Zahnarzt | Psychologie
WENN DIE ANGST VORM ZAHNARZT ZUR KRANKHEIT WIRD
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Niemand geht gerne zum Zahnarzt. Und manchen wird unwohl beim Gedanken an den Bohrer oder die Betäubungsspritze. Doch eine echte Behandlungsphobie geht weit darüber hinaus. «Bei einer Zahnbehandlungsphobie erscheinen Betroffene erst gar nicht in der Praxis und das oft über viele Jahre hinweg», sagt Prof. Peter Jöhren. Der Fachzahnarzt für Oralchirurgie ist Leiter der Zahnklinik Bochum.
Nach Angaben der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) leiden fünf bis zehn Prozent der Menschen in Deutschland unter einer Zahnbehandlungsphobie. Dabei handelt es sich um eine psychosomatische Angsterkrankung. Betroffene geraten regelrecht in Panik, wenn sie auch nur an den Besuch beim Zahnarzt denken. «Das kann sich beispielsweise in Form von Schweißausbrüchen, Herzrasen, Schwindel und Kreislaufproblemen äußern», erklärt Thomas Wolf. Er ist Oberarzt an der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin an der Universität Bern.
Betroffene zittern mitunter auch am ganzen Körper, haben eine erhöhte Herzfrequenz, der Blutdruck kann in die Höhe schnellen. So unterschiedliche die Symptome, so verschieden sind die möglichen Ursachen. «Oft ist es der erlebte Schmerz vor, während und nach einer Zahnbehandlung, der bei Patienten zur Vermeidung führt», erklärt Jöhren. In einer Studie gaben 86 Prozent der Betroffenen an, dass sie traumatisierende Erfahrungen im Behandlungsstuhl erlebt hätten - zu 70 Prozent in der Kindheit.
«Wenn schon die Behandlungen in der Kindheit schlecht waren, werden es künftige Zahnärzte schwer haben, das Vertrauen wiederzugewinnen», sagt Jöhren. Auch das soziale Umfeld spielt eine Rolle. Haben Angehörige oder Freunde Angst vor der Zahnbehandlung, kann sich dieses Gefühl auf einen selbst übertragen.
Was also tun? Einfach nicht hingehen ist schließlich keine Option: Entzündete Zähne, die über einen längeren Zeitraum unbehandelt bleiben, können fatale Folgen haben - vom Schmerz mal ganz abgesehen. «Möglich sind ernsthafte akute und chronische Erkrankungen», sagt BZÄK-Vizepräsident Prof. Dietmar Oesterreich. So können Bakterien über den befallenen Zahn hinaus bis tief in die Kieferknochen eindringen. Über den Blutkreislauf kann es so zu einer manchmal lebensbedrohlichen Entzündung im Körper kommen.
Ferner erhöhen chronische Zahnbettentzündungen laut Oesterreich das Risiko für Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall. Zerstörte Zähne wirken zudem ungepflegt und mindern häufig das Selbstbewusstsein. Weil mit entzündeten Zähnen häufig auch mehr oder weniger starker Mundgeruch einhergeht, sind soziale Kontakte oft eingeschränkt.
Ohne Behandlung der Phobie geht es also nicht. «Das ist aber nicht Aufgabe von Zahnärzten, sondern von ausgebildeten Psychotherapeuten», sagt Wolf. Bei akuten Schmerzen, die eine zahnärztliche Therapie unaufschiebbar machen, kann der Angstpatient gegebenenfalls unter Sedierung oder unter Vollnarkose gesetzt werden.
«Eine Vollnarkose sollte aber nur bei akut notwendiger Behandlung durchgeführt werden», sagt Oesterreich. Denn so ist die Phobie nicht überwunden - und damit auch nicht das Problem, was sich womöglich dahinter verbirgt. Zudem birgt auch eine Vollnarkose Risiken. Darüber muss ein Patient ebenfalls aufgeklärt werden.
Statt unter Vollnarkose können sich Patienten auch per Hypnose in einen Entspannungszustand versetzen lassen. Dabei werden die Gedanken des Patienten gezielt auf positive Erlebnisse gelenkt - ein Strandurlaub mit Meeresrauschen, ein Waldspaziergang mit Blumengeruch. Es gibt entsprechend fortgebildete Zahnärzte, die eine solche Hypnose zu Behandlungen anbieten.
Auch eine sogenannte hypnotherapeutische Intervention kann zur Ursachenbehandlung der Phobie helfen. Sie ist ein Fall für den Psychotherapeuten. Allerdings: Für nicht alle Patienten ist die Methode richtig - und für manche auch einfach zu teuer, denn es handelt sich um eine Privatleistung.
Letztendlich kann nur ein Psychotherapeut mit dem Patienten den passenden Weg aus der Phobie finden. Betroffene können beispielsweise ein sogenanntes Anti-Angst-Training absolvieren. Dabei werden Patienten von einem Therapeuten behutsam an die Situation beim Zahnarzt herangeführt. «Beim ersten Zusammentreffen ist es wichtig, mit Informationen und Empathie das oft beim Patienten verloren gegangene Vertrauen gegenüber dem Zahnarzt wiederaufzubauen«, erklärt Jöhren.
Einfühlsam sollte sich der Arzt nach den Wünschen des Patienten erkundigen und diese aufschreiben, damit sie bei der Behandlung nicht in Vergessenheit geraten. «Manchen Patienten hilft es etwa, wenn sie während der Behandlung über Kopfhörer ihre Lieblingsmusik hören oder einfach Entspannungsmusik im Hintergrund», sagt Wolf.
Heutzutage ist aufgrund moderner Verfahren in aller Regel eine schmerzfreie Zahnbehandlung möglich. «Damit die Psychotherapie dauerhaft Erfolg hat, ist entscheidend, dass der Patient bei den zahnärztlichen Behandlungen keine schlechten Erfahrungen macht», betont Jöhren. Schon kleinste Verstöße gegen die Abmachungen zwischen Therapeut, Zahnarzt oder Patient können zu erneutem Abwehrverhalten führen, warnt Jöhren: «Das Versprechen der schmerzfreien Behandlung darf keinesfalls gebrochen werden.»
Quelle: dpa