© Frater Aloisius

Der Apothekenkrimi

TOD IM LABOR - TEIL 5

Lange hat es keine Bewegung in Annettes Nachforschungen gegeben. Wie ist Werner Heinzmann tatsächlich gestorben? War es wirklich einfach nur Herzversagen, was den Leiter der PTA-Schule dahingerafft hat? Doch so zäh sich die Ermittlungen der pfiffigen, blonden PTA aus der Bärenbach-Apotheke gestalten, so glücklich ist sie privat: Gerade hat sie eine Nacht auf dem Hochsitz mit dem jungen Freiherrn Frido verbracht. Doch ihr bleibt nicht viel Zeit zum Träumen, denn endlich kommt Schwung in die Sache mit dem ungeklärten Todesfall…

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Kapitel 13 Das Telefon klingelte. Ulla Brambach verdrehte die Augen. Bitte jetzt nicht. Sie war total erschöpft von der Klausurvorbereitung mit ihrem jüngsten Sohn; der schrieb morgen Deutsch. Die Note sollte in das letzte Zeugnis vor dem Abitur einfließen, und der Junge hatte eine Verbesserung wirklich dringend nötig.

Thomas Manns „Tod in Venedig“ noch im Kopf mit all seinen morbiden Anspielungen, nahm sie den Hörer ab. Die Nummer, die im Display erschien, kannte sie von irgendwoher. Aber sie war zu müde, um darüber nachzudenken. „Ulla? Ich bin’s, Angelika. Du, ich war vorhin im Supermarkt, und da ist mir was eingefallen.“

Angelika, die AMK-Lehrerin, war im Supermarkt gewesen. Na, das klang ja spannend. Ulla wappnete sich in Geduld. „Ja, weißt du, ich wollte Erdbeeren holen, für ein Tiramisu, Leo isst das doch so gern.“ Es kam auch nur Ulla auf die Idee, im Februar Erdbeeren kaufen zu wollen. Und, soweit Ulla Angelikas Ehemann Leo kannte, hätte der auch zerschnipselte Schuhsohlen gegessen, der merkte doch gar nicht, was der sich in den Mund schob.

Aber die Chemielehrerin sagte nichts. Mal hören, was die Kollegin zu berichten hatte. „Ja, und als ich so vor den Auslagen mit dem Obst stand, da ist mir was eingefallen, das ging mir schon die ganze Zeit im Kopf herum“, wiederholte Angelika Komm auf den Punkt, dachte Ulla. „Da war was mit einer Mango.“ „Mit einer Mango?“ „Ja, du hattest mir doch gesagt, ich solle dir alles erzählen, was mir einfällt, ich meine, alles, was rund um Werners Tod passiert ist.“

Jetzt war Ullas Neugier erwacht. Ihr Geist wurde auf einmal glasklar. „Also, es hing mit dem Geburtstagsessen zusammen, das haben wir doch im Lehrerzimmer aufgetischt, du erinnerst dich.“ Aber ja doch, natürlich erinnerte sie sich. „Die Lili hatte ein indisches Curry gekocht, und keiner mochte das essen, weil‘s so stark gewürzt war. Werner blieb vor dem großen Topf stehen und meinte: „Ach, Lilimaus, ich ess‘ das für mein Leben gern, das weißt du doch. Aber diesmal ist es ein bisschen scharf….“

Und da guckt sie ihn an und sagt: „Weißt du was, Werner? Ich schneid‘ dir eine Mango rein. Das nimmt die Schärfe und es wird ein ganz klein wenig süß.“ Er hat gegrinst und geantwortet: „So süß wie du?“ „Das hat er gesagt?“ Ulla Brambach konnte es kaum fassen. Hatten die was miteinander gehabt? „Und dann schnappt sie sich einen Teller, füllt ihm eine Portion auf, nimmt eine Mango aus dem Obstkorb, den sie mitgebracht hatte und verschwindet in die Küche.“ „Das hab ich gar nicht mitgekriegt.“

„Ihr standet alle am Computer, bespracht die Listen mit den Schülerinnen, die sich fürs neue Semester angemeldet hatten und die jetzt umverteilt werden mussten, ich weiß das noch genau. Aber weil ich gerade mit dem Buffet beschäftigt war, war ich die einzige, die nicht in eurem Pulk stand. Und natürlich Werner und Lili. Die guckten sich irgendwie so komisch an, die ganze Zeit. Ich fühlte mich sehr unbehaglich dabei.“ Ulla räusperte sich. „Sie hat ihm also diese Mango ins Curry geschnitten?“

„Sie war in der Küche, kam wieder raus und stellte den Teller vor ihn hin. So, mein Lieber, hat sie gesagt. Lass es dir schmecken. Ein Curry ist ja immer so… ein Brei, aber man konnte das Fruchtfleisch deutlich erkennen, Lili hatte es in Würfel geschnitten. Und Werner hat dann reingehauen wie ein Stier. Köstlich, köstlich, hat er gesagt.“ „Aha.“ Ulla war ein bisschen ratlos. „Und was ist daran jetzt so merkwürdig?“ Angelika schwieg jetzt. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme ein wenig verzagt.

„Ich weiß ja nicht, ob das wichtig ist. Aber als ich nach Schulschluss in die Küche ging, um aufzuräumen, räumte ich natürlich auch die Arbeitsflächen leer. Und da lag, unter einem Küchenhandtuch verborgen, diese Mango.“ „Hat sie die Reste einfach liegen lassen… Lili ist ein bisschen unordentlich, das weißt du doch.“ „Nein, Ulla.“ Angelika sprach jetzt gehetzt. „Das ist es ja. Die Mango war unversehrt. Sie hatte sie überhaupt nicht angebrochen. Und dann noch etwas: Auf der ganzen Arbeitsplatte lagen Zuckerkrümel verstreut. Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen.“

Kapitel 14 „Was machst du gerade, mein Liebling?“ Fridos Stimme am Ohr, hatte sich Annette in den Plüschsessel fallen lassen, dessen Anwesenheit ihr Pensionszimmer erfolglos aufzupeppen versuchte. Sie lauschte in ihr Handy, das schon ganz warm war vom Telefonieren. Schließlich hatte sie gerade eine halbe Stunde mit Ulla Brambach gesprochen, die ihr aufgeregt, aber ratlos von dem Gespräch mit der Kollegin erzählt hatte. Sie wusste zwar nicht, was deren Beobachtung zu bedeuten hatte, spürte aber, dass sie wichtig war.

„Ich…“, sagte Annette. „Ich bin total durcheinander.“ „Wir sehen uns ja am Wochenende wieder“, sagte Frido tröstend. „Nein, deshalb nicht… also, auch…“ „Ach, schade.“ Frido lachte sein warmes Lachen, in das man sich so schön einkuscheln konnte, und Annette wünschte sich auf der Stelle weit weg von Mord und Totschlag, geradewegs in seine Arme. Sie dachte an die Morgendämmerung auf dem Hochsitz zurück. Dass sie die Kälte plötzlich nicht mehr spürte in dieser schweigenden Eintracht, die nur durch ein paar geflüsterte Worte unterbrochen wurde.

Und wie er dann… „Komm, sag schon, was los ist“, forderte Frido sie auf. „Irgendwas hast du doch. Vielleicht kann ich dir helfen.“ Annette setzte sich gerade hin. Und dann erzählte sie Frido von den Vorkommnissen beim Geburtstagsessen, in der die Mango, die niemals gegessen wurde, eine zentrale Rolle spielte. „Hm.“ Auch Frido war ratlos, „Aber die AMK-Lehrerin hat doch das Fruchtfleisch in dem Essen deutlich gesehen.“ „Ja, eben. Das ist es, was so merkwürdig scheint.“ „Mord mit `ner Mango“, brummte der junge Freiherr vor sich hin.

“Warte mal…“ Sie hörte eine Computertastatur klicken. Und dann hörte sie lange nichts. „Bist du noch da?“ fragte sie zaghaft. Vielleicht war er in sein Emailprogramm geraten? Und las gerade eine Nachricht von Bernadette, der schönen Gräfin, die ihn unbedingt zurückhaben wollte.?

Die ihm ein Jägerwochenende in Südafrika versprach, samt komfortabler Unterbringung auf der Loggia eines Safari-Hotels… in dessen Polstern sie sich dann räkelte… „Annette.“ Fridos Stimme klang seltsam, so metallisch und schneidend. „Hast du dein Tablet dabei?“ „Ja“, sagte sie verwundert. „Kommst du ins Internet?“ „Ich hab den Stick mit.“ „Dann lock dich ein. Und gib bei Google die Worte ein: Mango. Und Mord.“ An diesem Abend saß Annette noch sehr lange in ihrem Plüschsessel. Und dachte nach.

WAS BISHER GESCHAH
Werner Heinzmann, Leiter der PTA-Schule Kallenberg, ist leider verschieden. Man fand ihn tot im Galeniklabor, und die Chemielehrerin Angelika Brambach fragt sich, ob das Urteil der Behörden stimmen kann. Die fanden nichts Außergewöhnliches am Herztod des 52-jährigen. So geht die PTA Annette auf Mördersuche – und schreibt sich dazu als Schülerin ein.

Kapitel 15 „So“, sagte Lili Wissner. Sie packte den Stapel Papiere zusammen und stieß sie auf das Pult: tack-tacktack. „Das war’s. Sie haben jetzt alle Informationen fürs Examen, wenn Sie sich an meine Lernzettel halten, dürften Sie keine Probleme haben. Keine Angst, das schaffen Sie schon!“ Und sie lächelte ihren Schülerinnen und dem einen Schüler zu, ein klein wenig Wehmut im Herzen. Würde der darauffolgende Jahrgang der letzte sein? Würde sie noch einmal soviel Glück haben, vor Klassen stehen und ihr Wissen vermitteln zu können?

Sie liebte dieses Gefühl, dass die jungen Menschen an ihren Lippen hingen; sie wusste, dass ihr Unterricht gut war, richtig gut. Sie hätte mit Leichtigkeit ein Buch schreiben können: „Gefahrstoffkunde für pharmazeutische Lehranstalten.“ Und dann die Pflanzen, die waren ihr Steckenpferd. In Botanik nahmen sie auch schon mal den Oleander auseinander, der ja eigentlich nicht in das Fach gehörte. Aber die Mädels sollten wissen, wie eine heimische Giftpflanze aussah. Diese Blonde in der ersten Reihe.

Irgendetwas irritierte sie heute an ihr. Sie guckte so klar und entschlossen, allerdings nicht in ihr Buch. Vielleicht hatte sie genug Erkenntnisse gesammelt für ihren Wiedereintritt ins Berufsleben. Und hatte vor allem gemerkt, dass der Unterricht in der PTASchule nur wenig mit dem Alltag in einer Apotheke zu tun hatte. „Arrivederci“, sagte Lili, winkte den Schülern kurz zu und hing in Richtung Lehrerzimmer. Sie würde sich einen Yogi- Tee machen. Einen Freitagmittag-Abschlusstee, das war ihr kleines Ritual.

Lili Wissner ordnete langsam und methodisch die Papiere auf ihrem Schreibtisch, atmete dabei genießerisch den Geruch des Gewürztees ein. Ach, was war das Leben schön. Und sie würde auch dafür sorgen, dass das so blieb. An der Tür klopfte es. Lili schaute verwundert hoch. Wer sollte das sein? Alle Schüler waren aus dem Gebäude verschwunden, sie hatte es deutlich gehört, als die Mädchen in Feierabendlaune am Lehrerzimmer vorbei zogen.

„Herein!“ rief sie. Die blonde PTA, diese Annette… Loos trat ein. Sie lächelte nicht. Sagte: „Hallo.“ Und dann: „Ich möchte mich abmelden.“ „Oh“, sagte Lili Wissner. „Der Monat ist doch noch gar nicht zu Ende. Sie haben doch bis zum Schluss bezahlt.“ „Meine Zeit hier ist um“, sagte die junge Frau.

„Ich muss wieder nach Hause. Vielleicht schaue ich einfach mal in die Apotheke rein, die mich einstellen will und lerne von den PTAs, die schon dort sind.“ „Okay.“ Lili Wissner fand irgendwas komisch; was genau konnte sie nicht sagen. „Dann wünsche ich Ihnen alles Gute.“ „Vielen Dank.“ Annette Loos machte keine Anstalten, zu gehen. „Ist noch was?“ fragte Lili freundlich. Die PTA öffnete den Mund. „Frau Wissner, kennen Sie den Zerberusbaum?“

»Hast du dir mal überlegt, warum er dich nie anruft, Lili?«

Kapitel 16 Zerberus, der Höllenhund. Er bewachte in der griechischen Mytologie das Ufer des Hades, des Totenflusses, damit auch kein Verdammter wieder zurück konnte in das Reich der Lebenden. Die Einwohner Keralas wussten schon, warum sie ihn schon nannten. Und so hatte der Name des Bäumchens auch Eingang in die offizielle botanische Nomenklatura gefunden: Cerbera odollam, auch Pong Pong Tree oder See-Mango. Der Selbstmordbaum.

Lili Wissner saß auf einem Stuhl in ihrer kleinen Küche und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Wie hatte diese Frau das herausgefunden? Sie ließ die Ereignisse Revue passieren. Werner war am Abend vor dem Geburtstagsessen zu ihr gekommen. Sie sollte zuerst davon erfahren, bevor er es morgen der Belegschaft verkündete. „Die Schule wird geschlossen, Lili“, hatte er gesagt. Und sie angeschaut. Er wusste genau, was das für sie bedeutete. Und sie wurde das Gefühl nicht los, dass er es genoss.

Lili schloss die Augen. Wenn nur Diri bei ihr wäre. Werner hatte es nie so ganz verwunden, dass sie sich von ihm abgewendet hatte, bloß um sich mit einem „mittellosen Inder“ zusammenzutun, wie er Diri verächtlich nannte. Aber natürlich hatte er nicht viel zu sagen; denn schließlich war er der verheiratete Mann. Werner wusste, dass sie nur in diesem Biotop gedeihen konnte. Für die Apotheke war sie ungeeignet, private Kontakte knüpfte sie nur schwer.

In der PTA-Schule fühlte sie sich sicher und sie lebte für die Zeit, in der sie nach Kerala, nach Südindien reisen konnte. Wirklich getroffen hatte sie aber das, was er danach von sich gab. Ach komm, hatte er gesagt, nun mach doch kein Drama draus. Dann verdienst du halt woanders deine Kröten. Wir zwei im Kraftfahrzeugmeldeamt, was meinst du? Und er hatte gelacht und sie aus funkelnden Augen betrachtet. Wenn du doch nur deine Euros beisammen halten könntest. Und nicht alles diesem indischen Gemüsehändler zustecken würdest. Der nutzt dich doch nur aus, Lili. Er ist so viel jünger als du.

Was weißt du schon von seinem Leben, wenn du nicht da bist. Hast du dir mal überlegt, warum er dich nie anruft? Er hat doch kein Handy, hatte sie geflüstert. Ach ja? fragte Werner. Das ist doch Unfug. Jeder hat dort ein Handy. Und wenn einer keins hat, dann weiß er, wie er mit der Frau, die er liebt, Kontakt halten könnte. Sie starrte ihn an. Lili. Sei doch wieder du selbst. Du hast das nicht nötig. Der Hass auf ihn brach so unvermittelt hervor, dass sie Mühe hatte, ihn zu zügeln. Geh jetzt bitte, hatte sie gesagt. Er trat vor sie und umfasste ihre Arme mit seinen Händen.

Ich mag dich viel zu sehr, um mit anzusehen, wie du dich zum Narren machst mit diesem Gigolo. Komm, ich will nichts von dir. Ich möchte nur, dass es dir gut geht. Du sollst keine von diesen verbitterten Frauen werden, die mit aller Gewalt jugendlich zu bleiben versuchen. Und du bist nicht mehr jung, Lili. Da helfen auch lange, bunte Röcke und klimpernde Ohrgehänge nichts. Wir beide, wir altern jetzt.

Werner lächelte. Der hatte auch gut reden. Er sah noch so toll aus mit seinen grauen Schläfen und den blitzeblauen Augen. Der wusste wahrscheinlich gar nicht wie das Wort Concealer geschrieben wurde, den sie jetzt jeden Morgen reichlich auftragen musste. Geh! schrie sie. Werner wandte sich achselzuckend um und zog die Tür hinter sich zu. Durchs Wohnzimmerfenster sah sie, wie er zu seinem Auto ging. In diesem Moment reifte ihr Plan.

Lesen Sie das große Finale in der letzten Folge des Apothekenkrimis „Tod im Labor“ – Teil 6 – in unserem Novemberheft!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 132.

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion

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