Rezeptur - Mischen possible
TRETINOIN-CREME: ALLE REGISTER GEZOGEN
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Seit einem guten Jahr landet immer mal wieder die folgende Rezeptur auf unserem Tisch. Das ist im Grunde nichts ungewöhnliches, denn jeder Haut- oder Hausarzt hat so seine Lieblings-Zusammensetzungen. Irgendwann weiß man, was welcher Arzt wogegen verschreibt. Mit der Rezeptur, die ich heute vorstellen möchte, verhält es sich allerdings etwas anders - deutlich unerfreulicher als es sonst bei uns üblich ist.
Als sie mir das erste Mal untergekommen ist, ging ich vor wie immer: Wie sieht es mit der Plausibilität aus? Und muss ich eventuell Wirk- oder Hilfstoffe bestellen? Aber hier erstmal die Rezeptur nach ihren Bestandteilen:
- Tretinoin-7,5 mg-Konzentrat 1,0 ml
- Vitamin-F-Liposomen 4,5 ml
- Octenidinhydrochlorid 0,03g
- Magnesiumchlorid 1,5 g
- Zinkacetat-Dihydrat 0,9 g
- Benzoylperoxid 1,875 g
- ambiphile Creme ad 30,0 g
Mein erster Gedanke war: nicht noch eine Tretinoin-Zubereitung (die meisten im Rezepturteam sind im gebärfähigen Alter). Und: Liposome, wie spannend!
Nicht plausibel
Schnell kam die Ernüchterung. Benzoylperoxid ist als Rezeptursubstanz schon lange außer Handel. Und drei Mineralstoffe in einer Rezeptur, ob das gut gehen kann? Aber fangen wir von vorne an und betrachten erst einmal jeden Bestandteil für sich. Tretinoin-7,5 mg-Konzentrat gibt es so nicht. Das einzige, was man da findet, ist ein Lipophiles Tretinoin-Rezepturkonzentrat 2% nach Neuem Rezeptur-Formularium (NRF), die Hydrophile Tretinoin Verreibung S.28 NRF. Aber diese wird nicht volumendosiert, sondern als Masse in Gramm (g).
Dann die Vitamin-F-Liposomen. Liposome kennt man aus der Kosmetik, hier werden sie eingesetzt um Wirkstoffe in tiefere Hautschichten zu transportieren. Dies auch für verschreibungspflichtige Wirkstoffe zu nutzen, ist eine interessante Idee. Es gibt auch eine Bezugsquelle für Liposome, die Firma AUDOR®, nur ist die Abnahmemenge recht hoch und die Liposomen haben nur die Zulassung für die Herstellung von Kosmetika - also kann ich sie laut Apothekenbetriebsordnung in der Rezeptur nicht benutzen. Dann stellt sich noch die Frage, ob mit dem Salbenrührgerät oder bei der Herstellung in der Fantaschale überhaupt gewährleistet werden kann, dass die Liposome korrekt beladen werden.
Octenidinhydrochlorid als Desinfektionsmittel in einer Akne Zubereitung erscheint sinnvoll, allerdings wissen wir auch, dass es leicht ausfällt oder mit anderen Rezepturbestandteilen reagiert. Also auch mit Vorsicht zu genießen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Magnesiumchlorid und Zinkacetat-Dihydrat gegenseitig in die Quere kommen oder sogar Komplexe bilden können, ist recht hoch. Benzoylperoxid ist, wie bereits erwähnt, schon länger außer Handel und steht somit nicht mehr zur Verfügung.
Auch die Bezeichnung „ambiphile Creme“ für die Grundlage reicht nicht aus. Sie beschreibt so nur eine Creme, die aus mehreren Phasen besteht. Wirft man einen Blick in das Europäische Arzneibuch (Ph.Eur.), gehört die „ambiphile Creme“ in die Gruppe der hydrophilen Cremes, wie zum Beispiel auch Basiscreme DAC.
Gemeinsam auf Lösungssuche
Schnell stellte ich also fest, dass ich die Hilfe meiner Kollegin brauchte. Sie als Apothekerin wirft auf alles nochmal einen Blick und prüft, ob meine Gedankengänge und Ideen schlüssig sind oder es noch andere Möglichkeiten gibt, zu einer optimalen Lösung zu kommen. Wir haben uns zusammengesetzt, nochmal alles in groben Zügen durchgesprochen und beschlossen, dass wir so nicht weiterkommen. In der Zwischenzeit kontaktierte ich den Kunden, legte ihm die Problematik dar und bot an, mich um eine Lösung zu bemühen. Der Kunde war einverstanden.
Mittlerweile hatte meine Kollegin Rezepturanfrage beim Deutschen Arzneimittel-Codex/Neues Rezeptur Formularium (DAC/NRF) eingereicht, mit allen Erkenntnissen, die wir bis dahin gesammelt hatten. Unsere Vermutung war, dass der behandelnde Arzt wohl auf einem Kongress gewesen sein musste und diese Rezeptur Idee von dort mitgebracht hatte. Wenige Stunden später meldete sich das DAC/NRF zurück und bestätigte unseren Verdacht. Beschriebene Rezeptur war erst vor Kurzem veröffentlicht worden, es war aber nicht genau herauszubekommen wo und somit bleiben auch die Hintergründe unklar.
Auf Tretinoin-Creme nach NRF ausweichen?
Theoretisch hätten wir eine Ausweichrezeptur aus dem NRF zubereiten können. Im Allgemeinen werden immer weniger Tretinoin-Rezepturen verordnet, die meisten Ärzte schreiben Fertigarzneimittel auf. Wenn dann doch einmal eine Rezeptur vorkommt, ist es meist NRF 11.100, Hydrophile Tretinoin-Creme 0,025 % / 0,0 5% / 0,1 %. Hier findet sich dann auch das Lipophile Tretinoin-Rezepturkonzentrat 2 % wieder, von dem bereits die Rede war. Wenn es möglich ist, bitte ich die ältere Kollegin unter uns, dass sie dieses Konzentrat herstellt, damit die jüngeren die Rezeptur gefahrlos zubereiten können. Wir verfahren folgendermaßen:
Ist nicht mehr genug Lipophiles Tretinoin-Rezepturkonzentrates 2% (NRF S.29) vorrätig, stellen wir neues her. Die Angaben im NRF beziehen sich auf 100 g, meistens stellen wir weniger her:
- Tretinoin, mikrofein gepulvert 2,0 g
- Butylhydroxytoluol-Paraffinkonzentrat (Vorschrift S.35) 2,0 g (BHP),
- weißes Vaselin 96,0 g
Die Herstellung erfolgt in der Fantaschale, sowohl beim Konzentrat als auch später bei der eigentlichen Rezeptur. Tretinoin wird mit BHP angerieben und dann wird anteilig Vaselin dazugegeben. Häufiges Abschaben ist empfohlen, damit es wirklich homogen wird. Das Endergebnis sollte eine gelbe, homogene und fettige Salbe sein. Laut NRF wird das Konzentrat in eine Aluminiumtube abgefüllt, etikettiert und kann so gelagert werden. Wir heben es im Kühlschrank in der Nähe der Tretinoinsubstanz auf, um einen besseren Überblick zu haben, wann wir es wieder neu herstellen müssen.
Das gleiche gilt für das BHP. Sind alle Vorräte erschöpft, dann muss auch dieses neu hergestellt werden. Auch hier bezieht sich die Zubereitung auf 100 g. 2 g Butylhydroxytoluol werden in 98 g dickflüssigem Paraffin unter Erwärmen gelöst. Wenn vorhanden, bietet sich hier ein Magnetrührer mit Heizfunktion an.
Nachdem alle Konzentrate vorbereitet sind, beginnt die Herstellung der eigentlichen Rezeptur. Für die am geringsten dosierte Variante von 0,025 % werden 1,25 g Lipophiles Tretinoin-Rezepturkonzentrat 2 % benötigt, für 0,05 % 2,5 g, für 0,1 % 5,0 g. Die Menge an Butylhydroxytoluolkonzentrat 2 % bleibt immer gleich: 2,0 g. Mit Basiscreme DAC wird zu 100,0 g aufgefüllt. Auch hier wird das Tretinoinkonzentrat mit BHP angerieben, häufig abgeschabt und anteilig Basiscreme DAC zugegeben. Das Endprodukt sollte immer noch eine gelbe Färbung aufweisen, je nach Konzentration unterschiedlich kräftig, homogen und weiche Konsistenz sein. Abfüllung in eine Tube und Lagerung im Kühlschrank.
Bei Abgabe erinnern wir nochmal deutlich daran, die Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, was Verhütung anbelangt, und dass diese Creme nicht einfach mal an Freund oder Freundin weitergegeben werden darf. Außerdem sollte sie besonders entsorgt werden - oder, wenn viel übrig ist, in die Apotheke zurückgebracht werden.
Das Problem mit der Ärzte-Kommunikation
Da wir in unserem besonderen Fall die Konzentration des Tretionoin-Konzentrates nicht in Erfahrung bringen konnten, können wir leider nicht einfach auf eine NRF-Rezeptur ausweichen. Wir hatten natürlich versucht, den Arzt zu erreichen. Meine Kollegin vereinbarte sogar einen Gesprächstermin mit dem Arzt persönlich, nur leider kam es nie dazu, da der Arzt immer verhindert war.
Ich rief also wieder den Kunden an und bat ihn, sich selbst mit seinem behandelnden Arzt in Verbindung zu setzten, damit ihm schnell bei seiner Akne geholfen werden kann. Denn nicht einmal telefonisch konnten wir die Tretinoin-Konzentration abklären. Nachdem wir alle unsere Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, blieb uns nichts anderes übrig als uns eine Erklärung für den nächsten Kunden zu überlegen, dem diese Rezeptur verordnet wird.
Quellen:
https://www.philus.de/aufgabenstellung/14948433991/grundbegriffe-amphiphile-ambiphile-creme.html
https://www.audor.de/rezepturhilfe/rezepturen/
https://www.dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de