© Stephen Mcsweeny / 123rf.com

Zeckenstiche

SCHLUSS MIT FLEISCH?

Schon lange ist bekannt, dass Zecken gefährliche Krankheiten auf den Menschen übertragen können. Vergleichsweise neu ist hingegen die Erkenntnis, dass dies möglicherweise auch eine Fleischallergie nach sich ziehen kann.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Ein saftiges Steak, ein leckeres Schnitzel, ein herrlicher Sonntagsbraten – viele Deutsche lieben ihr Fleisch und wollen auf keinen Fall darauf verzichten. Rund 60 Kilogramm verzehrt der Durchschnittsdeutsche pro Kopf und Jahr, lediglich etwa acht Prozent der Bevölkerung ernähren sich vegetarisch.

Seit einigen Jahren beobachten Wissenschaftler jedoch eine neue Form der Nahrungsmittelallergie, bei der es häufig erst Stunden nach dem Fleischverzehr zu heftigen, teilweise lebensbedrohlichen allergischen Reaktionen kommt. Von Hautreaktionen wie Ausschlag und Juckreiz über Atemnot bis hin zum gefürchteten anaphylaktischen Schock reichen die Symptome.

Antikörper gegen alpha-Gal Auf der Suche nach dem Allergen, das diese Form der Fleischallergie auslöst, sind USamerikanische Wissenschaftler von der Universität Virginia fündig geworden. Im Blut betroffener Fleischallergiker haben sie einen Antikörper gegen ein bestimmtes Zuckermolekül gefunden. Sein Name: Galaktose-alpha-1,3-Galaktose, kurz alpha-Gal. Bekannt ist, dass dieses Disaccharid von fast allen Säugetieren exprimiert werden kann. Ausnahmen bilden lediglich Menschenaffen und Menschen, bei denen alpha-Gal nicht vorkommt.

Auf der Suche nach Gründen, warum manche Menschen Antikörper gegen alpha-Gal bilden und dadurch Fleisch vom Säugetier nicht mehr vertragen können, stießen Forscher auf einen Zusammenhang mit vorangegangenen Zeckenstichen. Richtungsweisend waren die Ergebnisse einer 2013 veröffentlichten amerikanischen Studie mit Allergiepatienten im Kindes- und Jugendalter. Bei einem Großteil der jungen Studienteilnehmer ließen sich IgE-Antikörper gegen das Zuckermolekül alpha-Gal nachweisen.

Und: Alle diese Patienten waren im Jahr zuvor mindestens einmal von einer Zecke gestochen worden. In der Studie konnten die Forscher zudem zeigen, dass sich in Gegenden der USA, in denen Zecken der Gattung Amblyomma americanum vorkommen, besonders viele Kinder mit einer Sensibilisierung gegen alpha-Gal fanden.

Auffällig In den USA tritt die Fleischallergie gehäuft im Südosten auf und damit dort, wo die „verdächtige“ Zeckengattung Amblyomma heimisch ist. An der Westküste und in den nördlichen Bundesstaaten ist das Problem hingegen relativ unbekannt. Und das trotz der Tatsache, dass der Fleischkonsum an der Ost- und Westküste der USA vergleichbar hoch ist. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass der beim Stich übertragene Speichel dieser Zeckenart die Quelle der Allergieentstehung ist.

Er kann, wie die bisherigen Forschungsergebnisse nahelegen, dazu führen, dass der Körper Antikörper gegen alpha-Gal bildet. Verzehrt der sensibilisierte Mensch nun nichtsahnend ein saftiges Steak, wird die Immunreaktion ausgelöst: Allergische Beschwerden bis hin zum Allergieschock sind die Folgen.

Nicht nur ein amerikanisches Problem Da die Zecke Amblyomma americanum bei uns nicht heimisch sind, wurde zunächst vermutet, dass eine durch Zeckenstiche hervorgerufene Fleischallergie in Europa nicht vorkommen kann. Eine Fehleinschätzung, wie jüngere Forschungsarbeiten zeigen: Mittlerweile haben Wissenschaftler nachweisen können, dass das Zuckermolekül alpha-Gal auch beim in Europa verbreiteten Gemeinen Holzbock, einer Schildzeckenart, vorkommt.

ZECKEN: VIER FAKTEN
 
+ Große Familie: Weltweit existieren über 800 Zeckenarten. In Deutschland kommt der Gemeine Holzbock aus der Familie der Schildzecken besonders häufig vor.
+ Überlebenskünstler: Zecken sind zäh! Im Labor können sie bis zu zehn Jahre ohne Nahrung überleben. Und selbst einen Waschgang in der Maschine können sie überstehen.
+ Raus damit: Schnelles Entfernen einer Zecke bietet einen gewissen Schutz vor Borreliose, denn bis zu einer Infektion mit den Bakterien vergehen häufig 12 bis 24 Stunden. Rasches Entfernen des Parasiten schützt jedoch nicht vor FSME – hier kann die Erregerübertragung innerhalb weniger Minuten erfolgen.
+ Kein Risiko: Gegen FSME kann man sich impfen lassen. Die Impfung wird Personen empfohlen, die sich dauernd oder vorübergehend in FSME-Risikogebieten aufhalten.

Mehr Infos unter: www.rki.de

Es wird sogar vermutet, dass alle Schildzeckenarten, die Menschen und Säugetiere befallen, diesen Zucker auf ihren Speicheleiweißen besitzen. Und das macht klar: Bei der Fleischallergie durch Zeckenstiche handelt es sich womöglich um ein globales, keinesfalls jedoch bloß um ein amerikanisches Phänomen.

Finger weg von rotem Fleisch Doch für Fleischfans gibt es auch eine gute Nachricht: Weder Geflügel noch Fisch enthalten das Zuckermolekül alpha-Gal. Größte Vorsicht ist für betroffene Allergiker jedoch bei Säugetierfleisch, also beispielsweise bei Rind, Schwein und Lamm, geboten. Und nicht nur das: Auch Medikamente tierischen Ursprungs, die die Zuckerstruktur alpha-Gal enthalten, können bei Betroffenen allergische Reaktionen hervorrufen.

Der monoklonale Antikörper Cetuximab, der bei uns seit über zehn Jahren zur Krebstherapie zugelassen ist, kann bei Patienten, die – vermutlich durch einen Zeckenstich – auf alpha-Gal sensibilisiert wurden, schwere allergische Reaktionen hervorrufen. Diese kann dabei innerhalb von Minuten und schon während der ersten Infusion auftreten. Die Fachinformation beinhaltet entsprechende Hinweise.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/15 ab Seite 118.

Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin

×