Botanicals
ZWISCHEN ARZNEI- UND LEBENSMITTELN
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In der Apotheke kann man nicht nur Phytotherapeutika, also pflanzliche Arzneimittel, kaufen. Daneben sind in zunehmendem Maße auch Nahrungsergänzungsmittel (NEM) erhältlich, die aus Pflanzen, Algen, Pilzen oder Flechten gewonnene pflanzliche Stoffe oder Zubereitungen enthalten und unter der Bezeichnung Botanicals bekannt sind.
Botanicals sind keine ArzneimittelDie Aufmachung und die getroffenen Werbeaussagen der Botanicals erinnern auf den ersten Blick an Arzneimittel. Allerdings gilt es bei den verschiedenen pflanzlichen Präparaten zu differenzieren. Botanicals gehören aus rechtlicher Sicht wie alle NEM zu den Lebensmitteln und unterliegen daher nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern den Regelungen des Lebensmittelrechts. Ihr Inverkehrbringen ist daher weder mit einer Zulassung noch mit Prüfungen auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität verbunden. Sie werden lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) angezeigt und können somit ohne vorher durchgeführte toxikologische Untersuchungen, kontrollierte klinische Studien oder anderes nachgewiesenes wissenschaftliches Erkenntnismaterial in den Markt eingeführt werden.
Im Gegensatz zu Arzneimitteln, die eine kurative und präventive Wirkung erzielen sollen, sind NEM nicht dazu bestimmt, Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. Sie dienen der Ergänzung der allgemeinen Ernährung. Daher dürfen sie weder krankheitsbedingte Aussagen treffen, noch sich auf Indikationen festlegen. Es sind lediglich nährwert- und gesundheitsbezogene Aussagen erlaubt. Diese Gesundheitsversprechen, auch Health Claims genannt, klingen allerdings häufig indikationsähnlich, auch wenn eine Heilaussage unzulässig ist. Für den Laien ist es daher häufig kaum möglich, den Unterschied zwischen einem Botanical, also NEM, und einem pflanzlichen Arzneimitteln zu erkennen, zumal sich immer wieder Produkte hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe und Bewerbung im Grenzbereich zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln befinden.
Beurteilung schwierigZudem existieren bei den Botanicals – anders als bei pflanzlichen Arzneimitteln – keine Deklarationsstandards. Kennzeichnungsvorgaben, wie man sie bei den Arzneimitteln kennt, wie beispielsweise Angaben zur Ausgangspflanze (z. B. Pflanzenart, Pflanzenteile, Menge), zur Art der Zubereitung (z. B. Pulver, Extrakt), zu den Extraktionscharakteristika (z. B. Extraktionsmittel, Droge-Extrakt- Verhältnis) oder zu den wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen sind rechtlich nicht vorgeschrieben und daher meist auch nicht zu finden. Somit ist es selbst für uns Fachleute nicht immer einfach, eine Entscheidung über die Qualität und Sicherheit eines Botanicals zu treffen und die Beratung stellt immer wieder eine Herausforderung dar.
Fazit Die neue Reihe „Botanicals“ möchte und kann keine Bewertung zu bestimmten Botanicals geben. Es sollen lediglich Pflanzen vorgestellt werden, die sich häufig in pflanzlichen NEM finden. Zudem soll dafür sensibilisiert werden, pflanzliche Präparate immer kritisch zu betrachten und – wenn die Möglichkeit dafür besteht – im Zweifelsfall Arzneimittel abzugeben.
Die Ananas, der EnzymlieferantAnanas-Präparate sind häufig als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. Neben diesen Botanicals sind in der Apotheke auch die seit langem bewährten Arzneimittel mit Bromelain, einem eiweißspaltenden Enzymgemisch der Ananas, erhältlich.
Der Tropenliebling Ananas liefert Vitalstoffe und heilsame Enzyme.
Äußerst schmackhaft Nana neant, die köstliche Frucht – so nennen die Eingeborenen aus dem Amazonas-Gebiet die schmackhafte Ananas (Ananas comosus), woraus sich sowohl der Gattungsname ableitet als auch die deutsche Bezeichnung Ananas entwickelt hat. Das Mato-Grosso-Gebiet im Amazonas-Delta in Brasilien ist die Heimat der Ananas, die seit Jahrhunderten in ganz Mittelamerika und inzwischen weltweit in tropischen Gebieten kultiviert wird. Die größten Anbaugebiete finden sich heute in Thailand, Costa Rica und Brasilien. Europa bezieht die meisten Früchte von den Philippinen und der Elfenbeinküste.
Begehrter Exot Nach Europa kam die bis zu 1,2 Meter hohe Pflanze aus der Familie der Bromeliengewächse (Bromeliaceae) ursprünglich mit Christoph Kolumbus, der sie 1493 auf Guadeloupe kennenlernte. Er war von ihrem Aroma so begeistert, dass er sie mit auf seine Schiffe nach Spanien nahm. Zugleich war sie wegen ihres hohen Mineralstoff- und Vitamin C-Gehaltes ein wichtiges Lebensmittel auf den langen Überfahrten. Wenige Jahrzehnte später gelangte sie nach Indien, wo sie als Obstpflanze auf Plantagen kultiviert wurde.
In Europa begann man um 1700 die wärmeliebende Pflanze in Treibhäusern zu züchten. Vor allem in England und Frankreich war die fremdartige Frucht an europäischen Fürstenhäusern sehr beliebt. Das aromatische Frucht- fleisch und der imposante Fruchtkörper machten sie zu einem wertvollen Exoten, der ein luxuriöses Staatsgeschenk und ein krönender Tafelschmuck war. Mit dem Einzug der Dampfschifffahrt, die den kostengünstigen Import erntefrischer Früchte ermöglichte, hörte der aufwändige und kostspielige Ananasanbau unter Glas in Europa schließlich auf.
Stachelbewehrte Blätter Bei der Ananas wächst – wie es für ein Bromeliengewächs typisch ist – der Fruchtstiel aus einer Blattrosette. An dessen Ende bildet sich aus den zahlreichen kleinen blauen bis purpurroten Blüten die Frucht. Die sechs Zentimeter schmalen dickfleischigen Blätter der Rosette sind am Rand mit Dornen besetzt und werden bis zu 120 Zentimeter lang. In ihnen sammelt sich Regenwasser, was der Pflanze als Wasser- und Nährstoffreservoir dient und ihr ein Überleben in nährstoffarmen oder trockenen Gegenden ermöglicht. Die Pflanze kann zudem in Trockenzeiten einen starken Wasserverlust verhindern, indem sie nur nachts ihre Spaltöffnungen für die Kohlendioxid-Aufnahme öffnet.
Pinienzapfengleich Der Artname comosus (lat. comosus = starkt behaart, schopfig) verweist auf den Blattschopf am oberen Ende des Fruchtstandes. Kolumbus hatte die Frucht als einen Zapfen (ital. pigna) beschrieben, worauf der englische Begriff pineapples und das spanische Wort pinas für Ananas zurückzuführen sind. Botanisch handelt es sich bei der Ananasfrucht um eine Sammel-Scheinfrucht beziehungsweise um einen Fruchtverband aus über hundert Beeren an einer verdickten Fruchtstandachse, die miteinander verwachsen sind.
Reif und frisch genießen Als nichtklimakterische, das heißt nicht nachreifende Frucht, muss die Ananas gleich beim Kauf einen optimalen Reifegrad aufweisen. Dieser ist erreicht, wenn das Fruchtfleisch auf Fingerdruck bereits nachgibt, aber dennoch keine Druckstellen hinterlässt. Zudem lassen sich die inneren Blätter am Schopf leicht auszupfen. Da die Früchte vom Stiel her reifen, sollten sie unten eher gelb und nach oben hin grünlich sein. Bei Lagertemperaturen von zehn Grad Celsius hält sich eine frische Ananas circa eine Woche. Angeschnitten kann sie noch zwei Tage im Kühlschrank aufbewahrt werden. Eine längere Lagerung ist nicht empfehlenswert, da bei längerer Kühlung das Fleisch glasig wird und sich später braun bis schwarz verfärbt. Eine überlagerte Frucht erkennt man daran, dass sie zu gären beginnt.
Hoher Enzymgehalt In der Medizin schätzt man das in der Ananas enthaltene Bromelain, ein Gemisch eiweißspaltender und damit verdauungsfördernder Enzyme, hauptsächlich Cystein-Proteasen. Ein besonders hoher Enzymgehalt findet sich vor allem im Stamm, bedeutend weniger Bromelain ist in den unreifen Früchten enthalten. Zur Extraktion des Enzymgemisches werden die frischen Stämme geschält, gewaschen und zerkleinert. Hieraus wird ein Presssaft hergestellt, aus dem durch Ultrazentrifugation die Bromelain-Fraktion isoliert wird.
Diese wird gefriergetrocknet und gemahlen und kommt so als Wirkstoff in pflanzlichen Präparaten zur Anwendung. Für die Qualität des Extraktes ist die proteolytische Aktivität entscheidend. Sie wird in F.I.P.- Einheiten (benannt nach der Fédération Internationale Pharmaceutique) angegeben. Dabei entspricht eine F.I.P.-Einheit der Enzymmenge, die in einer Minute unter Standardbedingungen ein Mol Substrat umsetzt. Als wirksam gelten Präparate mit einer Tagesdosis von 80 bis 320 mg Bromelain, was 200 bis 800 F.I.P.-Einheiten entspricht.
Entzündungshemmend, antiödematös, schmerzstillend Bromelain unterstützt nicht nur die Verdauung, Studien belegen darüber hinaus die Wirkung bei der Reduktion von Ödemen, Linderung von Schmerzen und Resorption von Blutergüssen bei traumatischen Ereignissen. Bromelain unterstützt dabei die Zerkleinerung und den Abtransport schwellungsverursachender Eiweiße. Das Enzymgemisch wirkt abschwellend und dadurch schmerzlindernd, da es den Druck im verletzten Gebiet reduziert. Zudem lässt es Blutergüsse deutlich schneller zurückgehen. Die Kommission E erkennt als Indikation für Bromelain akute postoperative und posttraumatische Schwellungszustände vor allem der Nase und Nasennebenhöhle an.
Demensprechend kommt das Enzymgemisch in pflanzlichen Arzneimitteln insbesondere als abschwellendes und dadurch schmerzstillendes Mittel bei akuten Schwellungen nach Operationen und Verletzungen, insbesondere der Nase und der Nebenhöhlen, zum Einsatz. Die Präparate haben sich auch bei Sportverletzungen, nach Zahnbehandlungen oder Schöhnheits-Operationen bewährt. In Form von Nahrungsergänzungsmitteln werden außerdem die verdauungsfördernden Eigenschaften genutzt und der Ananas beziehungsweise dem Enzymgemisch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten zugeschrieben (z. B. als Stimmungsaufheller, gegen Muskelkrämpfe, zur Vorbeugung der Arterienverkalkung, zum Entschlacken).
Beratungshinweise Mit dem Verzehr frischer Früchte können keine ausreichenden Mengen an pharmakologisch wirksamem Bromelain erreicht werden. Nicht nur, dass sich der höchste Enzymgehalt im ungenießbaren Stamm befindet, zudem wird das Enzym durch die Magensäure angegriffen. Empfehlenswert ist daher die Einnahme von Präparaten mit magensaftresistenten Enzymformulierungen. Sollen die entzündungsregulierenden – und nicht die verdauungsfördernden – Eigenschaften des Enzymgemischs pharmakologisch genutzt werden, muss die Einnahme mindestens 60 Minuten vor den Mahlzeiten erfolgen. Ansonsten wird die Enzymaktivität überwiegend für die Eiweißspaltung und somit zur Unterstützung der Verdauung aufgebraucht. Der Kunde sollte darauf hingewiesen werden, dass sich die Blutungsneigung insbesondere bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien verstärken kann.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/20 ab Seite 24.
Gode Chlond, Apothekerin