Ganzheitliche Ernährung
VOM ESSEN MIT GUTEM GEWISSEN
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Geboren 1950, wuchs Keller im Kaiserstuhl auf, im Familienrestaurant „Schwarzer Adler“ in Oberbergen bei Freiburg. Die Mutter war die erste Sterneköchin Deutschlands. Der Vater schummelte französische Weine über die Grenze, um sie den Gästen zu kredenzen. Der kleine Franz erlebte mit, wie mit Schweinen, Hühnern und Kaninchen umgegangen wurde: „Wir lebten mit unseren Tieren, mit den Reben, dem Boden in einem sehr überschaubaren Verwertungskreislauf.
Unsere Tiere hatten keine Namen und wurden nicht verwöhnt, aber sie wurden mit Respekt betrachtet, denn wir wussten, dass wir ihnen unser Überleben zu verdanken hatten.“ Nichts von dem, was bei der Lebensmittelzubereitung übrig blieb, wurde weggeworfen: Und wehe, du hast mal ein Stück altes Brot in die falsche Tonne geworfen“, erinnert er sich in seiner Autobiografie „Vom Einfachen das Beste“: „Da gab’s was hinter die Löffel.“
Wanderjahre Da das Koch-Gen anscheinend in der Familie lag, machte er seine Ausbildung in Freiburg, ging danach nach Frankreich – ins Mutterland des guten Essens – und kochte dann 18 Monate bei Paul Bocuse persönlich. Anschließend rief ihn sein Vater heim in den „Schwarzen Adler“, Frank Keller holte den zweiten Stern – doch dann gerieten die beiden Alpha-Männer immer öfter aneinander. Eine Kerbe in einem Holztisch zeugt heute noch vom finalen Streit, in dem der Nachwuchskoch einen Stuhl auf der Tischplatte zerschmetterte.
Um dann nach Italien auszuwandern. Dort lernte er eine andere Kochweise kennen. Nach den Erfahrungen der hochgradig verfeinerten französischen Küche fiel er von einem Staunen ins nächste: „Die Italiener nehmen das Leben leichter und machen nicht dieses ständige Aufheben… Sie nehmen ganz einfach gute Tomaten, Basilikum, Olivenöl, Salz und Pfeffer und fertig ist das Sugo.“ Keller resümiert: „Italien hatte mir gezeigt, dass man sich wegen dem ganzen Quatsch auch nicht verrücktmachen lassen durfte.“
Höhen und Tiefen Das sagte ein Sternekoch! Der Unternehmer Max Grundig engagierte ihn für das Schlosshotel Bühlerhöhe als Gastronomiechef (wieder ein Stern), entließ ihn 18 Monate später, dann kam ein eigenes Restaurant in Hattenheim im Rheingau und schließlich der große Knall. Franz Keller wollte zurück zu seinen Wurzeln. „Du bist ein Idealist“, sagt sein Sohn, der inzwischen den „Schwarzen Adler“ übernommen hat. Eckart Witzigmann, einer von Deutschlands ersten Promi-Köchen, meint: „Franz Keller hat ganz einfach angefangen, die Welt für sich und seine Gäste zu verändern.“ Der betreibt nun „Genuss-Handwerk“ mit „Schlichtheit ohne überzogenen Luxus“, wie er selbst sagt. Was steckt dahinter?
Ernährungswissenschaftler würden es wohl „ganzheitlich“ nennen: Keller zieht die Tiere selbst auf, die er später seinen und den Gästen seines Sohnes serviert. Sie hatten in ihrer Lebenszeit ein gutes, artgerechtes Dasein, die Limousin- und Charolais-Rinder ebenso wie die Bentheimer Schweine. Er verwertet das ganze Tier, vom Kopf bis zum Schwanz. Es gibt also nicht so oft Fleisch, auch nicht immer jedes vom Gast gewünschte Stück – und die Steaks, Rouladen und Würste, die es gibt, sind teurer als anderswo. Keller hat sich eingehend mit der modernen Massenaufzucht und den Schlachtmethoden beschäftigt und mahnt: „Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal auf einem zähen Stück Billigfleisch herumbeißen. Sie kauen auf der Todesangst eines auf barbarische Weise gezüchteten und geschlachteten Tieres.“
Gemüse als Hauptsache Übrigens betrachtet er sein neues Koch-Konzept als eine profunde Wertumkehrung: „Bestes Gemüse als die Hauptsache beim Essen, mit artgerechtem Fleisch als Beilage“ nennt er es. Man lebt im Rhythmus der Jahreszeiten, und selbstgezogene Tomaten schmecken besser als die ganzjährig verfügbare Treibhausware. Keller lehnt jeden Fanatismus und einseitige Ausrichtung in Bezug auf Nahrungsaufnahme übrigens ab. Auf den letzten Seiten seiner gerade erschienenen Autobiografie finden sich dann auch schlichte Rezepte, die von allem ein bisschen enthalten, kaum etwas kosten und sich nach dem Verfügbaren richten: Bratkartoffeln. Lauch-Gratin. Pot-au-Feu. Und Rosenkohl. Die Gerichte sind einfach, mit wenigen Zutaten nachzukochen und zergehen auf der Zunge.
Merkel und Putin Das ganzheitliche Konzept Kellers – der höhere Kosten hat als andere und immer schauen muss, ob sich das alles wirtschaftlich trägt – erregt Aufsehen. Der 68-Jährige tourt durch Talkshows und durch Rundfunksender, wo er erklärt, was es mit Olympus, dem Bullen, und seinen Bentheimer Schweinen auf sich hat. Und wie das damals war, als Angela Merkel sich bei ihm mit Wladimir Putin zum Essen traf. Trotz ihres strengen Diätplans kostete die Kanzlerin noch vom Nachtisch. Es gab Zwetschgenröster und Quarknockerln sowie Tarte Tartin mit Apfelbrand und Honigeis. Sie konnte einfach nicht widerstehen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/18 ab Seite 26.
Alexandra Regner, PTA/Redaktion
Franz Keller
ist der Autor des Buches „Vom Einfachen das Beste – Ein Sternekoch greift an. Essen ist Politik oder Warum ich Bauer werden musste, um den perfekten Genuss zu finden“.
Westend-Verlag, 24 Euro, 256 Seiten, ISBN-10: 3864892031, ISBN-13: 978-3864892035
Olympus von der Rasse der Limousin-Rinder wiegt gut und gern seine 1300 Kilogramm, sieht aus wie ein Bison und schmust gern. Er ist der Chefbulle auf Franz Kellers „Falkenhof“ im Wispertal unweit von Wiesbaden. Olympus hat keinen Ring in der Nase, sein Herrchen striegelt ihn ab und zu mit der Kartätsche, es geht auch so. Der Bulle sorgt dafür, dass es Kälbchen auf dem Falkenhof gibt. Die dürfen dann, wenn sie für die beiden angeschlossenen Restaurants bestimmt sind, drei Jahre lang auf der Wiese und im Stall herumlaufen. Wenn ihre Zeit gekommen ist, begleitet das Tier ein Kamerad aus der Herde in den nahe gelegenen Schlachthof, sozusagen als Sterbehelfer. Sechsbis achtmal passiert das im Jahr.
Einfach, aber gut Franz Keller, der ehemalige Sternekoch, zieht bewusst seine eigenen Rinder, Schweine, Hühner und Kaninchen groß. Jahrelang war er im Guide Michelin vertreten, erst mit einem, dann mit zwei Sternen, bis es dann – er war 42 Jahre alt – zum radikalen Umbruch kam. Er schrieb dem Gastro-Führer einen Brief, dass er bei dem „Sternezirkus“ nicht mehr mitmache. Auch die 900 Stammgäste seiner damaligen Gaststätte im Rheingau bekamen einen solchen: Keller kündigte ein neues Konzept an, nannte es „Vom Einfachen das Beste“. Er wollte zurück zu einer ganzheitlichen Ernährung, und er meinte es wirklich ernst.