© banauke / 123rf.com

Seuchen der Welt

'MORBILLI' – DIE KLEINE PEST

Masern sind eine hochansteckende Viruserkrankung, die mit Fieber und rötlichem Ausschlag einhergeht. In der „Alten Welt“ existiert die Erkrankung wohl schon seit über 5000 Jahren.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Typisch rote Hautflecken , hohes Fieber und ein erheblich geschwächter Allgemeinzustand mit schnupfenartigen Symptomen, Husten und einer akuten Bronchitis sowie einer Bindehautentzündung sind die bekanntesten Masernsymptome.

Durch direkten Kontakt oder Tröpfcheninfektion werden die Viren übertragen und es besteht höchste Ansteckungsgefahr drei bis fünf Tage vor bis etwa vier Tage nach dem bei typischem Verlauf charakteristischen Hautausschlag. Die Behandlung der „Kinderkrankheit“ ist auf Symptomlinderung beschränkt.

Obgleich nur selten sehr gefährlich, können Masern aber auch tödlich verlaufen. Einmal erkrankt besteht lebenslange Immunität. Dieses Wissen um die Erkrankung musste sich allerdings erst mühsam erarbeitet werden – und dauerte Jahrhunderte.

Große Epidemien Wahrscheinlich entwickelten sich die Masern vor mehreren tausend Jahren aus der Hundestaupe oder der Rinderpest, als die Menschen begannen, Tiere zu domestizieren. Um 3000 v. Chr. verbreitete sich die Krankheit von den Städten Mesopotamiens aus. Eine erste ausführliche schriftliche Beschreibung der Masern hat allerdings erst der persische Philosoph und Arzt ar-Razi (circa 865 bis 925) verfasst. In seiner Abhandlung unterschied er zwischen Pocken und Masern, hielt allerdings Letztere für die bedrohlichere Erkrankung.

Bedingt durch die hygienischen Umstände, die häufige Unternährung und das Fehlen sauberen Trinkwassers, forderten die Masern im Mittelalter bei ausgedehnten Epidemien viele Todesopfer. Aus diesem Grund nannten die Menschen im Mittelalter diese Krankheit auch „Morbilli“, was soviel wie „kleine Pest“ bedeutet.

Der heutige Begriff „Masern“ ist erstmals bei Johannes Colerus (1566 bis 1639), einem Berliner Magister, zu finden, der im zweiten Buch seiner 1594 erschienenen „Oeconomiaruralis et domestica“ schreibt: „Es gibt auch breite Exantheme, die von Plinius Morbilli vari genannt werden, auf deutsch die Mahsern … Es sind oberflächliche Hautflecken, zerstreut, rötlich und uneben, die die Haut verschieden färben.“

Nach der Entdeckung Amerikas 1492 wurden die Masern neben den Pocken, Keuchhusten und Typhus eine der gefährlichsten Seuchen der „Neuen Welt“, an der ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung starb. Da die Ureinwohner keinerlei Abwehrkräfte gegen die „neuen“, eingeschleppten Krankheiten besaßen, wurden große Teile dahingerafft. Von Santo Domingo (1519), Guatemala (1523), Honduras (1529) und Mexiko (1531) sind verheerende Masernepidemien bekannt.

Im späten 17. und 18. Jahrhundert entwickelten sich die Masern zu einer der häufigsten Todesursachen an der Ostküste Nordamerikas. Mit der Besiedelung neuer Gebiete im Westen der USA breiteten sich die Krankheit auch dort aus. Im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861 bis 1865) starben viele Tausend Soldaten auf beiden Seiten nicht an den Kampfhandlungen, sondern an Masern.
Das Phänomen, dass das Masernvirus dann eine besonders hohe Tödlichkeit aufweist, wenn es auf eine zuvor unberührte, nicht-immunogene Bevölkerung trifft, zeigte sich später immer wieder.

Als im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Entdecker und Reisende die Masern auch in die abgelegensten Gegenden der Welt brachten, brachen dort – etwa auf den Faröer-Inseln (1846), Island, Alaska (1900), Australien, Neuseeland, Hawaii, Samoa oder den Fidschi-Inseln (1875) – schwerste Epidemien aus.

Erkenntnisse und Eindämmung Der Londoner Arzt Thomas Sydenham (1624 bis 1689) beschrieb die Masernkrankheit als erster sehr genau. Francis Home, ein schottischer Arzt (1710 bis 1801), erkannte, wie hoch ansteckend die Erkrankung war und versuchte Menschen zu inokulieren. Dazu benutzte er 1758 eine ähnliche Art der Variolation, mit der Edward Jenner (1749 bis 1823) einige Jahrzehnte später als „Vater der Impfungen“ durch die Pockenimpfung in die Geschichtsbücher eingehen sollte.

»Zählt eure Kinder, wenn die Masern vorüber sind.«
Arabisches Sprichwort

Eher unfreiwillig bei der Untersuchung der Masernmassenepidemie auf den Faröer-Inseln bestätigte der junge dänische Arzt Peter Panum (1820 bis 1885) nicht nur die große Ansteckungsgefahr, er fand ebenfalls heraus, dass vierzehn Tage nach der Ansteckung der Ausschlag auftrat und bei einmal durchgemachter Krankheit ein lebenslanger Schutz, also eine Immunität existiert. 1911 gelang es zum ersten Mal Affen mit Masern zu infizieren. 1954 isolierte dann der amerikanische Mikrobiologe John Franklin Enders (1897 bis 1985) mit seinem Kollegen T.C. Peebles das Masernvirus. Dies führte 1958 zur Entwicklung des ersten Impfstoffs, der ab 1963 allgemein erhältlich war.

In den USA konnte die 1963/64 ausgerufene „Make Measles a Memory“-Kampagne die Masern praktisch ausrotten. Auch in vielen anderen Industrieländern gelang es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit groß angelegten Impfprogrammen, die Masern fast vollständig auszumerzen.

Allerdings existiert beispielsweise in Deutschland gegenwärtig keine Impfpflicht. Manche Eltern lassen ihre Kinder nicht gegen Masern impfen, umgekehrt finden sogar manchmal „Masernpartys“ statt, bei denen bewusst ungeimpfte Kinder mit Erkrankten zusammengebracht werden. In den Entwicklungsländern ist dies noch immer eine äußerst gefährliche Kinderkrankheit. Insofern stimmen Al-Razis-Worte aus dem 10. Jahrhundert, dass die Masern „fürchterlicher“ als die Pocken seien. Die Pocken sind ausgerottet, die Masern nicht.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/13 ab Seite 88.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

×