Dopamin-Fasten
REIZE RUNTER
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Was im amerikanischen Silicon Valley ausgetüftelt wurde hat immer wieder unseren Alltag verändert: Das I-Phone von Apple, die Suchmaschine Google, der Kurznachrichtendienst Twitter. Auch der Life- und Workstyle schwappt über den großen Teich zu uns. Kleine Erinnerung: Plötzlich trug manche Chefetage Kapuzenpulli und Hipsterbart. Ein Hype um reines Quellwasser brach aus. Als Ausgleich zum beruflichen Stress wollten alle meditieren. Und nun: Dopamin-Fasten. Schick oder Trick?
Gegen die Reizüberflutung Propagiert wird unter dieser Überschrift, phasenweise auf alle digitalen Angebote zu verzichten. So sollen wir unser suchtähnliches Netzverhalten wieder in den Griff bekommen. „Schön das Gehirn entrümpeln“, textete die Süddeutsche Zeitung dazu: „Keine Streams, keine Likes, keine Bildschirme.“ Dopamin-Fasten, das heißt dann: Vorübergehende Selbstbeschränkung bei Bites und Bytes, um den Dopaminspiegel zu senken und Dauerreize herunterzufahren. Der Botenstoff Dopamin wird mit Antriebssteigerung und Motivation in Verbindung gebracht, aber auch schon einmal als „Glückshormon“ bezeichnet. Der Neurobiologe Martin Korte hat im „Spektrum der Wissenschaft“ erklärt: „Dopamin wird immer dann ausgeschüttet, wenn wir etwas erreicht haben, das wir als positiv empfinden.“
Das signalisiere dem Gehirn: „Was ich gerade gemacht habe, war irgendwie gut und sollte wiederholt werden.“ Kein Wunder, dass wir immer mehr von „irgendwie gut“ wollen, ob Schokoriegel oder Likes. Und dass uns die Sucht nach News und Likes bei den digitalaffinen Techies im Silicon Valley besonders groß zu sein scheint. Deshalb erregte der amerikanische Psychologieprofessor Cameron Sepah 2019 Aufsehen im Netz, als er den „definitiven Dopamin-Fasten-Guide 2.0“ veröffentlichte, aufgewertet mit dem Hinweis: „Der heiße Silicon-ValleyTrend“. Die haben’s nötig, wird sich mancher gedacht haben. Aber, Hand aufs Hirn: Man selbst vielleicht auch. Also ausprobieren?
Doch ein alter Hut? Etliche Medien nahmen die heißen Fastentipps kühl auf. Weil verbreitet wurde, dass Dopamin-Fasten der komplette Spaßverzicht sei: Phasenweise kein digitaler Konsum, aber auch kein Essen, keine Kontakte, kein Sex. Weil Dopamin-Fasten nichts Neues sei, sondern es beispielsweise reizarme Auszeiten in Klöstern schon lange gebe. Weil es nicht um lobenswerte Selbstfürsorge gehe, sondern um Selbstoptimierung für Arbeitgeber, Motto: Heute digital fasten, morgen digital fitter arbeiten. Sepah hatte seinen Dopamin-Fasten-Guide zwar mit Hinweis aufs Silicon Valley aufgehübscht.
Aber seine Tipps für digitale Tools sind ziemlich universell: Wer herunterkommen will, sollte konsequent und pragmatisch Auszeiten festlegen, passend zum Job und zum Familienleben. Und aufs Handy muss man beim Original-Dopamin-Fasten auch nicht unbedingt verzichten. Sepah listet noch andere Kategorien auf, in denen wir es gern mal übertreiben, so beim „emotionalen Essen“ oder bei der „Neuigkeitssuche“. Übrigens: In Selbstversuchen mit dem Herunterkommen und der Reizarmut hat nicht nur das Silicon Valley Erfahrung, wie ein Spruch des verstorbenen Komikers Karl Valentin nahelegt: „Heute in mich gegangen. Auch nichts los.“
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2021 auf Seite 103.
Sabine Rieser, freie Journalistin