei über das Internet bezogen werden können. Auch während der Behandlung von Krebserkrankungen sollten Patienten Rücksprache mit ihrem Arzt wegen möglicher Interaktionen von Chemotherapeutika und grünem Tee, Grünteeextrakten oder EGCG-Kapseln nehmen, da hier Wirkungsverluste auftreten können.

Ist grüner Tee gleich grüner Tee, auf was sollten PTA achten, wenn sie ihren Kunden das Getränk empfehlen?
Man sollte in jedem Fall auf qualitativ hochwertige Produkte zurückgreifen mit klarer Kennzeichnung des Herkunftslandes und der Güte des Tees. „Loser Tee” ist in jedem Falle gegenüber Beuteln zu bevorzugen. Es sollten auch Empfehlungen für die Zubereitung sowie die Dosis (Anzahl der Tassen pro Tag) gegeben werden. In jedem Falle sollte nach Grunderkrankungen beziehungsweise Medikationen gefragt werden, die möglicherweise mit dem grünen Tee/GTE interagieren könnten.

… oder sollten diese lieber zu Kapseln greifen?
Nicht alle Menschen mögen grünen Tee, wollen aber durchaus von seinen Benefits profitieren. Für diese Personen können Kapseln mit GTE durchaus eine Alternative sein. Die Anzahl der einzunehmenden Kapseln sollte sich nach dem jeweiligen EGCG-Gehalt richten. Die Einnahme von täglich 300 Milligramm EGCG (zwei Mal 150 Milligramm) scheint nach dem gegenwärtigen Wissensstand optimal und sicher (keine Leberschäden). Bei höheren Dosen sind durchaus in Rücksprache mit dem Hausarzt die Leberwerte (Aminotransferasen) zu kontrollieren. Falls die Kapseln zur Gewichtsreduktion gewünscht sind, dann in jedem Falle nach dem Kaffeegenuss fragen, denn bei bereits hohem täglichen Kaffeekonsum ist die zusätzliche Einnahme von EGCG-Kapseln meist wirkungslos.

VITA
Dr. med. Michael Boschmann, Jahrgang 1959, ist Facharzt für Klinische Pharmakologie und für Biochemie. Nach Stationen in Potsdam-Rehbrücke, Berlin-Zehlendorf sowie Rockefeller University, New York, war er zunächst von 2002 bis 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Franz-Volhard-Centrum für Klinische Forschung der Universitätsmedizin Berlin, Charité Campus Berlin-Buch, tätig.

Seit 2008 ist er Projektleiter am Franz-Volhard-Centrum für Klinische Forschung des Experimental & Clinical Research Centers der Charité Universitätsmedizin Berlin, wo er sich mit Fragen zum Stoffwechsel beschäftigt.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/12 ab Seite 78.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion

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