Ein grafisches Bild mit Coronaviren und einem Pfeil nach oben.
Die aktuelle Sieben-Tages-Inzidenz im Landkreis Tübingen liegt bei 182,8 (Stand 20. April) © Bihlmayer Fotografie / iStock / Getty Images Plus

Entwicklung | Infektionszahlen

MODELLPROJEKT GRUND FÜR EINE VORÜBERGEHENDE ZUNAHME VON ANSTECKUNGEN MIT SARS-COV-2?

Durch das Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ haben sich in Tübingen womöglich mehr Menschen mit dem Coronavirus angesteckt, als es ohne das Projekt der Fall gewesen wäre. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenschaftler, nachdem sie die Infektionszahlen in Tübingen mit denen ähnlicher Städte verglichen.

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Am 16. März 2021 startete das Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ in Tübingen. Dort haben seitdem der Einzelhandel, körpernahe Dienstleistungen und Kultureinrichtungen für Besucher mit einem negativen Corona-Schnelltest geöffnet. Für die Tests wurden in der Innenstadt mehrere Stationen aufgebaut. Wissenschaftler*innen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der Eberhard Karls Universität Tübingen und der University of Southern Denmark haben sich gefragt: Ob und wenn ja, wie, sich die Infektionszahlen in Tübingen durch das Projekt verändert haben? Prof. Dr. Klaus Wälde, Volkswirt an der JGU und Leiter der Studie, sagt:

Denn davon ist aus zwei Gründen auszugehen: Zum einen gibt es durch die vermehrten Kontakte, etwa beim Einkaufen, Frisör- oder Theaterbesuch, mehr Infektionsmöglichkeiten und zum anderen werden durch die zusätzlichen Tests mehr Infektionen entdeckt.

Allerdings hätte das zusätzliche Entdecken von infizierten Personen auch dazu führen können, dass sich diese Personen in Quarantäne begäben. Das hätte dazu geführt, dass die Infektionszahlen anschließend sänken. Doch wie die Forscher*innen erklären, bräuchte es ein zweites Tübingen, um eine wirklich objektive Antwort auf die Frage zu erhalten, wie sich die Infektionszahlen ohne Modellprojekt entwickelt hätten. Und zwar „einmal mit und einmal ohne Modellprojekt. Deshalb haben wir eine Kontrollgruppe, eine Art synthetisches Tübingen, geschaffen und das reale damit verglichen“, so die Forschenden.

Dazu haben sie die „Synthetic Control Method“ angewendet und aus anderen Landkreisen und kreisfreien Städten in Baden-Württemberg diejenigen herausgesucht, die mit Tübingen nach der Entwicklung der Corona-Fallzahlen bis Mitte März und nach bestimmten Strukturmerkmalen am stärksten übereinstimmen. Zu diesen Merkmalen gehören zum Beispiel die Bevölkerungsdichte, das Durchschnittsalter der Bevölkerung und das Angebot an Ärzt*innen sowie Apotheken. Die Städte, die sie für den Vergleich wählten, waren Heidelberg und Freiburg im Breisgau sowie die Landkreise Enzkreis und Heilbronn. Aus deren Infektionszahlen berechneten die Wissenschaftler*innen einen Durchschnitt, der den Infektionszahlen entsprechen könnte, die Tübingen ohne das Modellprojekt ab dem 16. März gehabt hätte. Dabei konnten sie ab Ende März eine deutliche Zunahme der Infektionszahlen in Tübingen gegenüber denen der Kontrollgruppe erkennen. Den größten Unterschied berechneten Wälde und seine Kolleg*innen für Anfang April: „Dann lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Tübingen bei 144, während sie für die Kontrollgruppe bei 100 liegt“, so der Studienleiter.

Bis zum 13. April (Ende des Beobachtungszeitraums) nimmt der berechnete Unterschied ab. An diesem Tag lagen die Infektionszahlen nur noch knapp über denen der Kontrollgruppe. Wälde erklärt das Ergebnis folgendermaßen:

Möglicherweise ist das damit zu erklären, dass am 1. April die Außengastronomie von dem Modellprojekt ausgenommen und wieder geschlossen wurde und dass ab dann auch niemand mehr von außerhalb des Landkreises Tübingen an dem Projekt teilnehmen durfte. Möglicherweise sehen wir hier aber auch den positiven Effekt der durch die zusätzlichen Schnelltests zusätzlich identifizierten Infektionen.

Die Forscher fanden außerdem heraus, dass die Zunahme bei der Inzidenz in Tübingen durch das vermehrte Testen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil, aber nicht vollständig erklärt werden kann.

Sabrina Peeters,
freie Journalistin

Quellen: Pressemitteilung der Johannes Gutenberg Universität Mainz
https://download.uni-mainz.de/presse/03_Diederichs_et_al_2021_The_case_of_Tuebingen.pdf
https://www.macro.economics.uni-mainz.de/category/corona/

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