Unsere Sinne
SEHEN – TEIL 1
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Unser wichtigster Sinn ist das Sehen. Wie man ohne Augenlicht klarkommen kann, ist für die meisten sehenden Menschen kaum vorstellbar. Das spiegelt auch eine weltweite Umfrage wieder: Demnach würden mehr als zwei Drittel aller Befragten lieber zehn Jahre ihrer Lebenszeit oder eine Gliedmaße opfern, als ihr Augenlicht zu verlieren. Drei Viertel würden eher auf die Hälfte ihres Gehalts als auf die Hälfte ihrer Sehkraft verzichten.
Das Auge als Kamera Doch wie funktioniert eigentlich das Sehen? In vielen Aspekten ähnelt unser Auge einem Fotoapparat: Dabei entspricht die Kamerahülle der Lederhaut , die den Augapfel fast vollständig umschließt. Mit zwei Ausnahmen: Der vordere, für uns sichtbare Teil des Auges wird von der Hornhaut bedeckt, und im hinteren Teil des Auges existiert eine Austrittstelle für den Sehnerv. Die Funktion der Blende bei der Kamera übernimmt im Auge die Regenbogenhaut (Iris), die sich je nach Lichtverhältnissen öffnen und schließen kann, sodass entsprechend mehr oder weniger Licht durch die Pupille ins Auge fällt.
Die Aufgabe der Kameralinse erfüllt ein Linsensystem bestehend aus der Hornhaut sowie der Linse im Auge. Sie brechen das Licht und fokussieren es auf die Netzhaut, wo ein umgekehrtes Bild unserer Umwelt entsteht. Indem die Linse mithilfe der Ziliarmuskeln ihre Form verändert, sorgt sie dafür, dass das Bild immer scharf ist, egal wie weit entfernt der Gegenstand ist, den wir betrachten. Die Netzhaut (Retina) kleidet einen Teil des Auges von innen aus und entspricht dem lichtempfindlichen Film: Sie besteht im Wesentlichen aus Millionen von Fotorezeptoren, die das Licht in Nervenimpulse umwandeln (Fototransduktion).
Diese Rezeptoren setzen sich aus etwa 120 Millionen Stäbchen und sechs Millionen Zapfen zusammen. Stäbchen gibt es überall in der Netzhaut: Sie sind für das schwarzweiße sowie weniger scharfe Sehen bei Dämmerung und nachts zuständig. Zapfen dagegen finden sich in der Makula, auch gelber Fleck genannt, einem Areal im Zentrum der Retina. Indem wir über drei verschiedene Arten von Zapfen verfügen, die auf Licht unterschiedlicher Wellenlänge reagieren, können wir tagsüber farbig sehen. Die höchste Dichte an Zapfen befindet sich in der Fovea, dem Zentrum der Makula.
Anhangsorgane Darüberhinaus sind der Tränenapparat, die Augenmuskeln, die Bindehaut und die Augenlieder unverzichtbar. Man bezeichnet sie auch als Augenanhangsorgane. Die Tränenflüssigkeit schützt, reinigt und versorgt die vorderen Augenabschnitte. Produziert wird sie permanent von den Tränendrüsen seitlich oberhalb der Augen. Von dort gelangt sie in den Bindehautsack. Indem wir regelmäßig – alle vier bis sechs Sekunden – mit den Augenlidern blinzeln, verteilen wir die Tränenflüssigkeit immer wieder neu über die Hornhaut und halten so das Auge feucht.
Die Bindehaut (Konjuktiva) ist eine Schleimhaut, die am äußeren Rand der Hornhaut beginnt und die Augenlieder von innen bis zur Lidkante auskleidet (Bindehautsack). Über den Tränengang im inneren Augenwinkel fließt die Tränenflüssigkeit in die Nase ab. Durch den Lidschlagreflex schließen sich zudem unsere Augen blitzschnell, falls ein Objekt in nächster Nähe wahrgenommen wird.
Sehbahn Die Informationen über das Bild auf der Netzhaut werden noch im Auge erstmalig bearbeitet und sodann ans Gehirn geleitet. Dabei vereinigen sich zunächst die Nervenfasern beider Augen zum Sehnerv, um sich dann am Chiasma opticum wieder aufzuspalten – und zwar so, dass alle Informationen aus der rechten Hälfte des Gesichtsfeldes aus beiden Augen in die linke Gehirnhälfte transportiert werden und umgekehrt.
AUGENAUFBAU
Da unser Auge aber kein mechanischer Apparat, sondern ein biologisches System ist, bedarf es einer Reihe weiterer Strukturen, die für seine Funktion notwendig sind: Zwischen Lederhaut und Netzhaut liegt die Aderhaut, eine Schicht, in der die Blutgefäße verlaufen, die das Auge mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Innen ist das Auge nicht hohl, sondern mit einer gelartigen, durchsichtigen Substanz, dem Glaskörper, gefüllt. Im vorderen Teil des Auges befindet sich zwischen Hornhaut und Linse das Kammerwasser.
Dies ist wichtig für das räumliche Sehen. Auf dem Weg vom Auge zum Kortex existiert eine einzige Umschaltstation, der Corpus geniculatum laterale oder Kniehöcker. In der primären Sehrinde entsteht sodann wieder ein Bild unserer Umwelt, indem Informationen, die in der Netzhaut von nebeneinander liegenden Zellen verarbeitet wurden, auch im Kortex von benachbarten Zellen prozessiert werden. Von dort gelangen die Informationen in weitere Teile des Gehirns, wo sie immer weiter verarbeitet werden, sodass schließlich eine visuelle Wahrnehmung wie „Da fährt ein Auto“ entsteht.
Erkrankungen des Auges Probleme oder Krankheiten können prinzipiell in jedem Abschnitt des Sehsystems auftreten, also im Auge selbst, im Verlauf der Sehbahn oder im Gehirn. In Deutschland gilt ein Mensch dann als sehbehindert, wenn er auf dem besser sehenden Auge auch mit Brille oder Kontaktlinsen weniger als 30 Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft sieht. Bei einem Sehrest von weniger als fünf Prozent spricht man von einer hochgradigen Sehbehinderung, bei weniger als zwei Prozent von Blindheit.
Allerdings werden in Deutschland keine Daten über die Anzahl der Betroffenen erhoben. Schätzungen gehen von 650 000 bis 1,2 Millionen sehbehinderten und blinden Menschen hier zu Lande aus. Was man aber weiß: Augenkrankheiten sind Volkskrankheiten. Und Zahlen zu einzelnen wichtigen Augenkrankheiten gibt es durchaus:
Laut Weißbuch zur Situation der opthalmologischen Versorgung in Deutschland haben fast zehn Millionen Menschen hier zu Lande einen grauen Star, also eine Trübung der Augenlinse, über vier Millionen leiden an altersabhängiger Makuladegeneration oder weisen zumindest Frühstadien auf, mehr als zwei Millionen haben ein Glaukom (Erhöhung des Augeninnendrucks) bzw. eine Vorstufe davon. Dazu kommen weitere 670 000 Menschen, bei denen eine Diabetes-Erkrankung zu einer Einschränkung ihrer Sehkraft geführt hat.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/14 ab Seite 84.
Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin