Schmöker
NERVENNAHRUNG
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Verena Lugert „Nervennahrung. Gerichte und ihre Geschichten, die einfach glücklich machen.” Das Kolumnenbuch ZS Verlag, 192 Seiten 19,99 Euro ISBN: 9783965840997
Schon ihr erstes Buch „Die Irren mit dem Messer“ war ein großer Erfolg. Verena Lugert ist gelernte Reportage-Journalistin und schreibt für Deutschlands große Magazine, als sie beschließt, noch einmal einen ganz anderen Beruf von der Pike auf zu lernen: Sie möchte Köchin werden, in der Sternegastronomie. Sie besucht dazu die renommierte Gastro-Schmiede Le Cordon Bleu, findet danach eine Anstellung im Restaurant des Celebrity-Koches Gordon Ramsey. Dort eröffnet sich ihr eine neue Welt, erfüllt mit Schönheit, Geschmack und höchstem Können. Aber auch ein Arbeiten bis zur Erschöpfung in 16-Stunden-Schichten und der nicht gerade – nun ja, zartfühlende Umgangston in einer Männerdomäne. Richtig gemein geht es da zu und der Leser fragt sich des Öfteren, warum sich ein Mensch so etwas antut.
Auf der Suche nach der Essenz Dieses Buch liefert die Antwort. Es ist wohl Besessenheit, ein Streben nach Perfektion, ein Suchen nach dem Kern, der Essenz eines Gerichtes. Und wenn die Autorin über Marillenknödel, Käsespätzle und Spaghetti carbonara schreibt, folgt man ihr mit Vergnügen bei der Suche. Lugerts Texte sind nämlich nicht nur zum Lesen, man kann sie auch schmecken und riechen. Kleine Kostprobe: „Auch heute noch bin ich restlos begeistert, wenn ich Käsespätzle esse. Über diese gigantischen Fluten aus Allgäuer Emmentaler, Bergkäse und Weißlacker. Über diesen vollkommen geiz-, dogma-, vernunft- und vorbehaltsfreien Zugang zum Essen, der der Käsespätzle-Idee innewohnt.
Diese Feier der Fülle, diese Großzügigkeit, die Lust an Überfluss und Genuss. Das Sprengen von Dämmen, das fröhliche Pfeifen auf Kilos und Kalorien. Dieses Schmausen und Schmecken im Hier und Jetzt.“ Tja, vielleicht sollte man vor der Lektüre dieses Buches besser schon gegessen haben, es macht Hunger. Lugert kennt sich aus mit Soulfood, verwendet dieses Wort aber nie. In „Herzhaftes für den Hunger“ gibt’s beispielsweise ein richtig krosses Brathähnchen, in „Nudeliges für die Nerven“ erfährt man das Geheimnis der Pasta Ferrari, es wird „Gemüse fürs Gemüt“ serviert und „Süßes für die Seele“. Ja, und es ist auch endlich ein vernünftiges Rezept über Königsberger Klopse drin, mit denen konnte man mich als Kind jagen (Ha! Jetzt weiß ich’s: Es fehlte die Sardelle).
Die Poesie der LebensmittelWir haben ja nicht viele Kochbuchpoeten in diesem Lande, so wie es Nigel Slater in Großbritannien ist, dessen Schreibkunst weit über das Abdrucken von Rezepten hinausgeht und dessen Werke immer so um die 600 Seiten haben. Doch die Autorin ist ihm dicht auf den Fersen. „Wir nehmen nicht Zimtzucker (für die Marillenknödel, sondern statt Zimt geriebene Tonkabohne, die den vanilligen Bittermandelgeschmack des Aprikosenkerns, der in den Früchten wie eine Ahnung liegt, herrlich unterschwellig aufnimmt.“
Oder: „… um in dieser Vielfalt zu schwelgen aus riesigen tiefroten Ochsenherztomaten, zitronengelben Kirschtomaten und der lilaschwarz leuchtenden Black Krim. Ich sauge die Luft ein, hier im Glashaus: Tomatensommer, denke ich.“ Lugert besitzt die Fähigkeit, Bilder heraufzubeschwören, in die man hineinbeißen möchte und darin ist sie Slater sehr ähnlich. Die bemerkenswerten Geschichten, die sich rund um die Gerichte-Klassiker ranken, werden von ihr mit Wonne erzählt. Chicken Tikka Masala entstand, weil ein hungriger Gast „mehr Soße“ über sein Hühnercurry haben wollte.
Der Koch fand noch eine halbe Dose stückige Tomaten in der Küche und kippte sie hinein - und der begeisterte Gast brachte fortan alle seine Freunde mit. Oder Fettuccine Alfredo, die der gleichnamige Koch für seine Frau kreierte, die vor kurzem entbunden hatte, aber einfach nicht auf die Beine kommen wollte. Das Gericht hat genau drei Bestandteile: Nudeln, viel Parmesan und noch mehr Butter (es gibt einen Trick dabei, aber dazu müssen Sie das Buch lesen). Oder – kennen Sie Shakshuka? Das ist nichts anderes als eine orientalisch angehauchte Tomaten-Eier-Pfanne.
Lugert erklärt, warum sie Kult-Status besitzt: „Sie ist durch die Cremigkeit des Eigelbs, das sich mit der fruchtigen Süße der Tomaten verbindet, ein solches Wohlfühlgericht, dass man davon nie genug bekommen kann. Allein das Weißbrot schmeckt schon so gut, wenn es erst ins Eigelb und dann in die Tomaten getunkt worden ist, die nach Kreuzkümmel und nach der Würzpaste Harissa duften! Für mich ist die Shakshuka fast Magie, wie ja Kochen überhaupt ein reines, kleines Wunder ist.“
Das reine kleine Wunder findet sich immer wieder in Lugerts Texten und bringt sie zum Funkeln. Für die Autorin lief es übrigens schlecht in England: Ihr Körper streikte bei den mörderischen Schichten in der Küche, sie erlitt einen Bandscheibenvorfall und musste ausscheiden. Nun schreibt sie eben darüber, kompetent und wortgewaltig. Und wer eine ebensolche Liebe zum Essen besitzt, der mag sich im neuen Buch mit den gesammelten Spiegel-Kolumnen wiederfinden.
Corona sei DankDie Kolumnen hat sie Corona zu verdanken. Spiegel online rief nämlich an und fragte, ob sie sich vorstellen könne, täglich eine Art Lockdown-Rezept zu veröffentlichen. Für ein wirklich einfaches Gericht, das schnell und einfach nachkochbar wäre, ohne Zutatenschnickschnack, niemandem wäre gerade danach, für ein paar frische Korianderblätter das Haus zu verlassen. Für uns PTA ist das echt super, denn wir haben ja wenig Zeit, die Apotheken bleiben immer auf, und wir müssen eben Familie und Beruf optimal vereinbaren. Deshalb ist das hier der ultimative Leseschmöker: Schön geschriebene Geschichten, kombiniert mit einem Rezept. Zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen. Lesen Sie los!
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2021 ab Seite 104.
Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin
„Gereizt, nervös und schlecht gelaunt? Hier kann die Nudel Wunder wirken.“