Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn
WIE EINSAM IST ALLEIN?
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Zur Person
Professor Dr. Aglaja Stirn ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP.
www.zip-kiel.de
Für viele Menschen ist Alleinsein eine Belastungserprobung. Haben wir verlernt alleine zu sein? Ed Stafford, ein britischer Abenteurer, sagte „Die Isolation zwingt dich, einer sehr rohen Version von dir selbst gegenüberzutreten. Es ist wie ein Spiegel deiner Seele. Es kann absolut erschreckend sein.“ John Cacioppo, ein Psychologe an der University of Chicago drückt es so aus: „Wichtig ist, dass wir das gesunde Alleinsein nicht mit der ungesunden Einsamkeit verwechseln“. Doch was ist der Unterschied?
Zunächst gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen unfreiwilliger Einsamkeit und freiwilligem Alleinsein. Einsamkeit bedeutet nicht zwangsläufig, dass man keinen Kontakt zu anderen hat, sondern wird von vielen Betroffenen als ein Zustand beschrieben, von Mitmenschen nicht verstanden, beachtet oder geschätzt zu werden. Das negative Empfinden von Einsamkeit hat auch evolutionäre Gründe. Es geht dabei einfach um das Überleben. Bei Menschen, die das Gefühl haben, dass niemand da ist, wenn man ihn braucht, konnten erhöhte Stresshormone im Blut gemessen werden. Und das löst alle möglichen Krankheiten aus: vom chronisch erhöhten Blutdruck bis zum Herzinfarkt.
In unserer Gesellschaft ist Einsamkeit oft mit dem Gefühl der Scham verbunden, deswegen reden die meisten ungerne darüber. In anderen Kulturen wird es dagegen offen ausgesprochen und die Sippe kümmert sich um den Einzelnen. Dort wird mit Einsamkeit anders umgegangen. Einsame Menschen sind oft sehr mit sich selbst beschäftigt. Das kann die Einsamkeit verstärken, insbesondere wenn negative Gedanken aufkommen. Dann ist es besser sich zu beschäftigen. Herausgehen in die Natur, ein Buch lesen oder einen Freund anrufen ist besser als sich zu vergraben. Das freiwillige Alleinsein wiederum kann sehr positive Wirkungen erzielen, dazu gehört auch die Akzeptanz des Alleinseins, also die Annahme des Zustands. Dann kann es therapeutisch positiv wirken.
Vielleicht hilft es denjenigen, die jetzt in der Corona Pandemie ohne Familien sind, sich aktiv dafür zu entscheiden, diesen Zustand des Alleinseins als eine Herausforderung zu sehen und nicht mit Einsamkeit zu verwechseln. Das sogenannte gute Alleinsein ist ein langer Prozess, der vor allem in und mit sich selbst stattfindet. Man kann die Zeit mit sich selbst vielleicht ganz angenehm gestalten und mit sich in Beziehung treten. Es gibt auch das Einsamkeits-Paradoxon: Je mehr Zeit wir freiwillig allein verbringen, desto besser sind unsere sozialen Kompetenzen in Gruppen.
Einsamkeit gehört auch zu unserer Natur. Die meiste Zeit sind wir doch mit uns alleine, kennen uns und können uns vielleicht auch jetzt mit diesem Zustand ein wenig mehr anfreunden, zumindest solange die äußeren Umstände es verlangen. Und wenn man sich auch zwischendurch mal einsam fühlt, so ist das auch ein Teil der menschlichen Natur und gehört zu uns. Eine Dosis Alleinsein ist eigentlich gut, aber es ist tröstlich, dass dieser Zustand auch wieder endet.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2021 ab Seite 12.
»In unserer Gesellschaft ist Einsamkeit oft mit dem Gefühl der Scham verbunden.«