Geballte Pflanzenkraft
17 Minuten
- 1Entwicklung der Phytotherapie
- 2Zulassungsverfahren
- 3Qualitätssicherung
- 4Extraktgewinnung
- 5Beratungsthemen
- 6Fortbildung
01. September 2020
Nicht grundsätzlich nebenwirkungsfrei
Phytopharmaka werden von den Kunden nicht zuletzt wegen ihrer guten Verträglichkeit geschätzt. Allerdings sind auch bei pflanzlichen Arzneimitteln Neben- und Wechselwirkungen möglich. Beispielsweise wurden mögliche Interaktionen von Johanniskrautpräparaten mit Ovulationshemmern aufgrund einer Verstärkung der Aktivität des CYP-Systems festgestellt, Anthrachinondrogen wie Faulbaumrinde oder Sennesblätter können durch Kaliumverluste die Wirkung von Herzglykosiden erhöhen und bei Extrakten der Kapland-Pelargonie ist eine verstärkte Wirkung gerinnungshemmender Medikamente vom Cumarintyp wie Phenprocoumon und Warfarin bei gleichzeitiger Einnahme nicht auszuschließen. Andere unerwünschte Wirkungen führten in der Vergangenheit dazu, dass Phytopharmaka aus Sicherheitsgründen mittlerweile nicht mehr medizinisch verwendet werden dürfen. Berühmtes Beispiel sind Präparate mit Pflanzen, die Pyrrolizidinalkaloide enthalten (z. B. in Huflattich) und bei innerlicher Anwendung leberschädigende und krebsauslösende Wirkungen aufweisen. Auch das möglicherweise hepatotoxische Potenzial von Kava-Kava hat dazu geführt, dass Kava-Kava-haltige Präparate vom Markt genommen wurden. Bei anderen Präparaten (z. B. mit der Kapland-Pelargonie oder mit Schöll- kraut) mussten lediglich die Gebrauchs- und Fachinformationen um den Hinweis ergänzt werden, dass Fälle von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Einnahme aufgetreten sind. Zudem gibt es pflanzliche Zubereitungen, die ein hohes allergenes Potenzial aufweisen (z. B. Korbblütler, Teebaumöl) oder die nicht für die Anwendung bei bestimmten Altersgruppen geeignet sind. So sind beispielsweise Erkältungssalben mit ätherischen Ölen wie Menthol bei Säuglingen und Kleinkindern kontraindiziert, da sie lebensgefährliche Krämpfe der Luftwege auslösen können.
Heilpflanzen der Phytotherapie
Die Phytotherapie verfügt über ein breites Einsatzgebiet. Vor allem fragen Kunden nach pflanzlichen Mitteln gegen Erkältungsbeschwerden wie Husten und Schnupfen/Sinusitis, Magen-Darm-Beschwerden und Schlaflosigkeit – so die Ergebnisse von Bevölkerungsumfragen. Beispielhaft werden daher bewährte Arzneipflanzen sowie evidenzbasierte Phytopharmaka aus diesen Bereichen aufgeführt.
Schlafstörungen
Baldrianwurzel, Hopfenzapfen und Melissenblätter gehören zu den bekanntesten Arzneipflanzen, die sich bei Einschlafstörungen großer Beliebtheit erfreuen. Sie haben eine direkte schlaffördernde Wirkung, können aber auch bei Unruhezuständen tagsüber eingesetzt werden. Während Baldrian sowohl zur Behandlung von Schlafstörungen als auch als Beruhigungsmittel als Monopräparat zur Verfügung steht, sind Hopfen und Melisse vor allem bewährte Kombinationspartner. Die Kombination aus Baldrian und Hopfen ist beispielsweise in Form eines Spezialextraktes als pflanzliches Arzneimittel zugelassen. Andere Phytopharmaka gegen Schlafstörungen enthalten standardisierte Lavendelblüten-, Johanniskraut- oder Passionsblumenextrakte. Sie wirken vor allem bei nervöser Unruhe entspannend und verhelfen auf diese Weise zu einem besseren Schlaf. Dabei zeichnet sich Johanniskraut durch seine antidepressive Wirkkomponente aus. Von Lavendel profitieren insbesondere Menschen mit Schlafstörungen, denen Angststörungen und innere Unruhe zugrunde liegen.
Erkältungskrankheiten
Bei Infektionen der oberen Atemwege, wie Schnupfen oder Sinusitis, sind pflanzliche Arzneimittel eine gute Wahl. Sie greifen ins Entzündungsgeschehen ein und verflüssigen zähen Schleim, der dann abtransportiert werden kann. Eine Vielzahl an Fertigarzneimitteln auf Basis definierter Pflanzenextrakte steht zur Auswahl. Dabei haben sich sowohl Monopräparate (z. B. Eukalyptusöl) als auch Kombinationen aus speziellen Destillationsgemischen (z. B. Destillat aus Eukalyptus-, Süßorangen-, Myrten- und Zitronenöl) sowie verschiedenen Pflanzenextrakten (z. B. fixe Kombination aus Enzianwurzel, Eisenkraut, Holunderblüten, Sauerampferkraut und Schlüsselblumenblüten) bewährt. Das Destillat aus Eukalyptus-, Süßorangen-, Myrten- und Zitronenöl zeigt nicht nur bei der Sinusitis, sondern auch bei Husten eine Wirkung. Aufgrund der expektorierenden Wirkkomponente erleichtert es das Abhusten, indem es durch Anregung der sekretproduzierenden Drüsen den zähen, festsitzenden Schleim verflüssigt und zu einer Steigerung der Zilienaktivität beiträgt. Zudem stehen bei Husten weitere Phytopharmaka mit evidenzbasierten Pflanzenextrakten zur Verfügung (z. B. mit Auszügen der Wurzel der Kapland-Pelargonie, Kombination von Thymiankraut mit Primelwurzel, Trockenextrakte aus Efeublättern). Zur Linderung von trockenem Reizhusten finden Spitzwegerichblätter Verwendung, die auch in Form von Arzneitees getrunken werden.
Magen-Darm-Beschwerden
Das Spektrum der eingesetzten pflanzlichen Zubereitungen ist bei Problemen im Magen- Darm-Trakt ebenso groß wie die Symptomvielfalt. Es kommen Heilpflanzen aus den Gruppen Amara, Cholagoga, Spasmolytika und Karminativa zum Einsatz. Bei der Einteilung kann nicht immer streng differenziert werden, da sich die Wirkprofile der Arzneipflanzen naturgemäß überlappen. Doch das ist gerade der Vorteil bei der Phytotherapie. Pflanzenextrakte verfügen als Vielstoffgemische meist über ein breites Wirkprofil, sodass sie an unterschiedlichen Stellen im Magen-Darm- Trakt angreifen und gleich mehrere Beschwerden auf einmal lindern können. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt bei Kombinationspräparaten. Durch eine geschickte Kombination mehrerer Pflanzenauszüge werden verschiedene Symptome gleichzeitig kausal therapiert. Teilweise sind auch synergistische Effekte vorhanden. Ein zugelassenes Phytopharmakon zur Behandlung diverser Verdauungsstörungen enthält die Kombination aus Extrakten von neun Heilpflanzen (Bittere Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Mariendistelfrüchte, Schöllkraut, Pfefferminzblätter und Süßholzwurzel). Klassiker bei Blähungen mit Völlegefühl und Übelkeit sind die Früchte von Anis, Echtem Fenchel und Kümmel – gern auch in Kombination. Auch Angelikawurzel hat bei krampfartigen Verdauungsstörungen, die mit Blähungen und Völlegefühl einhergehen, ihre Berechtigung. Bei diesem Symptomkomplex sind zudem die Blätter von Pfefferminze, Melisse und Rosmarin altbewährt. Entzündliche Verdauungsbeschwerden sind die Domäne von Kamillenblüten und Süßholzwurzel. Als ausgesprochene Leber- und Gallemittel gelten Curcumawurzelstock, Artischockenblätter, Schöllkraut sowie Mariendistelfrüchte. Als Amara kommen die Wurzeln von Gelbem Enzian und Wermutkraut sowie die Bittere Schleifenblume zum Einsatz. Zu den Pflanzen der ersten Wahl bei Verstopfung zählen Lein- und Flohsamen.
Unter den verschiedenen Mitteln pflanzlicher Herkunft gilt es zu differenzieren. Nicht alle der pflanzenbasierten Präparate, die in der Apotheke vertrieben werden, sind automatisch Arzneimittel.
Fazit
Zubereitungen auf Pflanzenbasis können eine gute Alternative oder eine Ergänzung zu chemisch-synthetischen Arzneimitteln darstellen. Allerdings sind pflanzliche Präparate immer genau zu betrachten. Die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit lässt sich lediglich bei pflanzlichen Arzneimitteln sicher beurteilen. Daher ist Ihr Kunde gut beraten, wenn Sie sich bei der Auswahl des Präparates aus dem großen Angebot an pflanzlichen Optionen für ein zugelassenes Arzneimittel entscheiden.
Gode Chlond,
Apothekerin
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