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Hirninfarkt ohne Folgen

WEN DER SCHLAG TRIFFT …

Jährlich erleiden rund 120 000 Deutsche einen Hirninfarkt. Untersuchungen an Ratten zeigen möglicherweise neue Wege auf, die hirnschädigenden Folgen zu verhindern.

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Kennen Sie das auch? Die Sorge um die eigene Gesundheit beim Betrachten alljährlicher Statistiken über die häufigsten Krankheiten? Fragen Sie sich bei diesen Gelegenheiten auch, ob Sie wohl einer der genannten Risikogruppen angehören könnten und welche Gewohnheiten Sie vielleicht ändern sollten, um Ihr persönliches Krankheitsrisiko zu verringern?

Seit Jahren auf Platz eins der Volkskrankheiten in den entwickelten Staaten ist der Bluthochdruck, verursacht etwa durch Stress, Alkohol, Rauchen oder Übergewicht. An ihm leidet in Deutschland rund ein Viertel der Bevölkerung. Nicht verwunderlich ist daher, dass eine der möglichen direkten Folgen einer Hypertonie, der Schlaganfall, unter den Top 10 der häufigsten Todesursachen zu finden ist: Von den rund 120 000 Betroffenen sterben jedes Jahr circa 20 000 bis 25 000.

Aber auch diejenigen, die den Schlaganfall überleben, leiden häufig ein Leben lang an den Folgen der durch den Insult verursachten Schädigungen des Gehirns: Je nachdem, welche Hirnregion betroffen ist, kann es zu Sprachverlust, sensorischen Störungen oder Lähmungen bis hin zur Invalidität kommen. Diese Ausfälle sind meist auch durch langwierige Therapiemaßnahmen nur unzureichend zu behandeln, da einmal abgestorbenes Nervengewebe so gut wie nicht nachwachsen kann und auch benachbarte, unversehrte Hirnregionen nicht jeden Funktionsausfall kompensieren können.

Wünschenswert wäre daher ein Verfahren, das in der Lage wäre, die Hirnschädigungen nach Schlaganfall zu verhindern, ehe sie überhaupt auftreten können. Jüngere Untersuchungen an Ratten weisen hier auf einen vielversprechenden neuen Ansatz: Dieser bezieht sich auf die häufigste Form des Schlaganfalls, den Hirninfarkt, bei dem es durch einen Verschluss von Blutgefäßen im Gehirn zu einem Absterben der durch diese Gefäße versorgten Hirnregion kommt.

Forscher in Kalifornien haben nun herausgefunden, dass sich bei Versuchstieren das Absterben des Nervengewebes nach Gefäßverschluss offenbar verhindern lässt, wenn man die Tiere einer leichten sensorischen Stimulation aussetzt. Dieser protektive Effekt erstreckt sich dabei auf weite Bereiche des Gehirns und nicht nur auf diejenigen, die durch die Stimulation direkt erregt werden. Ursache für diese Wirkung ist dabei offenbar eine Wiederdurchblutung der verschlossenen Gefäße, welche allerdings über einen Umgehungskreislauf (über Anastomosen), also gewissermaßen „rückwärts“ erfolgt.

Ob und wie diese neue Methode allerdings auf den Menschen übertragbar sein wird, etwa durch Streicheln sensibler Körperregionen (Lippen, Fingerspitzen), was man auch selbst als Erste Hilfe machen könnte, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen: Der positive Effekt der sensorischen Stimulation tritt nämlich nur auf, wenn sie innerhalb der ersten zwei Stunden nach dem Infarkt durchgeführt wird. Danach kann sie dessen negative Folgen sogar noch verschlimmern. Es kommt also auf das richtige Timing an – aber das kennt man ja…

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/15 auf Seite 12.

 


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