Autoimmunerkrankungen
PTA-Fortbildung

Abwehr außer Kontrolle

Hashimoto, Lupus erythematodes oder Psoriasis – sie alle haben etwas gemeinsam. Es handelt sich um Autoimmunerkrankungen, bei denen die Immunabwehr den eigenen Körper attackiert.

18 Minuten

Exkurs Allergien Von den Autoimmunerkrankungen sind die Allergien abzugrenzen. Allergien sind ein Beispiel dafür, dass das Immunsystem einen eigentlich harmlosen Stoff wie beispielsweise ein Pollenkorn als gefährlich einstuft. Dabei werden beim ersten Allergenkontakt in der Regel noch keine Symptome ausgelöst. Der Betroffene wird allerdings auf dieses Allergen sensibilisiert, das heißt, empfindlich gemacht. Es bilden sich allergenspezifische Antikörper (Immunglobuline) und bei einem erneuten Allergenkontakt kommt es dann zu einer allergischen Reaktion. Allergische Reaktionen werden anhand ihrer Abläufe in verschiedene Typen eingeteilt.

Sofort-Typ – 90 Prozent aller allergischen Reaktionen sind vom Sofort-Typ (Typ-I-Reaktion). Die allergischen Beschwerden treten dabei sehr rasch, das heißt nur einige Sekunden bis wenige Minuten nach dem Allergenkontakt mit Haut oder Schleimhaut auf. Zu diesem Allergie-Typ zählen die bekanntesten und häufigsten allergischen Erkrankungen wie die allergische Rhinitis, allergisches Asthma bronchiale, das atopische Ekzem und Nahrungsmittelallergien.

Bei Antigenkontakt kommt es zur Mastzelldegranulation mit Ausschüttung von Entzündungsmediatoren wie Histamin. Dabei bindet das Antigen (bei Allergien als Allergen bezeichnet) an seine spezifischen Antikörper (IgE), die auf den Mastzellen sitzen. Bei dieser Antigen-Antikörper-Reaktion überbrückt ein Antigen zwei benachbarte Antikörper und bringt durch die Quervernetzung (bridging) die Mastzelle zum Platzen. Die Mastzellen entleeren sich (Degranulation) und setzen dabei eine Vielzahl von Mediatoren frei, die Entzündungsreaktionen hervorrufen, die harmlos bis lebensbedrohlich sind, da sie bis hin zum anaphylaktischen Schock verlaufen können.

Spät-Typ – Eine weitere typische und geläufige allergische Reaktion ist die vom verzögerten Reaktionstyp oder Spättyp (Typ-IV-Reaktion), bei der die allergischen Symptome erst 12 bis 72 Stunden nach dem Allergenkontakt auftreten. Dieser Allergie-Typ wird nicht durch Antikörper, sondern durch T-Zellen vermittelt. Die Allergene lagern sich an die Körperzellen an und aktivieren dadurch die T-Zellen. Botenstoffe werden freigesetzt, Makrophagen im Immunsystem aktiviert und Zellen infiltriert.

Bei einem erneuten Allergenkontakt erinnern sich die T-Zellen an ihre Sensibilisierung und lösen eine heftige Überempfindlichkeitsreaktion aus. Das bekannteste Beispiel für eine Allergie vom Typ IV ist die Kontaktallergie, bei der sich auf der Haut juckende, rote Quaddeln bilden. Auch Transplantat-Abstoßungsreaktionen verlaufen nach diesem Muster.

Verschiedenartige Behandlungsoptionen So unterschiedlich Autoimmunerkrankungen in ihrem Erscheinungsbild sind, so vielfältig sind auch die Therapieansätze. Dabei richtet sich die Behandlung nach der jeweiligen Grunderkrankung. Bei Autoimmunerkrankungen, die mit einem Mangel an Hormonen eingehen, werden diese lebenslang substituiert, um die Funktionsfähigkeit des betroffenen Gewebes aufrechtzuerhalten. So nehmen beispielsweise Hashimoto-Patienten das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin lebenslang ein und gängige Therapie beim Diabetes mellitus Typ 1 ist die Gabe von Insulin.

Ansonsten richten sich die Therapien gegen proinflammatorische Zytokine und weitere Entzündungsmediatoren, da entzündliche Prozesse eine zentrale Rolle bei der Pathogenese von Autoimmunkrankheiten spielen. Einen großen Stellenwert nehmen dabei Antikörper-Therapien ein. Künstlich hergestellte Antikörper blockieren die Entzündungsmediatoren oder deren Rezeptoren, womit sie vor allem das Einwandern von Entzündungszellen in betroffene Areale unterdrücken. Eine Vielzahl an monoklonalen Antikörpern wurde inzwischen entwickelt, die sich jeweils ganz spezifisch gegen bestimmte Moleküle richten. Sie werden auch als Biologicals bezeichnet.

Zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen kommen beispielsweise folgende Antikörper zum Einsatz: Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Golimumab und Certolizumab. Sie hemmen alle die krankheitsfördernden Effekte des Tumornekrosefaktor (TNF)-alpha und sind daher auch unter der Bezeichnung TNF-alpha- Antagonisten bekannt. Zudem sind weitere Antikörper mit anderen Angriffspunkten gängige Therapieoption: Abatacept (blockt die T-Lymphozyten Aktivierung), Anakinra und Canakinumab (wirken gegen Interleukin-1), Belimumab und Rituximab (verringern die Anzahl der B-Lymphozyten), Secukinumab (wirkt gegen Interleukin-17A), Ustekinumab (wirkt gegen Interleukin-12 und Interleukin-23) und Tocilizumab (Interleukin-6-Blocker).

Die Liste der Antikörper ist letztendlich lang, viele weitere finden zur Behandlung verschiedener Autoimmunerkrankungen Verwendung. Da sie alle das körpereigene Immunsystem unterdrücken, werden sie zu den Immunsuppressiva gerechnet. Die Gruppe der Immunsuppressiva ist äußerst heterogen. Klassische immunsuppressive Substanzen, die bei Autoimmunerkrankungen zur Anwendung kommen, sind beispielsweise Chloroquin, Methotrexat (MTX) oder Cyclophosphamid. Eine relativ neue Substanzgruppe unter den Immunsuppressiva sind hingegen die JAK-Inhibitoren. Sie hemmen die Januskinasen (JAK), das heißt spezielle Enzyme (Tyrosinkinasen), die aktiviert werden, wenn ein Zytokin mit dem dazugehörigen Rezeptor in der Zellmembran eine Verbindung eingeht.

Damit sind JAK-Inhibitoren in der Lage, intrazelluläre Signalwege und folglich die Entzündungskaskade zu unterbinden. Schließlich sind noch die Glucocorticoide zu nennen, die an verschiedenen Stellen in den Entzündungsprozess eingreifen und somit sowohl die immunkompetenten Zellen des unspezifischen als auch des spezifischen Immunsystems hemmen. Nachteil immunsuppressiver Therapien ist ein damit einhergehendes Risiko für Infektionen mit Viren, Bakterien oder Pilzen, wobei das Infektionsrisiko in den ersten sechs Monaten am höchsten ist. Dabei können alle Körperregionen befallen werden. Vorzugsweise sind der Mund-Rachen-Raum, die Atemwege, der Urogenitaltrakt sowie der Magen-Darm-Trakt betroffen. Während der Behandlung sind zudem regelmäßige Laborkontrollen erforderlich (z. B. Blutbild, Leberwerte) erforderlich, da Veränderungen des Blutbilds sowie der Leberparameter möglich sind.

Sowohl ein Teil der B- als auch der T-Zellen verbleibt mehrere Jahre als Gedächtniszellen im Körper, um bei wiederholtem Antigenkontakt eine viel schnellere Immunantwort als beim Erstkontakt auszulösen. Man spricht vom immunologischen Gedächtnis.

Ausblick Allerdings ist es bislang nicht möglich, mit den diversen Therapieprinzipien eine Heilung zu erzielen. Neue experimentelle Therapieansätze zielen daher auf eine Wiederherstellung der verlorengegangenen Immuntoleranz. Ihr Ziel ist, das Gleichgewicht zwischen aktivierten T-Zellen und regulatorischen T-Zellen (Treg) wiederherzustellen. Eine Immuntoleranz soll entweder mit einer Verringerung der Zahl an pathogenen autoreaktiven T-Zellen, mit einer Erhöhung der Zahl an Treg oder durch Kombination beider Strategien erreicht werden. Hierzu werden beispielsweise Infusionen mit niedrig dosierten Antikörpern oder mit Treg sowie autologe Stammzelltransplantationen durchgeführt. E

in anderer Weg mit dem Ziel einer Toleranzinduktion ist die orale Applikation eines relevanten Antigens. Dabei werden ähnlich wie bei einer Hyposensibilisierung bei Allergien (Desensibilisierung) kleinste Dosen des Antigens wiederholt zugeführt. Derartige Behandlungen zur Immuntoleranzinduktion erfolgen derzeit in verschiedenen Studien, bei denen die Antigene oral verabreicht werden. Beispielsweise erhalten Kinder im Alter zwischen vier und sieben Monaten mit einem Risiko für Diabetes mellitus oral ein Insulinpulver, um dem Immunsystem eine Toleranz gegenüber körpereigenem Insulin anzutrainieren.

Hintergrund ist, dass bei den meisten Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 vor Ausbruch der Erkrankung Autoantikörper im Blut nachweisbar sind, von denen einige gegen Insulin gerichtet sind. In einer anderen Studie wird Kindern zum Zwecke einer Immuntoleranz ein Insulin-Nasenspray appliziert. Ebenso scheinen Studien zur Toleranzbehandlung an erwachsenen Patienten mit Diabetes mellitus und Multiple Sklerose ermutigend, wobei hier die Antigene injiziert werden. Im experimentellen Stadium befindet sich auch die Idee, eine Wiederherstellung der Immuntoleranz durch Mikrobiomkorrektur zu erzeugen. Dieses neuartige therapeutische Konzept sieht eine spezifische Veränderung des Darm-Mikrobioms mit oral applizierten Antikörpern vor.


Gode Chlond, Apothekerin

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