Gut beraten zu Kopfschmerz und Migräne
22 Minuten
- 1Spannungskopfschmerz
- 2Migräne
- 3Kopfschmerz-Diagnose und -Leitlinie
- 4Analgetika & NSAR
- 5Triptane gegen Migräne
- 6Migräne- und Spannungskopfschmerz vorbeugen
- 7Lernerfolgskontrolle
01. März 2024
Auch die Migräne gehört zu den häufigsten Kopfschmerzerkrankungen in Deutschland. Hier schwanken die Angaben zur Prävalenz. Laut Angaben des Kopfschmerzexperten leiden circa acht Prozent der Bevölkerung an Migräne.
- Die meisten Migränepatienten sind zwischen 35 und 45 Jahre alt.
- In dieser Lebensphase leiden Frauen dreimal häufiger an Migräne als Männer.
- Ab dem 50. Lebensjahr ist der Migräneschmerz meist weniger ausgeprägt und tritt zudem seltener auf. Aber auch Kinder und Jugendliche können bereits betroffen sein, wobei die Migräne bei circa 40 bis 50 Prozent der Betroffenen im Erwachsenenalter weiterbesteht.
Im Gegensatz zum Spannungskopfschmerz ist eine Migräne häufig nur einseitig, kann aber auf die andere Schädelhälfte wechseln. Der Schmerz hat eine mittlere bis hohe Intensität und stellt sich pulsierend-pochend dar. Oft nimmt er schnell an Intensität zu, vor allem bei körperlicher Aktivität wie Treppensteigen oder Bücken. Alltagsaktivitäten sind daher während einer Migräneattacke nur erschwert machbar bis unmöglich.
Charakteristischerweise geht die Kopfschmerzphase mit Begleiterscheinungen wie Übelkeit und/oder Erbrechen einher. Auch werden sie fast immer von einer Lärm-, Licht- und Geruchsempfindlichkeit begleitet. In der Regel hält eine Migräneattacke 4 bis 72 Stunden an, selten dauert sie länger. Typischerweise ziehen sich Migränepatienten während einer Attacke zurück und legen sich hin. Dabei bevorzugen sie in der Regel ruhige, dunkle Räume. Zudem lindert Schlaf bei vielen den Schmerz.
Mit und ohne Aura
Grundsätzlich lassen sich bei der Migräne zwei Haupttypen unterscheiden. Bei der selteneren Migräneform (10 bis 15 Prozent) sind vor der eigentlichen Kopfschmerzattacke neurologische Funktionsstörungen vorgeschaltet. Zu diesen als Aura bezeichneten Symptomen zählen Gesichtsfelddefekte, Sehstörungen mit Flimmersehen (Wahrnehmung gezackter Figuren (Flimmerskotom)), halbseitige Sensibilitätsstörungen oder eine Sprachstörung.
Typischerweise entwickeln sich diese Symptome langsam über Minuten und bilden sich binnen einer Stunde wieder zurück. In einigen Fällen fehlt die sich normalerweise anschließende Kopfschmerzphase auch völlig. Bei der häufigeren Form, der Migräne ohne Aura (85 bis 90 Prozent), stellen sich Kopfschmerzen ohne neurologische Symptome ein.
Symptome einer Migräne-Aura
+ Gesichtsfelddefekte
+ Sehstörungen mit Flimmersehen, etwa das Wahrnehmen gezackter Figuren (Flimmerskotom)
+ halbseitige Sensibilitätsstörungen
+ Sprachstörungen
Kindliche Migräne
Bei Kindern und Jugendlichen verlaufen die Attacken anders als bei Erwachsenen. Charakteristischerweise dauern sie meist nicht so lange an. In der Regel erstrecken sie sich über etwa vier bis sechs Stunden, selten länger als 48 Stunden. Vor allem bei kleinen Kindern machen sie sich meist nur für 30 bis 120 Minuten bemerkbar. Typisch ist zudem, dass sich Kinder mit Beginn einer Migräneattacke unaufgefordert zum Schlafen hinlegen und danach meist weitgehend beschwerdefrei wieder aufwachen.
Der Migräneschmerz ist in der Regel – wie bei Erwachsenen – von mittlerer bis schwerer Intensität und hat einen pulsierenden Charakter, bisweilen wird er als drückend wahrgenommen. Allerdings ist er bei Kindern meist beidseitig lokalisiert und nicht wie bei Erwachsenen auf eine Kopfseite beschränkt. Statt der Schmerzen können – vor allem bei kleinen Kindern – Übelkeit und Erbrechen als Symptome im Vordergrund stehen. Manchmal fehlen die Schmerzen im Kopf sogar ganz.
Eine Licht- und Lärmempfindlichkeit ist möglich, selten reagieren Kinder auf beides. Nur vereinzelt stellt sich vor dem eigentlich Migräneanfall eine Aura ein. Dann berichten Kinder am häufigsten über visuelle Phänomene wie Augenflimmern. Bei manchen beherrscht Schwindel das Geschehen. Auch sind Wahrnehmungsveränderungen wie das Alice-im-Wunderland-Syndrom möglich. Sensibilitäts- oder Sprachstörungen treten hingegen selten auf.
Alice im Wunderland
Beim Alice-im-Wunderland-Syndrom nehmen Betroffene – wie die Heldin in der gleichnamigen Geschichte – Gegenstände oder Teile des eigenen Körpers stark verkleinert (Mikropsie) oder vergrößert (Makropsie) wahr. Das Syndrom begleitet meist Migräne- oder epileptische Anfälle, kann aber auch andere Ursachen haben.
Leiden Kinder attackenweise unter Bauchschmerzen, kann eine besondere Form der Migräne vorliegen. Sie wird als abdominelle Migräne oder Migräne des Bauchraums bezeichnet und gilt als Vorläufer einer Migräne mit Kopfschmerzen, die sich in späteren Jahren (oft nach der Pubertät) einstellt. Dabei klagen vorzugsweise Kinder im Grundschulalter über plötzliche Bauchschmerzen, die mehrere Stunden anhalten.
Die Schmerzen (vorzugsweise rund um den Nabel) sind so stark, dass sich die Kinder hinlegen müssen. Begleitet werden sie von Appetitlosigkeit, Übelkeit/und oder Erbrechen und auffälliger Blässe. Kopfschmerzen fehlen typischerweise. Ebenso können wiederkehrende Episoden von plötzlichem Erbrechen (zyklisches Erbrechen) oder Gleichgewichtsstörungen mit und ohne Erbrechen (Schwindelanfälle) Zeichen für eine Migräne ohne Kopfschmerzen sein.
Komplexe Pathogenese
Oft tritt die Migräne in Familien gehäuft auf, was auf eine genetische Komponente der Erkrankung hinweist. Inzwischen sind 47 Genvarianten bekannt, die eine Anfälligkeit für eine Migräne erhöhen können. Veränderte Gene führen dazu, dass das Nervensystem der Betroffenen leichter erregbar ist, also eine Überempfindlichkeit des Nervensystems zugrunde liegt. Zu einer Migräneattacke kommt es aber erst, wenn bestimmte Faktoren hinzukommen.
Zahlreiche solcher Triggerfaktoren können Migräneattacken auslösen:
- Neben hormonellen Schwankungen,
- unregelmäßigem Schlaf oder
- Umweltfaktoren wie grellem Licht, Lärm oder ein Wetterumschwung kommen vor allem
- Stress beziehungsweise
- Entlastungssituationen nach Stress und
- Reizüberflutung in Frage.
Ob bestimmte Nahrungsmittel wie Rotwein, Käse oder Schokolade eine Migräneattacke auslösen, ist umstritten. Vielmehr geht man heute davon aus, dass ihr Genuss durch einen vorgeschalteten Heißhunger bedingt wird. Dass er also als ein Ankündigungsphänomen zu verstehen ist und bereits Bestandteil der Migräneattacke ist.
Während der Migräneattacke werden Botenstoffe freigesetzt, die zur Erweiterung (Vasodilatation) von Hirngefäßen führen und örtlich begrenzte Entzündungsreaktionen auslösen (neurogene Entzündung). Dies hat eine Überempfindlichkeit von Schmerzrezeptoren in der Hirnhaut zur Folge, wodurch die Betroffenen jeden Pulsschlag der Blutgefäße als pochenden Schmerz wahrnehmen. Eine besondere Rolle spielt dabei das aus den Enden des Trigeminusnervs vermehrt ausgeschüttete Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP).