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Phytotherapie
PTA-Fortbildung

Geballte Pflanzenkraft

Phytopharmaka sind nicht nur traditionell beliebt, sie sind auch sehr effektiv und stellen häufig eine wirkungsvolle Therapiealternative oder Ergänzung zu synthetischen Arzneimitteln dar.

17 Minuten

Pflanzliche Präparate haben vor allem bei der Therapie leichter Gesundheitsstörungen einen hohen Stellenwert. Sie werden im Rahmen der Selbstmedikation von den Kunden zunehmend nachgefragt. Allerdings ist das Angebot an pflanzlichen Zubereitungen sehr heterogen und selbst für PTA und Apotheker nicht immer leicht zu durchschauen. Bei den in der Apotheke verfügbaren Mitteln pflanzlichen Ursprungs existieren große Unterschiede. Nicht alle Präparate aus der Apotheke sind automatisch Arzneimittel und damit als qualitativ hochwertig einzustufen. Zudem tummeln sich auch Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt, deren Qualität oftmals schwer zu beurteilen ist. Im Bereich der Phytotherapie ist also Ihre Beratung gefragt.

LERNZIELE
Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung
+wie sich die Phytotherapie im Laufe der Geschichte zu einer Therapierichtung entwickelt hat, die wissenschaftlichen Kriterien standhält,
+ob und wie pflanzliche Arzneimittel zugelassen werden,
+wie sich pflanzliche Arzneimittel von Nahrungsergänzungsmitteln unterscheiden,
+welchen Einfluss die Extraktherstellung auf das Endprodukt hat,
+was es mit den Spezialextrakten auf sich hat und
+welche Heilpflanzen beziehungsweise Pflanzenkombinationen in der Apotheke von besonderer Bedeutung sind.

Ein Blick in die Vergangenheit
Die Phytotherapie, also das Heilen mit Pflanzen, ist eine der ältesten Therapieformen. Schon vor mehr als 6000 Jahren haben die Sumerer (4000 bis 2000 v. Chr.) Pflanzenauszüge hergestellt, um sie zur Linderung und Heilung von Krankheiten einzusetzen. Noch heute existieren Therapierichtungen, die vor 3000 Jahren ihren Ursprung in Hochkulturen in China und Indien gefunden haben: Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und die Ayurvedische Medizin. Auch griechische und römische Ärzte wie Hippokrates (um 460 bis ca. 370 v. Chr.), Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) oder Galen (2. Jh. n. Chr.) haben Pflanzen gegen verschiedene Krankheiten genutzt. Beschreibungen verwendeter Heilpflanzen mit genauen Anweisungen für ihre Zubereitung waren viel später noch Grundlage für Heilkundige des Mittelalters. Das Mittelalter war auch die Zeit, zu der sich die Klostermedizin entwickelte. Berühmte Kräuterbücher wie beispielsweise das „Lorscher Arzneibuch“, das zur Zeit Karls des Großen (747 bis 814) um 785 entstand, oder die Werke „Physica“ oder „de Plantis“ von Hildegard von Bingen (1098 bis 1179), enthielten Pflanzenbeschreibungen und Rezeptursammlungen, die Grundlage für die damalige Heilkunde waren. Nonnen und Mönche kümmerten sich um Kranke und legten Kräutergärten an, in denen wichtige Heilkräuter wuchsen. Aufbewahrt wurden die Drogen im Kloster in speziellen Räumen, in der apotheca. Eine systematische Auflistung von Arzneipflanzen findet sich im „Herbarium des Theophrastus“. In diesem Lehrwerk gibt Paracelsus (1493 bis 1541) als einer der berühmtesten Ärzte des 16. Jahrhunderts genaue Lagerungs- und Anwendungsvorschriften heimischer Heilpflanzen. Zudem versuchte er bereits, durch Destillation die unbrauchbaren Bestandteile von den wirksamen Inhaltsstoffen, den Arcana („Wunder- und Universalheilmittel“), abzutrennen. Weitere ebenso berühmte Kräuterbücher, in denen sich genaue Pflanzenbeschreibungen, detaillierte Abbildungen und erste Versuche der Taxonomie befinden, sind beispielsweise das „Kreutterbuch“ von Pietro Andrea Mattioli (1500 bis 1577) oder das „New Kreütterbuch“ (1546) von Hieronymus Bock (1498 bis 1554).

Kräuter-Medizin
Während lange Zeit das Heilen mit Pflanzen eine Domäne des Erfahrungswissens blieb, begann man im 18. Jahrhundert über das traditionelle Wissen hinaus die Wirksamkeit von Heilpflanzen wissenschaftlich zu erforschen. Dabei spielte mit Entwicklung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert die Suche nach dem Wirkstoff eine zentrale Rolle. Man entdeckte in Pflanzen wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe, die anschließend herausgelöst und später teilweise noch chemisch abgewandelt wurden. Berühmtes Beispiel ist vor über zweihundert Jahren die Entdeckung von Morphin als den bedeutendsten Inhaltsstoff des Opiums: 1806 isolierte der Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner das Alkaloid aus dem Milchsaft des Schlafmohns als ersten Naturstoff in reiner Form. Auch die Gewinnung der Salicylsäure aus dem Salicin der Weidenrinde durch den Italiener Raffaele Pira hat 1838 Geschichte geschrieben, desgleichen ihre chemische Synthese durch den deutschen Chemiker Kolbe im Jahre 1859 sowie wenig später 1897 deren partialsynthetische Veränderung durch die Chemiker Arthur Eichengrün und Felix Hoffmann zu ihrem Derivat, der Acetylsalicylsäure. Mit der Produktion chemischer Arzneistoffe rückte das Heilen mit Pflanzen zunächst etwas in den Hintergrund des Interesses. Man hoffte nicht nur, nebenwirkungsärmere Arzneimittel synthetisch herstellen zu können, zudem sollten diese besonders effektiv sein und neue Indikationen erschließen. Bei bestimmten Anwendungsgebieten behielten pflanzliche Präparate aber weiterhin ihre Berechtigung. Seit geraumer Zeit nimmt ihre Bedeutung sogar wieder zu. Pflanzliche Zubereitungen sind in der Bevölkerung äußerst beliebt und ihre Akzeptanz ist steigend. Vor allem fragen Kunden in der Apotheke nach pflanzlichen Alternativen bei Erkältungskrankheiten, Magen-​Darm-Beschwerden oder Schlaflosigkeit. Aber auch bei anderen Indikationen, die in der Selbstmedikation eine große Rolle spielen, werden Pflanzenpräparate zunehmend bevorzugt, wie repräsentative Studien des Instituts für Demoskopie in Allensbach immer wieder bestätigen.

Evidenzbasierte Phytotherapie
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden Arzneipflanzen und ihre Wirkungsweise unter wissenschaftlichen Kriterien systematisch untersucht und als Arzneimittel vertrieben. Pflanzliche Arzneimittel werden als Phytopharmaka bezeichnet. Sie verwenden Wirkstoffe, die aus Arzneipflanzen, deren Teilen (z. B. Blätter, Blüten, Wurzeln) oder Bestandteilen (z. B. ätherische Öle) sowie deren Zubereitungen (z. B. Trockenextrakte, Tinkturen, Presssäfte) bestehen. Es existieren inzwischen Hunderte Phytopharmaka, die im Rahmen der Phytotherapie in diversen Darreichungsformen (z. B. Tropfen, Tabletten, Dragees, Kapseln, Tee) Verwendung finden. Charakteristikum moderner Phytopharmaka ist ihr naturwissenschaftliches Wirkprinzip, das auf der pharmakologischen Wirkung bestimmter Inhaltsstoffe beruht. Homöopathische oder anthroposophische Arzneimittel zählen hingegen nicht zu den Phytopharmaka. Obwohl auch sie pflanzlicher Natur sein können, liegen ihrer Wirkung andere Prinzipien zugrunde (Ähnlichkeitsgesetz beziehungsweise Weltbild Rudolf Steiners). Auch aus Pflanzenextrakten isolierte Einzelstoffe wie beispielsweise Morphin oder Digitoxin sind keine Phytopharmaka, da ihnen wichtige Begleitstoffe, die für die Wirksamkeit mitverantwortlich sind, fehlen. Wichtiges Kriterium für Phytopharmaka ist zudem ihre Zweckbestimmung. Pflanzliche Arzneimittel dienen wie chemischsynthetische Arzneimittel der Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhafter Beschwerden. Dabei soll die medizinische Behandlung evidenzbasiert, also auf Beweismaterial gestützt sein. Das bedeutet, dass eine bestimmte Therapie oder ein bestimmtes Phytopharmakon nur zum Einsatz kommen soll, wenn zuvor seine Wirksamkeit in klinischen Studien nachgewiesen wurde. Dementsprechend versteht man heute unter einer modernen Phytotherapie eine naturwissenschaftlich überprüf- und begründbare Behandlungsmethode, bei der die Behandlung von Krankheiten mit pflanzlichen Arzneimitteln unter wissenschaftlichen evidenzbasierten Kriterien erfolgt. Damit liegt der Phytotherapie das gleiche naturwissenschaftliche Verständnis zugrunde, das die Schulmedizin bei der Verwendung von chemisch-synthetischen Arzneimitteln auszeichnet.

EXTRAKTE IN LEITLINIEN
Einige Phytopharmaka haben es inzwischen geschafft, in Therapieleitlinien von Fachgesellschaften aufgenommen zu werden. Beispielsweise werden Spezialextrakte in Leitlinien zur Behandlung der Rhinosinusitis (z. B. BNO 1016, ein patentierter Extrakt aus Ampfer, gelbem Enzian, Holunder, Eisenkraut, Schlüsselblume), von Demenzen (Ginkgo biloba EGb 761) oder des Reizdarm-Syndroms (z. B. STW 5, eine Kombination aus Extrakten von neun Heilpflanzen: Bittere Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Mariendistelfrüchte, Schöllkraut, Pfefferminzblätter und Süßholzwurzel) entweder zur alleinigen Anwendung oder in Ergänzung zu chemisch definierten Arzneimitteln aufgeführt. Allerdings werden selten konkrete Präparate, sondern meist die Arzneipflanzen und/oder die Spezialextrakte genannt.

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