Biologische Schädlingsbekämpfung
VON SCHÄDLINGEN UND NÜTZLINGEN
Seite 1/1 10 Minuten
Pflanzenschutz ist wichtig. Die moderne Landwirtschaft wäre ohne Pflanzenschutzmittel nur schwer arbeitsfähig, schließlich wünschen Verbraucher gut gefüllte Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte, duftendes Obst und knackiges Gemüse. Ohne geeignete Maßnahmen wären die Erträge voraussichtlich magerer, es gäbe häufiger Ernteausfälle und die Lebensmittel würden teurer werden. Doch bedeutet das nicht unbedingt, dass in jedem Fall Pestizide und Co. eingesetzt werden müssen. Es gibt einige Beispiele, die zeigen, dass biologische Schädlingsbekämpfung ebenso effektiv sein kann – und dabei Umwelt und Mensch weniger belastet.
Von Freunden und Feinden
Die wenigsten ärgern sich wohl über bunte Falter oder summende Bienchen im Garten, alle anderen Insekten werden allerdings häufig kritisch begutachtet. Wer weiß schon, ob so ein „Ohrenkneifer“ nicht auch Pflanzen schaden kann oder Wanzen den Blättern den Saft aussaugen? Tatsächlich lohnt es sich, einen zweiten Blick auf die vermeintlichen Schädlinge zu werfen. Manche sind völlig harmlose Gartenbewohner, trotz auffälligem Aussehen, wie beispielsweise die Feuerwanze – auch wenn sie zum Teil in größeren Gruppen auftreten, interessieren sie sich lediglich für Samen und Früchte von Malvengewächsen. Ohrwürmer sind sogar den Nützlingen zuzuordnen, denn sie fressen Blattläuse. Sie krabbeln übrigens auch nicht ins Ohr, der Name stammt von dem früheren Einsatz der getrockneten und gepulverten Käfer bei Ohrenerkrankungen. Auch die Kellerassel ist besser als ihr Ruf – sie wandelt abgestorbene Pflanzenteile in Humus um. Schnecken gehen immer an den Salat und müssen mit Salz ferngehalten werden? Stimmt nicht ganz, der Tigerschnegel, eine auffällig gemusterte Nacktschneckenart, ernährt sich von den Eiern und frisch geschlüpften Nachkommen zahlreicher Schadschnecken.
Gehört man nicht zu den Insektenkundigen, kann man mit einem Foto oder Exemplar die Pflanzenschutzdienste der Bundesländer oder die Pflanzenschutzberater der örtlichen Kleingartenvereine um Rat fragen. Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft bietet zudem eine App zu Nützlingen im Garten an, wie sie gegen Schädlinge einsetzbar sind und unter welchen Umständen sie sich am wohlsten fühlen, inklusive Bestimmungsschlüssel. Aber natürlich gibt es auch zurecht weniger beliebte Garten- und Feldbewohner. Als Schädlinge gelten Lebewesen, die in großer Zahl auftreten und sich von Pflanzenteilen ernähren, Pflanzensaft saugen oder verschiedene Krankheiten auf die Pflanze übertragen, was es zu Ernteausfällen führt. Zu ihnen zählen Schnecken, Insekten, Vögel, Milben, Nematoden und auch einige Säugetiere.
Zugezogene und neue Feinde
Neben den altbekannten „Störenfrieden“ wie Apfelwickler, Schildlaus, Kartoffelkäfer und Co. bringen Klimawandel und Globalisierung neue Schädlinge auf deutsche Äcker und Kleingärten. Nicht in jedem Fall weiß man, wie man dem Feind begegnen soll.
• Kirschessigfliege: Sie befallen ein breites Spektrum an Pflanzenarten, so zum Beispiel sämtliche Stein- und Beerenobstarten. Und sie verbreiten sich schnell, zehn bis dreizehn Generationen sind pro Saison möglich, auf ein Weibchen kommen dabei im Schnitt 300 Nachkommen.
• Marmorierte Baumwanze: die aus China stammende Wanzenart befällt gezielt Früchte von Obst und Gemüse zahlreicher Arten, bei akutem Befall sind Gegenmaßnahmen meist kaum noch möglich. Natürliche Fressfeinde sind bislang noch nicht bekannt.
• Maulbeerschildlaus: Stein- und Kernobst, Johannisbeere oder Kirschlorbeer, vor der Maulbeerschildlaus bleiben zumindest in den wärmeren Gebieten Deutschlands wenig Arten verschont. Zumindest hat der Schädling hierzulande einige Fressfeinde.
• Grüne Reiswanze: Früher ist der Pflanzensaftsauger im Winter gestorben – am Oberrhein breitet er sich nun aber seit einigen Jahren zunehmend aus und macht Landwirten das Leben schwer. Die Larve wird häufiger mit der Marienkäferlarve verwechselt, adulte Tiere mit der Gemeinen Stinkwanze.
• Japankäfer: In Deutschland wurde der Käfer, der äußerlich dem Maikäfer ähnelt, bislang noch nicht gesichtet, sehr wohl aber in Italien und der Schweiz. Obwohl er in Japan durch Fressfeinde in Schach gehalten wird, richtet er anderswo Schäden in Millionenhöhe an: Wurzeln, Rasenflächen und die oberirdischen Pflanzenteile von Obst und Wein fallen ihn dann zum Opfer.
Pflanzenschutz – und womit genau?
Es ist kein Zufall, dass das Obst- und Gemüsesortiment direkt am Anfang eines Supermarkts platziert ist und gut ausgeleuchtet wird, damit es frisch und knackig aussieht. Die dadurch entstehende Marktatmosphäre entschleunigt vom Alltagsstress, vermittelt das Gefühl von Frische und Gesundheit. Pestizide passen da überhaupt nicht ins Bild. Laut einer Verbraucherumfrage zählen für 80 Prozent der Befragten Pestizidrückstände zu den größten Lebensmittelrisiken. Gleichzeitig zeigt ein Bericht des Bundesinstituts für Risikobewertung, dass das Verbraucherwissen über Lebensmittel und Pflanzenschutzmittel eher gering ist. Entgegen der verbreiteten Vorstellung sind Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln nicht verboten, es müssen allerdings Grenzwerte eingehalten werden.
In der Kontrollkette arbeiten von der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels bis zum fertigen Produkt auf dem Teller mehrere staatliche Behörden zusammen, wie unter anderem das Bundesumweltamt, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit oder das Bundesinstitut für Risikobewertung. Wird in der Überwachung festgestellt, dass der Wert der sogenannten Akuten Referenzdosis (ARfD), also die Menge eines Stoffes, die man an einem Tag ohne gesundheitliche Gefährdung aufnehmen kann, überschritten wird, greift durch die Vernetzung der unterschiedlichen Behörden ein Schnellwarnsystem und der Verbraucher kann zeitnah informiert werden. Generell empfehlen die Behörden: Um etwaige Rückstände von den Lebensmitteln zu entfernen, sollte man Obst und Gemüse vor dem Verzehr gründlich waschen, bei rauen Oberflächen auch unter dem Einsatz einer Gemüsebürste; gegebenenfalls kann auch die Schale entfernt werden.
Die gängigen Mittel umfassen Herbizide (Unkrautvernichter), Fungizide (gegen Pilzkrankheiten) und Insektizide (gegen Schadinsekten), sowie Pflanzenschutzmittel gegen Milben, Fadenwürmer, Schnecken und Nagetiere. Auch sogenannte Wachstumsregler (zum Beispiel Keimhemmungsmittel) zählen zu den Pflanzenschutzmitteln. Und wer jetzt denkt, Pestizide seien eine Erfindung der Neuzeit, irrt gewaltig: Homer schreibt von Schwefeloxid zur Pilzbekämpfung und Plinius der Ältere riet zu Arsen gegen lästige Insekten – bereits vor Christus wollte die Menschheit also möglichst gewinnbringend wirtschaften und Ernteausfälle vermeiden. Aber natürlich kommen derartige Mittel nicht nur großindustriell, sondern auch privat zum Einsatz. Baumärkte und Gartencenter verfügen auch diesbezüglich über gut gefüllte Regale – meist hinter Glas und verschlossen. Laut einer Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2010 gaben knapp 50 Prozent der Befragten an, selbst Gemüse oder Obst im Garten anzubauen – nur neun Prozent benutzen nach eigenen Angaben Pflanzenschutzmittel.
Das BfR Schätzt diese Zahl zu gering ein, unter Umständen werden Schneckenkorn oder Ameisengift gar nicht als Insektizide wahrgenommen. Zudem haben die meisten Verbraucher auch nur einen eingeschränkten Zugriff auf Insektizide und Co., denn sie sind keine Fachleute und dürfen daher nur solche Produkte verwenden, die mit „Anwendung durch nichtberufliche Anwender zulässig" gekennzeichnet sind. Berufliche Anwender müssen einen entsprechenden Sachkundenachweis besitzen. Trotzdem gelten auch für Privathaushalte die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für den landwirtschaftlichen beziehungsweise industriellen Einsatz. Unter anderem muss die Gebrauchsanweisung studiert werden und eine Anwendung darf nur in zugelassenen Anwendungsgebieten erfolgen.
Risikomanagement in Deutschland
Alle in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel finden sich im Pflanzenschutzmittelverzeichnis des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Auf der Homepage des BVL finden sich zudem viele Informationen rund um das Thema Zulassung, Sicherheit und Prüfung von Pflanzenschutzmitteln (https://www.bvl.bund.de/DE/04_Pflanzenschutzmittel/psm_node.html).
Biologische Alternativen
Natürlich ist die ökologische Landwirtschaft auch nicht vor Schädlingen gefeit, sie kann im Falle eines Befalls auf eine Liste bestimmter Pflanzenschutzmittel zurückgreifen, die für einen Bio-Betrieb zugelassen sind. Diese Liste ist kürzer als die der konventionellen Landwirtschaft und umfasst im wesentlichen Fettsäuren, Pflanzenöle, Kupfer, Schwefel, Bakterienstämme, Pyrethrine, Eisenverbindungen oder Pheromone. Die Vorstellung, im ökologischen Ackerbau wird überhaupt nicht gespritzt, ist demnach nicht korrekt, aber nach Angaben des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖWL) wird auf rund 95 Prozent der Bio-Ackerflächen auf Pestizide verzichtet und chemisch-synthetische Herbizide wie beispielsweise das vieldiskutierte Glyphosat kommen überhaupt nicht zum Einsatz.
Aber es geht natürlich auch ganz anders – Stichwort biologische Schädlingsbekämpfung. Was ist das überhaupt? Darunter versteht man die bewusste (durch den Menschen herbeigeführte) Einbringung von Viren oder Lebewesen (zum Beispiel natürliche Fressfeinde), um bestimmte Pflanzen oder Tiere (Schädlinge) zu bekämpfen. Der Grundgedanke dabei: In einem ausgewogenen Ökosystem treten Schädlinge nicht in übermäßiger Menge auf, da sie durch die natürliche Beziehung von Beute und Feind in Schach gehalten werden. Aber natürlich treten auch in der unberührten Natur phasenweise größere Mengen Parasiten auf, zum Beispiel in Form von Heuschrecken- oder Raupen-Plagen. Durch die gezielte Ansiedlung oder Förderungen von Nützlingen kann jedoch auch dann eine Mindest-Artenvielfalt gewährleistet werden ohne größere Ernte-Einbußen zu provozieren. Wie funktioniert das jetzt genau? Im Großen und Ganzen gibt es fünf Formen:
- Neue Nützlinge einführen, die bekanntermaßen Feinde der Schädlinge sind.
- Förderung und Erhaltung des Besiedelungsbestandes der natürlichen Feinde.
- Das Freilassen von Nutzorganismen in problematischen Phasen zur Überbrückung.
- Selbstvernichtungsverfahren, zum Beispiel durch Hemmung der Fortpflanzung des Schädlings.
- Resistente Pflanzen züchten.
Als Präventionsmaßnahme hat es sich zum Beispiel bewährt, Feldränder mit Hecken oder Grün- beziehungsweise Blüh-Streifen zu bepflanzen, das fördert die Biodiversität. Eine Maßnahme, die auch in jedem Garten umgesetzt werden kann. Ebenso wie das Anbringen von Nistkästen, Greifvogel-Sitzstangen oder Fledermauskästen – künftige Bewohner verspeisen liebend gerne lästige Larven, Schnecken oder Nagetiere. Wird jedoch ein Befall festgestellt, sind Akut-Maßnahmen gefragt – da kann manchmal schon eine Katze helfen. Die werden dafür übrigens bereits seit 10 000 Jahren gezüchtet, um Mäuse und andere Kleinnager vom Feld fernzuhalten. Ein modernes Beispiel für biologische Schädlingsbekämpfung wäre der Einsatz insektenpathogener Nematoden bei Gartenlaubkäfer-Befall. Nematoden sind Fadenwürmer, kleine, weiße bis farblose, fädige Würmchen. Sie befallen die Larven des Käfers und bringen ein Bakterium ein, das die Larven für sie als Nahrung aufbereitet. Oder Schlupfwespen, sie parasitieren viele Insekten mit großem Erfolg: Es können Raten von 50 bis 80 Prozent erreicht werden, vor allem dann, wenn viel Wirt vorhanden ist. Ein mögliches Einsatzgebiet ist zum Beispiel der Kampf gegen Mehlmotten, die gezüchteten Wespen werden dabei direkt am Ort des Befalls ausgebracht.
Ausgewählte Nützlinge und ihre „Quote“
• Raubmilben: Schaffen ungefähr 5 Spinnmilben pro Tag, bis zu ihrer Verpuppung kann eine Raubmilbe so 30 bis 50 Spinnmilben „beseitigen“.
• Marienkäfer: Die Larven sind sehr fleißig, bis zu ihrer Verpuppung machen sie Jagd auf ungefähr 400 Blattläuse.
• Blattlauszehrwespe: Sie übertrifft den Marienkäfer sogar noch, bis zu 1000 Blattläuse sind drin.
Erfolgsgeschichten
Bei all der Logik ist es trotzdem schwer vorstellbar, dass ein einzelner Organismus oder ein Virus dazu führen kann, dass ein Schädlingsbefall in Schach gehalten wird. Daher ein kleines Beispiel zur Veranschaulichung: 1979 fraßen sich eingeschleppte Schmierläuse durch die Maniok-Äcker Afrikas. Die stärkehaltigen Knollen der Pflanzen gehören zu den Grundnahrungsmitteln vieler Regionen Afrikas – eine Katastrophe also. Eine kleine Kampfgruppe Schlupfwespen konnte letztlich den Befall abwenden und das natürliche Gleichgewicht wiederherstellen, nicht etwa der Einsatz von Insektiziden. Letztere hat keinen großen Erfolg gezeigt und eher zu Schäden an Mensch und Umwelt geführt. Der Leiter des biologischen „Kampfeinsatzes“ war der Berner Forscher Dr. Hans Rudolf Herren, der für seinen Einsatz 1995 den Welternährungspreis und 2013 den Alternativen Nobelpreis erhielt. In Deutschland kam bereits in den 1950er Jahren biologische Schädlingsbekämpfung zum Einsatz. Auf eine Initiative des Landwirtschaftlichen Technologiezentrums Augustenberg konnte der Obstanbau großflächig erfolgreich gegen die damals gefürchtete San José-Schildlaus geschützt werden. Ein weiteres bekanntes und noch früher angesiedeltes Beispiel ist die 1880 gezielte Einführung eines australischen Marienkäfers in Kalifornien. Dort wütete nämlich die zuvor eingeschleppte Wollschildlaus, die enorme Schäden im Citrusanbau zu verschulden hatte.
Risiken und Grenzen
Bei all den glorreichen Siegeszügen muss natürlich auch über potenzielle Gefahren dieser Methode gesprochen werden. Einfach so eine größere Menge einer unter Umständen nicht beheimateten Art einzuführen birgt jede Menge Risiken, beispielsweise, wenn Nicht-Schadorganismen angegriffen werden und das ökologische Gleichgewicht durch eine Überpopulation belastet wird. Das passiert aktuell bei der Ausbreitung des asiatischen Marienkäfers in Deutschland, er verdrängt die heimische Siebenpunkt-Art, ist anscheinend resistenter und fühlt sich dabei pudelwohl. Angewendet wird er in der biologischen Schädlingsbekämpfung vor allem im ökologischen Weinanbau zur Beseitigung unterschiedlicher schädlicher Larven. Die Einführung der Aga-Kröte in Australien zur Bekämpfung des Zuckerrohrkäfers ist ein weiteres populäres Beispiel für eine gescheiterte Bekämpfungsaktion. Völlig gescheitert und offenbar nicht gut geplant, denn der Zuckerrohrkäfer ist tagaktiv, während die Kröte nachtaktiv ist. Ergebnis: Sie frisst eher Nützlinge und breitet sich weiter aus – mittlerweile gilt sie selbst als Plage. An dieser Stelle wird deutlich, dass der Einsatz biologischer Schädlingsbekämpfung erst erfolgen kann, wenn Situation, Schädling und Lebensraum im Vorfeld gründlich untersucht wurden. Dies gilt vor allem bei der Planung, nicht-heimische Arten (massenhaft) durch den Menschen einzuführen, das kann mitunter einen tiefen Einschnitt in das vorliegende Ökosystem bedeuten.
Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin
Quellen: www.landwirtschaft.de
www.moderne-landwirtschaft.de
www.landwirtschaft.ch
www.landwirtschaft.de
www.moderne-landwirtschaft.de
www.bvl.bund.de
www.bmel.de
www.mobil.bfr.bund.de
www.oekolandbau.de
www.boelw.de
www.spektrum.de
Ärzteblatt
www.biovision.ch