Das „richtige Atmen“ kann man mittlerweile auch in Gesundheitspräventionskursen erlernen. © fizkes / iStock / Getty Images Plus

Nachgefragt

WUNDERWAFFE ATMEN: ENERGIE REIN UND STRESS RAUS

Klingt zu schön, um wahr zu sein. Wir atmen schließlich jeden Tag. Doch tatsächlich setzen immer mehr Menschen auf Atemtherapien, wollen lernen „richtig“ zu atmen und den Körper so bei stressbedingten Beschwerden unterstützen. Was ist dran am „Atemkult“?

Seite 1/1 7 Minuten

Seite 1/1 7 Minuten

Luft holen und wieder ausstoßen – die Atmung beschreibt aus biologischer Sicht den Austausch von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid mit der Umgebung und den Transport im Organismus. Ein überlebenswichtiger Prozess also, keine Atmung heißt zumeist auch kein Leben. Dabei muss nicht zwangsläufig eine Lunge vorhanden sein, manche Organismen atmen über die Haut, Kiemen, Tracheen, Plastrone oder Stomata – nahezu die gesamte Welt atmet, abgesehen natürlich von anaeroben Organismen. Beim Menschen ist die Atmung eine Grundfunktion, der Körper misst die Kohlenstoffdioxid-Konzentration im Blut und entscheidet dann, ob wir lieber einmal tief einatmen sollten oder ob flaches Ein- beziehungsweise Ausatmen ausreichend ist. Der Sauerstoffgehalt hat nicht so einen großen Einfluss, außer er sinkt stark ab, dann wird gegenreguliert und intensiver oder beschleunigter geatmet. Unter Ruhebedingungen atmet ein Erwachsener ungefähr 12 bis 15 Mal die Minute ein und aus und schleust so etwa sieben Liter Luft durch seine Lungen, unter diesen Bedingungen produziert der Mensch so täglich 1000 Liter Kohlenstoffdioxid. Und wir müssen atmen, der Durchschnitts-Mensch kann die Luft für nur etwa zwei Minuten anhalten, spätestens dann bekommt er den unkontrollierbaren Zwang einatmen zu müssen. Unser Körper weiß also, was er zu tun hat, wie kann man dann „falsch“ atmen?

Mehr als nur Gasaustausch
Atmen kann im übertragenen Sinn noch mehr bedeuten, nämlich eine Stimmung wahrnehmen oder erspüren. Tatsächlich hat der Geist oder die psychische Verfassung einen großen Einfluss auf das Atemzentrum: Sind wir ängstlich, voller Zorn oder Freude, verändert dies auch unseren Atem – er fließt mal schneller, mal langsamer. Eine Verbindung zwischen Hirn und Lunge sozusagen. Das geschieht dabei ganz unbewusst, schon weinende Kinder kann man durch seinen eigenen ruhigen Atem zur Ruhe bringen. Obwohl, so ganz unbewusst ist Luftholen nun auch nicht: Es handelt sich um die einzige automatisch gesteuerte Grundfunktion, die wir zumindest zeitweise willentlich beeinflussen können. Mit Hilfe spezieller Atemtechniken sollen Atemschüler zu mehr Entspannung und Ruhe finden oder besser Luft bekommen, indem sie konzentriert ein- und ausatmen. Wer an einer chronischen Lungenerkrankung leidet oder aufgrund von Herzkreislauf-Erkrankungen, Allergien oder anderen atemerschwerenden chronischen Beschwerden Probleme mit der Atmung hat, profitiert oftmals von einer solchen Atemschulung. Auch in der Apotheke können Sie Kunden mit ein paar Atem-Tipps helfend zur Seite stehen – Situationen, in denen einem die Luft wegbleibt sind nämlich fast immer Notsituationen. Daher ist es sinnvoll, einem Asthmatiker oder COPDler hier eine Unterstützung zu sein. Bestimmt haben Sie schon etwas vom Kutschersitz, der Wand- oder Torwartstellung gehört, Ihr Kunde vielleicht nicht. Zeigen Sie ihm diese atemerleichternden Haltungen, eine strukturierte Atemschulung kann den Betroffenen dabei unterstützen, Notfallsituationen, die mit Atemnot oder starken Hustenanfällen einhergehen, besser zu bewältigen. Zu den „kleinen Tipps“ zählt beispielsweise auch die Lippenbremse: Durch das Aufeinanderpressen der Lippen und Ausatmen durch eine kleine Öffnung verlangsamt sich das Ausatmen, der Atemstrom wird abgebremst und die Bronchien bleiben durch den nun höheren Innendruck länger geöffnet. Für manche reicht das aber nicht, daher bieten pneumologische Fachabteilungen in Kliniken oder Reha-Zentren spezielle Schulungsprogramme an. Eines ist das NASA-Konzept, das Nationale Ambulante Schulungsprogramm für erwachsene Asthmatiker, ein sechsstündiges Schulungsprogramm, das wissenschaftlich evaluiert ist. Aber auch Menschen mit Beschwerden, die nicht auf den ersten Blick mit dem Atmen oder der Lunge zusammenhängen, können von tiefen, kontrollierten Atemzügen profitieren.

Stressbremse Atmung
Es ist keine Neuheit mehr: Psychischer Stress kann sich nicht nur auf die geistige, sondern auch auf die körperliche Verfassung auswirken. Es gilt als bewiesen, dass Erkrankungen des Herzkreislaufsystems ebenso wie Kopf-, Nacken-, Rücken- und Gelenkschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen, sexuelle Störungen, Muskelzuckungen oder Hauterkrankungen mit negativem Stress assoziiert sind. Es gibt auch positiven Stress? Ja, den gibt es, der sogenannte Eustress wird von uns als anregend und stimulierend empfunden und ist häufig mit Vorfreude oder gar Nervenkitzel verbunden. Die Frage ist, wie der Einzelne die Situation für sich bewertet, ob er sich freiwillig in sie begibt und ob er sich in der Situation sicher fühlt – eine Achterbahnfahrt kann so gesehen für den einen zum Horror werden, beim anderen zur Ausschüttung von Glückshormonen führen, wenn auch beides die gleiche Stress-Situation darstellt. Bezüglich chronischer, stressbedingter Erkrankungen ist jedoch der negative Distress von Bedeutung. Ist man dauerhaft Distress ausgesetzt, reagiert früher oder später der Körper auf den dauerhaften angespannten Aktivierungszustand und die Ausschüttung von Stressfaktoren. Aber nicht nur Angespanntheit und Stress lassen uns flacher und schneller atmen, auch zu enge Kleidung oder eine schlechte Sitzhaltung erschweren das „richtige Atmen“ – für viele erscheint die tiefe Bauchatmung mittlerweile unnatürlich, die flache Brustatmung wird zur Gewohnheit. Dabei bewegt sich nur der Oberkörper, Schultern oder Brustkorb heben und senken sich leicht, der Bauch wölbt sich nach innen. Bei der Bauchatmung wölbt sich der Bauch spürbar, die Lunge wird vor allem im unteren Drittel gut durchblutet und kann so mehr Sauerstoff aufnehmen. Im Schlaf, also unbewusst, atmen übrigens alle Menschen so. Wie bewusst beziehungsweise wie über den Tag geatmet wird, kann schnell individuell ermittelt werden: Am besten gerade auf einen Stuhl setzen und die Hand locker auf den Bauch legen und einmal in Ruhe spüren, ob sich die Hand beim Atmen mit dem Bauch leicht hebt und senkt. Wer seine Bauchatmung fördern möchte, kann diese gezielt trainieren. Einmal täglich in aufrechter Sitzhaltung bewusst in den Bauch ein- und ausatmen (je drei bis fünf Sekunden für Ein- beziehungsweise Ausatmung), am besten jeweils für eine Viertelstunde. Brustatmung befördert ungefähr einen halben Liter Luft in unseren Körper, bei regelmäßiger Bauchatmung können es so bis zu vier Liter sein. Zudem wird über den Parasympathikus der Vagus-Nerv aktiviert, welcher Einfluss auf die meisten inneren Organe ausübt, zum Beispiel auf Herzschlag, Verdauung, Stoffwechsel und Drüsenfunktion. Dem Körper wird Ruhe vermittelt, er fährt die Produktion von Stresshormonen runter und fördert die Acetylcholin-Ausschüttung, die für Entspannungs- und Konzentrationsvorgänge gleichermaßen gebraucht wird. Diesen Effekt kann man sich auch in akuten Stresssituationen zunutze machen: Dreimal tief durchatmen, unser Körper denkt, wir befinden uns in einer entspannten Situation (weil wir schließlich Zeit haben zu atmen; muss man vor einem Löwen flüchten, fehlt einem die Zeit dafür schon einmal) und entspannt sich. Manchmal haben Redewendungen eben auch ihre Berechtigung.

Atem als Lebensenergie
Atemübungen stellen einen zentralen Baustein von Yoga- und Meditationsübungen dar. Fließen Herz, Atmung und Blutfluss ruhig, kann auch der Geist zur Ruhe kommen. Oder: „Ist der Atem tätig, so ist auch der Geist tätig; ist der Atem untätig, so ist auch der Geist untätig“, wird es in der Hatha-Yoga Pradipika, Kapitel 2, Vers 2 beschrieben. Mag für den einen vielleicht etwas abgehoben klingen, aber der Trend um Yoga-Studios boomt, Krankenkassen finanzieren zertifizierte Kurse mittlerweile zum Teil oder komplett im Rahmen von Gesundheitspräventionsprogrammen. Von der „richtigen Atmung“ erhoffen sich viele eine bessere Verdauung, eine Stärkung des Herzkreislaufsystems, Entgiftung, eine verbesserte Lungenfunktion und natürlich Entspannung. Aber auch mehr Energie. Das deckt sich auch mit den Vorstellungen, die im Yoga vermittelt werden: Pranayama, die Bezeichnung für die Atemübungen im Yoga, lässt sich übersetzen mit Steuerung (Ayama) und Atem beziehungsweise Lebensenergie (Prana). Vielen hilft die Vorstellung, Atmen nicht nur als überlebenswichtige Notwendigkeit zu betrachten, sondern Luft als ein Medium zu begreifen, über welches dem Körper neue Lebensenergie zugeführt wird. Diese Imagination vermittelt so neben den nachweisbaren vegetativen Veränderungen, die durch tiefe, konzentrierte Atmung ausgelöst wird, zusätzlich Entspannung. Aber egal aus welchem Grund, kurz inne zu halten, seinem Atem zu lauschen und sich zu konzentrieren, zeigt eine nachgewiesene Verbesserung vieler Organfunktionen und wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Ob man sich jetzt durch „falsches Atmen“ vergiftet, wie auf manchen Seiten skandiert wird, mag einmal dahingestellt sein. Doch wenn wir schon atmen müssen, um zu überleben, können wir das wenigstens bewusst tun und das Beste für unsere Gesundheit dabei herausholen.

Ruhig atmen – auch in Stresssituationen
Zunge spitzen: Zungenspitze bei geschlossenem Mund an die Zähne drücken, als wollte man ein „L“ aussprechen wollen und dann durch die Nase ein- und ausatmen.
Atmung lenken: In aufrechter Sitzposition ruhig atmen und spüren, wie sich der Atem im Körper verteilt, zwischen Brust- und Bauchatmung wechseln.
Langes Ausatmen: Aufrecht hinstellen, einige ruhige Atemzüge nehmen (durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen), dabei sollten Ein- und Ausatmen möglichst gleich lange dauern, etwa fünf Sekunden. Dann das Ausatmen verlängern, etwa doppelt so lange aus- wie einatmen (mit drei bzw. sechs Sekunden starten und steigern), Luft dabei langsam ausströmen lassen.
Atem verlangsamen: In aufrechter Sitzposition tief ein- und ausatmen, Augen können gerne geschlossen werden. Phase des Einatmens kontinuierlich steigern, Luft langsam und kontrolliert entweichen lassen.
Arme anwinkeln: Im Sitzen oder Stehen die Arme vor dem Körper auf Brusthöhe anwinkeln, sodass sich die Fingerspitzen leicht berühren. Langsam und tief durch die Nase einatmen, Arme auseinanderzeihen, Schultern zusammenziehen und Ellenbogen so weit weg wie es geht vom Körper ziehen. Position und Atem kurz anhalten, dann langsam ausatmen und Arme wieder zusammenführen.
4-6-8-Methode: Im Stehen Hand auf den Bauch legen, bis vier zählen und währenddessen tief durch die Nase einatmen, Luft anhalten bis sechs zählen und langsam durch den Mund ausatmen, dabei bis acht zählen.

Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin

Quelle: www.lungeninformationsdienst.de
   https://ruhigatmen.at
   www.palverlag.de
   www.focus.de
   www.heilpraktikerverband.de
   www.wiki.yoga-vidya.de
   www.evidero.de
   www.karrierebibel.de

×