Geballte Pflanzenkraft
17 Minuten
- 1Entwicklung der Phytotherapie
- 2Zulassungsverfahren
- 3Qualitätssicherung
- 4Extraktgewinnung
- 5Beratungsthemen
- 6Fortbildung
01. September 2020
HMPC-Monographien
Das zur Beurteilung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit benötigte wissenschaftliche Erkenntnismaterial kann in der Regel weniger aus den Monographien der Arzneibücher (Europäisches Arzneibuch, Deutsches Arzneibuch, Arzneibücher anderer Mitgliedstaaten) gewonnen werden. Vielmehr sind verschiedene andere Monographie- Sammlungen als Entscheidungsgrundlage notwendig. Lange stellten in Deutschland die Monographien der Kommission E den aktuellen Kenntnisstand zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Phytopharmaka dar. Da diese Abhandlungen aber seit 1994 nicht mehr aktualisiert wurden, spiegeln sie heute nicht mehr den offiziellen Standard wieder. Stattdessen haben sich inzwischen die seit 2004 veröffentlichten Monographien des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (Herbal Medicinal Products Committee/HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency/EMA) etabliert. Die HMPC-Monographien sind zwar in Deutschland nicht rechtsverbindlich, stellen aber dennoch für die nationalen Zulassungsbehörden eine rechtlich relevante Empfehlung dar, von der nur mit besonderer Begründung abgewichen werden sollte. Die HMPC-EMA-Experten-Kommission teilt Drogen und Extrakte in die Kategorien „well-established use“ und „traditional use“ ein. Für die als „well-established use“ gewerteten Drogen und ihre Zubereitungen kann der Hersteller eines entsprechendes Präparats auf Basis der veröffentlichten Daten eine Zulassung beantragen. Die als „traditional-use“ beurteilten Drogen beziehungsweise -extrakte können lediglich registriert werden. Beispielsweise hat das HMPC die Anwendung von Ginkgoblättern in Form von Trockenextrakten (DEV 35-67:1, Auszugsmittel Aceton 60 Prozent) zur Verbesserung altersbedingter kognitiver Einschränkungen und zur Verbesserung der Lebensqualität als „well-established use“ akzeptiert. Ginkgoblätter in Pulverform wurden hingegen als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft („traditional-use“).
ESCOP-Monographien
Daneben haben die Monographien der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) einen hohen Stellenwert. Die Monographien beziehen sich auf pflanzliche Arzneidrogen, die im Europäischen Arzneibuch definiert sind. Sie enthalten detaillierte Angaben zu den verwendeten Drogen und deren Inhaltsstoffen und stellen im Detail die Ergebnisse aus den vorliegenden pharmakologischen, kinetischen, toxikologischen und klinischen Studien dar. Darauf beruhend werden Angaben zur Anwendung und damit zu Anwendungsgebieten, Dosierungen, Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen gemacht.
WHO-Monographien
Auch die Monographien der World Health Organization (WHO) stellen wissenschaftliche Informationen zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von vielfach angewendeten Arzneipflanzen zur Verfügung. Sie sollen den Mitgliedsstaaten als Modell zur Erarbeitung weiterer Monographien dienen und den Informationsaustausch vereinfachen. Sie stellen den aktuellen Kenntnisstand dar, es erfolgt aber nur eine begrenzte und keine kritische Bewertung. Diese soll nach dem Verständnis der WHO auf nationaler Ebene erfolgen. Auch hier finden sich Angaben zu den pharmakologischen und medizinischen Eigenschaften inklusive Angaben zur Dosierung, Kontraindikationen und Nebenwirkungen. Die Angabe der Anwendungsgebiete erfolgt dreistufig: klinische Anwendung belegt durch klinische Daten, Anwendung beschrieben in Arzneibüchern und in traditionellen Medizinsystemen und Anwendung in der Volksheilkunde ohne experimentelle oder klinische Daten.
Gleichbleibende Qualität gewünscht
Phytopharmaka unterscheiden sich aber nicht nur im Zulassungsstatus. Sie differieren auch in ihren Rohstoffen und den Produktionsbedingungen. Beides kann einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit und Qualität des pflanzlichen Arzneimittels haben. Angefangen beim Anbau der Arzneipflanze über das Herstellungsverfahren bis hin zu der daraus erhaltenen Zubereitung existieren große Unterschiede. So nehmen beispielsweise unterschiedliche Standortbedingungen der Pflanzen (z. B. Bodenqualität, Temperatur- und Lichtverhältnisse), der verwendete Pflanzenteil (z. B. Blätter, Blüten, Wurzeln), der Zeitpunkt der Ernte oder die Weiterverarbeitung (z. B. Zerkleinerungsgrad, Lagerung, Herstellungsverfahren, Extraktionsmittel) einen großen Einfluss auf das Spektrum und den Gehalt der Inhaltsstoffe und damit auf die Qualität und Wirksamkeit der Zubereitung. Um möglichst eine gleichbleibende Zusammensetzung des Phytopharmakons zu gewährleisten, standardisieren die Hersteller sowohl das Material als auch das Verarbeitungsverfahren. Damit erfolgt nicht nur die Herstellung unter genau definierten Bedingungen, auch die Arzneipflanzen müssen festgelegte Kriterien erfüllen. Zunehmend kommen dafür pflanzliche Rohstoffe aus kontrolliertem Anbau zum Einsatz. Einige züchten sogar eigenes Saatgut, um Sorten mit einem besonders hohen und konstanten Gehalt an wirksamen Inhaltsstoffen (und mit wenig unerwünschten Begleitstoffen) zu erhalten. Zum Ausgleich von Schwankungen werden zudem auch Ernten aus verschiedenen Anbaugebieten und Jahrgängen gemischt.