Autoimmunerkrankungen
PTA-Fortbildung

Abwehr außer Kontrolle

Hashimoto, Lupus erythematodes oder Psoriasis – sie alle haben etwas gemeinsam. Es handelt sich um Autoimmunerkrankungen, bei denen die Immunabwehr den eigenen Körper attackiert.

18 Minuten

Täglich versuchen potenziell schädliche Mikroorganismen und andere Fremdstoffe in unseren Organismus zu gelangen. Glücklicherweise verfügen wir über ein schlagkräftiges Immunsystem, das unsere Körperzellen vor einer Schädigung durch die Eindringlinge schützt. Dafür muss es prinzipiell in der Lage sein, körperfremde Organismen und Verbindungen zu identifizieren, um sie anschließend zu eliminieren.

Leider gelingt es dem Immunsystem nicht immer, gefährliche Angreifer von körpereigenen Zellen zu unterscheiden. Folge sind Autoimmunprozesse, bei denen sich das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen richtet. Von Autoimmunerkrankungen abzugrenzen sind Allergien. Letztere sind ein Beispiel dafür, dass das Immunsystem manchmal einen eigentlich harmlosen Stoff wie beispielsweise ein Pollenkorn falsch einschätzt und als vermeintlich gefährlich eingestuft.

Organspezifisch oder systemisch Etwa fünf Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an rund 80 verschiedenen Autoimmunerkrankungen. Während sich bei einigen der Angriff organ- oder gewebespezifisch auf einzelne Bereiche beschränkt, manifestiert sich die Immunantwort bei anderen als systemische Reaktion im gesamten Körper in verschiedenen Organsystemen gleichzeitig. Zu den organspezifischen Autoimmunerkrankungen zählen beispielsweise Multiple Sklerose, Diabetes mellitus Typ 1, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Myasthenia gravis oder die Hashimoto-Thyreoiditis.

Von den systemischen Autoimmunerkrankungen sind vor allem die Rheumatoide Arthritis, das Sjörgren-Syndrom, der Systemische Lupus erythematodes oder die Psoriasis bekannt. Einige der Patienten leiden sogar an verschiedenen Autoimmunerkrankungen gleichzeitig. So treten der Systemische Lupus erythematodes und das Sjögren-Syndrom häufig gemeinsam auf, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse ist vielfach mit einer Vitiligo-Erkrankung vergesellschaftet oder Diabetiker vom Typ 1 leiden nicht selten zusätzlich an einer Hashimoto-Thyreoiditis.

Um zu verstehen, wieso unsere Abwehr aus dem Ruder läuft und zu selbstzerstörerischen Attacken und damit zu Autoimmunerkrankungen führt, wird im Folgenden zunächst die Funktionsweise des Immunsystems vorgestellt.

LERNZIELE
Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung,
+ die Funktionsweise des Immunsystems kennen,
+ organspezifische und systemische Autoimmunerkrankungen kennen,
+ was unter dem Verlust der Immuntoleranz zu verstehen ist,
+ welche Auslöser für Autoimmunerkrankungen angenommen werden,
+ anhand ausgesuchter Beispiele, welche Reaktionen des Immunsystems fehlgeleitet sind und
+ welche Behandlungsoptionen bei Autoimmunerkrankungen zur Verfügung stehen.

Komplexe Abwehr Bevor es Erregern gelingt, sich im Körper einzunisten, stellen sich ihnen verschiedene körpereigene Hindernisse entgegen. Dabei bilden eine intakte Haut, Schleimhäute des Respirations-, Gastrointestinal- und des Urogenital-Traktes, die Tränenflüssigkeit sowie der saure pHWert im Magen erste wichtige Barrieren. Zudem stellt das Mikrobiom im Magen-Darm-Trakt einen wichtigen Bestandteil des Schutzwalls dar.

Sollte es den unerwünschten Eindringlingen dennoch gelungen sein, die Hürden zu überwinden, kommt anschließend ein komplexes Netzwerk verschiedener sich ergänzender Abwehrmechanismen zum Einsatz, um sie schnellst möglich wieder zu entfernen. Dabei werden prinzipiell zwei Abwehrsysteme unterschieden: die unspezifische und die spezifische Immunität.

Erst unpräzise, dann gezielt Gleich zu Anfang wird innerhalb weniger Minuten die von Geburt an vorhandene unspezifische Immunabwehr aktiv. Ihre Aufgabe ist es, eingedrungene Keime am Ort des Geschehens so rasch wie möglich zu bekämpfen. Dafür muss der Organismus zuvor keinen Kontakt mit den körperfremden Strukturen gehabt haben. Das angeborene Abwehrsystem ist sofort einsatzbereit, reagiert allerdings ungenau gegen eine große Gruppe unterschiedlichster Fremdstoffe, weshalb es auch unspezifisches Immunsystem genannt wird.

Danach setzt die spezifische Immunabwehr ein, die sich bewusst gegen bestimmte einzelne Substanzen richtet. Dieser Teil der Abwehr ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe des Lebens durch Kontakt mit dem Erreger erworben. Das spezifische Immunsystem reagiert zeitlich verzögert, also langsamer. Dafür besitzt es eine hohe Spezifität. Es erkennt selektiv bestimmte Oberflächenstrukturen und kann diese durch massive Vermehrung spezieller Zellen ganz gezielt angreifen.

Beide Abwehrsysteme setzen sich aus einer zellulären (an Zellen gebunden) und einer humoralen (an Faktoren aus dem Blutplasma gebundenen) Komponente zusammen. Die verschiedenen Komponenten arbeiten zusammen und verständigen sich über Botenstoffe (Zytokine), zu denen beispielsweise Interleukine, Chemokine, Interferone oder Tumornekrosefaktoren gehören. Diese sorgen für einen regen Informationsaustausch der Zellen untereinander und locken weitere Abwehrzellen gezielt an.

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