Milch
ZUVIEL DES GUTEN?
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Milch dient dazu, Tier- und Menschenbabys mit Nährstoffen zu versorgen, die sie schnell wachsen lassen. Nach der Stillzeit braucht man sie eigentlich nicht mehr, denn man kann die Nährstoffe auch über andere Lebensmittel aufnehmen. Daher nimmt die Produktion des Enzyms Laktase, das den Milchzucker aufspaltet, normalerweise auch nach der Säuglingszeit ab – es sei denn, man trinkt weiterhin Milch, wie wir Europäer. Kaum ein Nahrungsmittel vereint so viele essenzielle Nährstoffe in sich: hochwertiges Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate in Form von Milchzucker, wichtige Vitamine sowie Mineralstoffe. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt daher immer noch 200 bis 250 Gramm Milch oder Milchprodukte sowie zwei Scheiben Käse täglich.
Das Image kippt Milch ist gesund – das wissen wir seit frühester Jugend. Grund dafür ist allerdings in erster Linie eine massive Werbestrategie, die in den 1920er Jahren begann, um den neuen Wirtschaftszweig Milchviehwirtschaft anzukurbeln. In den 1950ern war Milch sogar das „weiße Gold“ des Wirtschaftswunders. Slogans wie „Milch macht müde Männer munter“ oder „Die Milch macht’s“ kannte jeder. Sogar eigentlich ungesunde Süßigkeiten wurden geadelt, wenn sie Milch enthielten.
Doch plötzlich gab es immer mehr Menschen, die nach dem Genuss von Milch Blähungen, Magenschmerzen und Durchfall bekamen. Mittlerweile leiden rund 15 Prozent der Deutschen an einer solchen Laktoseintoleranz. Der aufkommende Veganismus prangerte den Milchkonsum darüber hinaus offen an: Kuhmilch sei für Kälbchen, nicht für Menschen gedacht. Und Studien zeigten plötzlich, dass Milch Krankheiten verursachen könnte. All das hat dazu geführt, dass Verbraucher mittlerweile stark verunsichert sind. Was stimmt denn nun – gesund oder ungesund?
Milch als Calciumlieferant Ein großes Glas Milch deckt etwa ein Drittel des Calciumbedarfs des Menschen. Man kann es auch über Gemüse aufnehmen, doch in der Milch kommt es in großen Mengen vor. Calcium ist wichtig für starke Knochen und lange Zeit wurde sogar behauptet, Milchgenuss beuge Osteoporose vor. Eine Studie der Universität Harvard, die 75 000 Frauen über einen Zeitraum von 12 Jahren beobachtete, zeigte allerdings genau das Gegenteil: Der Milchkonsum erhöhte das Risiko für Knochenbrüche! Tatsächlich reicht Calcium alleine nicht aus, um die Knochen zu stärken, denn dazu wird auch Vitamin D benötigt, von dem die Milch alleine nicht genug enthält. Allerdings schafft Calcium, das während der Wachstumsphase eingelagert wird, eine gute Basis für gesunde Knochen im Alter und ist daher für Kinder besonders wichtig. Und die kann man wohl eher zu einem Glas Kakao überreden als zu einem Teller Brokkoli.
Dick durch Milch? Milch hat allerdings auch einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, die allgemein als Dickmacher bekannt sind. Doch für einen Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Adipositas gibt es keine belastbaren Studien. Das könnte daran liegen, dass Milch Stoffe enthält, die Einfluss auf den Cholesterolspiegel haben. So zeigte sich, dass Phytansäure, eine der gesättigten Fettsäuren, den Lipid- und Glucose-Stoffwechsel sogar positiv beeinflusst. US-amerikanische Forscher gehen noch weiter: Sie behaupten, Milch könne beim Abnehmen helfen. Denn zum einen ist das in ihr enthaltene Calcium ein Fettkiller, zum anderen hat Milch einen niedrigen glykämischen Index. Das heißt, sie lässt den Blutzuckerspiegel nicht in die Höhe schnellen und hilft so, Heißhungerattacken zu vermeiden. Hinzu kommt, dass die große Menge an enthaltenem Eiweiß auch länger satt macht. Trotzdem kann Milch alleine mit ihrem hohen Nährwert wohl keine Pfunde schmelzen lassen.
Milch schützt das Herz-Kreislauf-System Gesättigte Fettsäuren gelten als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Kann Milchkonsum also Herzinfarkte und Schlaganfälle begünstigen? Meta-Analysen von Studien zeigen das Gegenteil: Eine ausgewogene Ernährung, in der auch Milch konsumiert wird, kann das Schlaganfall-Risiko sogar senken – am deutlichsten bei 200 Milliliter (ml) Milch pro Tag. Auch eine Senkung des Blutdrucks fiel bei einer gesunden Ernährung mit Gemüse und Obst noch deutlicher aus, wenn zusätzlich fettarme Milchprodukte verzehrt wurden.
Die Leucin-Hypothese Immer wieder wird behauptet, dass Milchkonsum Diabetes vom Typ 2 fördern könne. Danach soll die in der Milch enthalten Aminosäure Leucin ein Enzym stimulieren, das die Insulinresistenz fördert. Gesicherte epidemiologische Studien liegen hierfür jedoch nicht vor. Die überwiegende Zahl der Studien zeigt hingegen sogar einen schützenden Effekt von Milch und Milchprodukten hinsichtlich der Entstehung eines Typ-2-Diabetes.
Milch stärkt das Immunsystem Der Verzehr von Rohmilch kann Asthma vorbeugen. Man geht davon aus, dass die Immunstoffe, die die Kuh ihrem Kalb mitgibt, auch bei Menschen wirken. Doch dieser gesundheitliche Vorteil gilt nur für den Verzehr von Rohmilch, nicht für pasteurisierte oder gar homogenisierte Milch. Bei Rohmilch läuft man aber Gefahr, Krankheitserreger aufzunehmen, denn der Traum vom Naturprodukt Milch ist längst ausgeträumt. Hochleistungsmilchkühe geben mittlerweile fünfmal so viel Milch wie noch vor einigen Jahrzehnten. Ihre Milch enthält Medikamentenreste, Zitzendesinfektionsmittel, Schwermetalle, Pestizide und Pilzgifte. Außerdem geben Kühe durch die extensive Tierhaltung mittlerweile auch oft Milch, wenn sie bereits wieder trächtig sind.
Da in dem Sekret auch immer in geringem Maße Substanzen aus dem Blutplasma vorkommen, kann die Rohmilch dann zum Beispiel mit Hormonen wie Testosteron und Progesteron belastet sein. Darüber hinaus enthält Milch das Peptidhormon IGF-1 (insulin-like growth factor), das kanzerogen wirken kann. Bei bis zu einem Liter Milchkonsum täglich übersteigt die Hormonbelastung die festgelegten Höchstmengen jedoch nicht. Außerdem konnte bisher auch kein intaktes IGF-1 aus Kuhmilch im menschlichen Blut nachgewiesen werden. Dennoch kann man einen Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Krebs nicht einfach von der Hand weisen.
Kann Milchgenuss Krebs auslösen? Eine Studie zeigte, dass Männer, die über längere Zeit täglich mehr als 1,2 Liter (l) Milch tranken, ein erhöhtes Prostatakrebsrisiko hatten, möglicherweise aufgrund der hohen Zufuhr von Calcium. Zurzeit machen Forschungsergebnisse des DKFZ aus der Arbeitsgruppe von Professor Harald zur Hausen Furore. Er hatte 2008 für seine Erkenntnis, dass humane Papillomviren eine Ursache für Gebärmutterhalskrebs sein können, den Medizin-Nobelpreis enthalten. Jede fünfte Krebserkrankung, so der Forscher, gehe heute auf Viren, Bakterien oder Parasiten zurück.
Nun will er eine neue Erregerklasse auch in Milch gefunden haben: Bei diesen BMMF (Bovine Meat and Milk Factors) handelt es sich um Erreger, die sowohl Eigenschaften von Viren als auch Bakterien aufweisen („Plasmidome“). BMMF könnten anhaltende Entzündungsreaktionen auslösen und so Auslöser für Darm-, Brust- und Prostatakrebs sein. Nach Ansicht von zur Hausen infiziert man sich mit den Erregern bereits im Säuglingsalter, wenn nach dem Abstillen Kuhmilch zugefüttert wird. Wenn das Immunsystem des Kindes mit etwa einem Jahr stabil sei, könne es BMMF jedoch abwehren. Er rät Müttern daher, so lange zu stillen wie möglich.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 64.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist