Reiseapotheke
URLAUBSFIEBER
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Krank in den Ferien: Mit diesem Thema würden sich viele Reisefans am liebsten überhaupt nicht auseinandersetzen, schließlich möchten sie den wohlverdienten Urlaub in vollen Zügen genießen und sich endlich einmal keine Sorgen machen.
Doch die Realität sieht anders aus: Gerade in den Ferien ist das Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen beachtlich. Schon banale Einflussfaktoren – wie der Stress kurz vor der Abreise, die kühle Klimaanlagenluft im Flieger, die Zeitumstellung, die ungewohnte Hitze oder der geringe hygienische Standard am Urlaubsort – können das Immunsystem schwächen und es Krankheitserregern leicht machen, in den Körper einzudringen.
Die Folgen reichen von der berüchtigten Reisediarrhoe bis hin zu einer heftigen Erkältung. Neben Infektionen lauern auf Reisen auch andere gesundheitliche Risiken. Oft werden Urlauber beispielsweise von Sonnenbrand, Reisekrankheit, Insektenstichen, Kopfschmerzen oder Sportverletzungen geplagt. Bei manchen spielt die Verdauung verrückt, wenn sich der ansonsten so geregelte Tagesablauf plötzlich verändert, und andere reagieren mit Schlafstörungen auf fremde Betten.
Die Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, für den Akutfall eine gut sortierte Reiseapotheke im Gepäck zu haben. Diese Botschaft sollten Sie Ihren Kunden mit auf den Weg geben und Ihnen auch bei der individuellen Zusammenstellung des wichtigen Medikamententäschchens beratend zur Seite stehen.
Individuell bestückt Was in die Reiseapotheke gehört, ist von vielen Faktoren abhängig, unter anderem vom Urlaubsziel, der Reiseart, aber auch vom Alter und Gesundheitszustand. Klar, dass für das Luxushotel auf Mallorca andere Medikamente in den Koffer gehören als für die Rucksacktour durch Indien. Deshalb sollten Sie im Beratungsgespräch klären:
Wohin geht die Reise? Je „exotischer“ das Urlaubsziel und je einfacher die Reiseumstände, umso umfangreicher wird wahrscheinlich die Reiseapotheke bestückt werden müssen. Zu berücksichtigen sind vor allem die klimatischen Bedingungen und die hygienischen Verhältnisse vor Ort. Bei Fernreisen sind unter Umständen spezielle Reiseimpfungen und eine Malariaprophylaxe erforderlich. Bei Tropenreisen werden eventuell Einmalspritzen und Einmalkanülen sowie Präparate zur Wasserentkeimung benötigt.
Wer reist mit? Vor allem mit den Kleinen ist es unerlässlich, kindgerecht dosierte Arzneimittel mitzunehmen – etwa Nasentropfen, Fiebersaft und Antidiarrhoikum. Weisen Sie Eltern darauf hin, dass viele Wirkstoffe für Kinder unterhalb bestimmter Altersgrenzen kontraindiziert sind.
Welche Aktivitäten sind geplant? Die einen möchten reichlich Sport treiben, die anderen am Strand faulenzen. Auch an den geplanten Aktivitäten sollte sich der Inhalt der Reiseapotheke orientieren. So sollten Sportler auf jeden Fall geeignete Erste-Hilfe-Präparate für kleine und größere Blessuren im Koffer haben.
Wie ist es um die Gesundheit bestellt? Menschen mit chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes müssen die Reiseapotheke besonders sorgfältig zusammenstellen. Arzneimittel, die regelmäßig eingenommen werden, müssen in ausreichender Menge für die gesamte Dauer eingepackt werden – inklusive einer großzügig bemessenen Reserve. Tipp: Fragen Sie chronisch kranke Kunden, welche Präparate sie einnehmen. Dann können Sie die Reiseapotheke so zusammenstellen, dass Wechselwirkungen mit verordneten Medikamenten ausgeschlossen sind.
Wo liegen die Schwachstellen? Die einen werden im Urlaub häufig von Verstopfungen geplagt, die anderen leiden unter Migräne, dritte neigen zu Sonnenallergien und wieder andere zu Schlafstörungen. Fragen Sie nach, wo die persönlichen gesundheitlichen Schwachstellen liegen und empfehlen Sie entsprechende „Gegenmittel“.
Manchmal unersetzlich Von Nutzen können, insbesondere bei Neigung zu entsprechenden gesundheitlichen Problemen, Arzneimittel gegen Reisekrankheit, Verstopfung, Blähungen, Sodbrennen, Schlafstörungen und Lippenherpes sein.
Die Reisekrankheit (Kinetose) vermiest vielen Menschen bereits die ersten Urlaubsstunden. Ob im Bus, im Auto oder auf dem Schiff: Die typischen Symptome wie Schwindel, Übelkeit und Erbrechen können in jedem Verkehrsmittel auftreten. Zur Vorbeugung und Behandlung können Sie Ihren Kunden Reisetabletten oder -kaugummis mit Wirkstoffen wie Dimenhydrinat empfehlen, die antiemetisch wirken.
Es gibt sowohl Präparate für Erwachsene als auch geringer dosierte (z. B. Suppositorien) für Kinder. Wichtig ist im Beratungsgespräch der Hinweis, dass diese Arzneimittel das Reaktionsvermögen beeinträchtigen und müde machen. Deshalb dürfen sie von Autofahrern nicht eingenommen werden.
Eine weitere Behandlungsoption sind Fertigarzneimittel mit Ingwerwurzel oder Akupressurbänder.
Verstopfung (Obstipation) tritt auf Reisen häufig durch veränderte Ernährungsgewohnheiten auf. Deshalb sollten Abführmittel nicht in der Reiseapotheke fehlen. Geeignet sind etwa zuverlässig wirksame stimulierende Laxanzien, die die Darmbewegungen verstärken. Dazu zählen Präparate mit Bisacodyl und Natriumpicosulfat, aber auch pflanzliche wie Sennesblätter und -früchte. Osmotisch wirkende Abführmittel wie Lactulose und Macrogole binden Wasser im Darm und tragen so zu einer Verflüssigung und Volumenzunahme des Darminhalts bei.
Vorsicht, Fälschungen!
Besonders wichtig ist eine gut sortierte Reiseapotheke für Kunden, die eine Reise in eine entlegene Region der Erde planen. Nicht nur, weil hier die Gefahr höher ist, sich eine Infektion zuzuziehen, sondern auch, weil es in exotischen Gefilden oft nur sehr schwer möglich ist, im Krankheitsfall an die erforderliche Medizin zu kommen. Zudem ist vor allem in Afrika und Asien die Gefahr groß, anstelle eines wirksamen Arzneimittels eine Fälschung zu bekommen. Eine Stichprobe des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker mit in Thailand gekauften Präparaten hat gezeigt: Der Wirkstoffgehalt der Plagiate ist reine Glückssache. Wenn die Arzneimittel überhaupt den angegebenen Wirkstoff enthielten, dann meist jedoch nicht in der deklarierten Dosierung.
Blähungen, Magenkneifen, Völlegefühle, Sodbrennen – wer ungewohnte, mitunter scharf gewürzte Kost genießt, bleibt nicht immer davon verschont. Vor allem Kunden mit ohnehin empfindlichem Verdauungssystem sollten vorsorgen und für den Akutfall geeignete Arzneimittel mit in die Ferien nehmen. Gut gegen Blähungen helfen Entschäumer mit Simeticon oder Dimeticon; Sodbrennen vertreiben Antazida, die überschüssige Magensäure binden und neutralisieren, oder Protonenpumpenhemmer (PPI), die die Bildung von Magensäure hemmen.
In geringer Dosierung sind PPI mit den Wirkstoffen Omeprazol und Pantoprazol rezeptfrei erhältlich und für die kurzzeitige Selbstmedikation geeignet. Bewährt gegen eine Vielzahl von Magen-Darm-Beschwerden haben sich Präparate mit Extrakten unterschiedlicher Heilpflanzen.
Bei Schlafstörungen im Urlaub müssen und sollten Betroffene nicht gleich zu starken rezeptpflichtigen Hypnotika greifen. Für die Selbstmedikation gut geeignet sind vor allem pflanzliche Sedativa mit Extrakten aus Hopfenzapfen, Baldrianwurzeln, Passionsblumenkraut und Melissenblättern, die kaum Nebenwirkungen haben, am nächsten Morgen nicht mehr „nachwirken“ (kein Hang-over-Effekt) und kein Suchtrisiko bergen. Einen pflanzlichen Einschlafhelfer sollten Menschen, die zu Ein- und Durchschlafstörungen neigen, vorsichtshalber in ihre Reiseapotheke packen.
Lippenherpes bricht bevorzugt dann aus, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Oft passiert es durch intensive Sonneneinstrahlung. Der Rat für Ihre Kunden: Am besten schon beim ersten Kribbeln an der Lippe eine Lippenherpescreme (z. B. Aciclovir, Penciclovir, Docosanol) aus der Reiseapotheke auf die betroffene Hautstelle auftragen.
Alternativ gibt es auch topische Präparate mit konzentriertem Melissenextrakt, dem ebenfalls eine Wirkung gegen die Viren zugeschrieben wird, oder Herpesbläschenpflaster (Patches), die die Blasenflüssigkeit aufnehmen. Spezielle Pflegestifte mit hohem UV-Schutz und Melissenextrakt können die Lippen im Sommerurlaub vorbeugend schützen.
Neben den genannten Beschwerden kann es auch zu zahlreichen anderen Gesundheitsstörungen kommen, die oft in Eigenregie therapiert werden können. Wer zum Beispiel von einer Pollenallergie geplagt wird, sollte für alle Fälle lokale und systemische Antihistaminika in den Koffer packen, und Frauen, die bereits des öfteren Bekanntschaft mit Vaginalmykosen gemacht haben, sollten nicht ohne Antimykotika (Vaginaltabletten und -creme) auf Reisen gehen. Fordern Sie Ihre Kunden zum Nachdenken auf: Um individuellen Schwachstellen auf die Spur zu kommen, ist die Frage nach Beschwerden, die im letzten Urlaub aufgetreten sind, äußerst hilfreich.
Immer im Gepäck Neben Arzneimitteln, die im Einzelfall wichtige und richtige Begleiter sind, gibt es auch Inhalte, die in jede Reiseapotheke gehören. Dazu zählen insbesondere: Fieberthermometer, Pinzette, Schere, Verbandzeug sowie Präparate zur Behandlung von Wunden und Verletzungen, Insektenstichen und Sonnenbrand, Durchfall und Erbrechen, Erkältungsbeschwerden sowie Fieber und Schmerzen.
Am Strand in eine Muschel getreten, beim Wandern gestürzt und das Knie aufgeschlagen – vor Bagatellverletzungen ist im Urlaub niemand gefeit. Deshalb sollten neben Verbandmaterial und Pflastern unbedingt auch Desinfektionsmittel in Sprayform (z. B. Octenidin) sowie Wund- und Heilsalbe (z. B. Dexpanthenol) mitreisen.
Mit Arzneimitteln unterwegs
+ Tabletten und Kapseln sind oft bessere Begleiter als zerbrechliche Saftflaschen oder Zäpfchen, die bei Hitze schmelzen können.
+ Sinnvoll sind Lutsch-, Kau- oder Schmelztabletten, die auch ohne Flüssigkeit genommen werden können.
+ Hitzeempfindliche Medikamente sind in einer speziellen Kühltasche aus Ihrer Apotheke gut aufgehoben.
+ Arzneimittel, die während der Anreise benötigt werden, sollten Betroffene stets griffbereit haben. Dazu zählen Medikamente, die zu festgelegten Zeiten eingenommen werden müssen, aber auch Mittel gegen Reiseübelkeit und Kopfschmerzen.
+ Bei Flugreisen gehören wichtige Medikamente sowie kälteempfindliche Präparate (z. B. Insulin) ins Handgepäck. Ratsam: Ein Attest, das die Mitnahme im Handgepäck aus ärztlicher Sicht bestätigt.
Empfehlenswert für alle, die gerne zu Fuß unterwegs sind, sind darüber hinaus Blasenpflaster. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang der Beratungshinweis, dass Blasen niemals aufgestochen werden dürfen – sonst besteht akute Infektionsgefahr.
Sonnenbrand, „Sonnenallergien“ und Insektenstiche gehören zu den Schattenseite des Urlaubs. Vor UV-bedingten Hautschäden und -irritationen schützen in erster Linie ein vernünftiger, zurückhaltender Umgang mit dem heißen Planeten und ein hochwertiges Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor. Kunden, die unter der im Volksmund als „Sonnenallergie“ bezeichneten polymorphen Lichtdermatose (PLD) leiden, sollten Sie zu Sonnenschutzmitteln mit Antioxidanzien raten, unter Umständen kann auch die präventive Einnahme von Omega-3-Fettsäuren hilfreich sein. Für Kunden mit Mallorca-Akne wiederum sind fett- und emulgatorfreie Sonnenschutzmittel und Kosmetika die richtige Wahl. Zur Behandlung einer PLD eignen sich Zinkschüttelmixturen.
Unbedingt in jede Reiseapotheke gehören ein juckreizlinderndes Antihistaminikum für die topische Anwendung und/oder eine Hydrokortisoncreme zur Behandlung von Sonnenbrand und Insektenstichen. Apropos Insektenstiche: Um stechende Plagegeister auf Distanz zu halten, sollten Ihre Kunden ein geeignetes Repellent (z. B. DEET, Icaridin) einpacken.
Da Mücken vor allem in tropischen Ländern der Erde gefährliche Krankheiten auf den Menschen übertragen können, sollten Sie Fernreisenden eine reisemedizinische Beratung ans Herz legen. Gegen manche durch Stechmücken übertragene Krankheiten (z. B. Gelbfieber, Japanische Enzephalitis) gibt es einen wirksamen Impfschutz, zur Vorbeugung von Malaria ist eine Chemoprophylaxe mit rezeptpflichtigen Medikamenten erforderlich.
Ein gefürchtetes Souvenir ist der Reisedurchfall, der meist durch Bakterien oder Viren hervorgerufen wird. Bei klassischer Reisediarrhoe ist es das primäre Therapieziel, den Wasser- und Mineralsalzverlust des Körpers auszugleichen. Empfehlen Sie insbesondere Familien mit jüngeren Kindern und Senioren, orale Rehydratationslösungen einzupacken. Ebenfalls wichtig für den Ernstfall sind geeignete Antidiarrhoika. Bewährt sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung einer Reisediarrhoe hat sich medizinische Hefe, auch bestimmte Laktobazillen sind hier hilfreich.
Muss der Durchfall beispielsweise vor einem Flug oder einem Bustransfer gestoppt werden, ist der Wirkstoff Loperamid das Mittel der Wahl. Er gehört in jede Reiseapotheke, sollte jedoch ohne ärztliche Verordnung nur kurzzeitig eingenommen werden. Weitere gängige Antidiarrhoika sind unter anderem Extrakt aus der Uzarawurzel, Tanninalbuminat und medizinische Kohle. Wird die Reisediarrhoe von Erbrechen begleitet, können Dimenhydrinatpräparate gute Dienste leisten.
Neben Durchfall gehören Erkältungen zu den häufigsten Infektionskrankheiten auf Reisen. Schnupfen, Halsweh und Husten sind die klassischen Symptome, manchmal kommen Kopf- und Gliederschmerzen sowie mäßig hohes Fieber hinzu. Der Grund, warum Hustenlöser (z. B. ACC, Ambroxol), Nasenspray (z. B. Oxymetazolin, Xylometazolin) sowie Lutschtabletten (z. B. Isländisch Moos) ins Gepäck gehören. Gut für unterwegs sind auch Kombinationspräparate gegen unterschiedliche Erkältungssymptome.
Ein weiteres Muss, egal wohin die Reise geht, ist ein Präparat zur Behandlung von Fieber und Schmerzen. Empfehlen Sie ein bewährtes Analgetikum wie Paracetamol, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure, wobei letztgenanntes für Kinder jedoch kontraindiziert ist.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/13 ab Seite 58.
Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin