Reflexe
MIT DEM HÄMMERCHEN AUFS KNIE
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Ein Reflex ist eine angeborene, schnelle, stets gleichartige, unwillkürliche Reaktion des Nervensystems auf einen bestimmten Reiz. Solche Reaktionen können lebenswichtig sein und sind bei Mensch und Tier zu finden. Sie werden als eine evolutionäre Anpassung an die Lebensbedingungen gedeutet, denn sie ermöglichen es dem Organismus, quasi augenblicklich und ohne darüber nachzudenken auf eine Veränderung in der Umgebung zu reagieren. Daneben gibt es auch gelernte, sogenannte konditionierte Reflexe, die durch den Pawlow’schen Hundeversuch bekannt wurden.
Diagnose Bandscheibenvorfall? Bleiben wir aber bei den angeborenen Reflexen und hier beim Beispiel mit dem Knie: Der Arzt klopft auf die Patellarsehne unterhalb der Kniescheibe am gebeugten Knie. Daraufhin kontrahiert die Streckmuskulatur des Oberschenkels (Quadrizeps) und das Kniegelenk streckt sich. Dieser Reflex hilft uns, das Gleichgewicht zu halten und auf unebenen Böden nicht umzufallen. Es ist ein Eigenreflex, weil die Reflexantwort im selben Organ stattfindet, in dem der Reiz ausgelöst wurde.
Der Reiz wird ans Rückenmark geleitet und dort in einer Synapse direkt auf ein Motoneuron umgeschaltet, das zum Quadrizeps führt. Motoneuronen steuern die Skelettmuskulatur. Über solche Reflexbögen können die einzelnen Rückenmarksnerven überprüft werden. Der Arzt wiederholt diesen Test ein paar Mal an jedem Bein. Ist der Reflex vermindert, kann dies ein Hinweis auf eine Neuropathie, beispielsweise auf eine diabetische Polyneuropathie, sein. Ist der Reflex ganz erloschen, kann es an einer Einengung der Nerven im Bereich der Lendenwirbelsäule liegen.
Es besteht der Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall im Bereich L3/L4. Möglich ist aber auch eine gesteigerte Reflexantwort. Dies findet man zum Beispiel nach einem Schlaganfall, wenn die Pyramidenbahn geschädigt ist. Die Pyramidenbahn ist ein Bündel von motorischen Nervenfasern, die vom Gehirn zum Rückenmark laufen und unsere Bewegungen koordinieren. Bei einem Schaden können auch pathologische Reflexe auftreten, die ein gesunder Mensch nicht zeigt. Weitere Reflexe, deren Fehlen auf Bandscheibenschäden hinweisen, sind der Achillessehnenreflex, bei dem der Arzt beim auf dem Bauch liegenden Patienten, dessen Unterschenkel über die Untersuchungsliege herausragen, auf die Achillessehne knapp oberhalb der Ferse klopft.
Beim Gesunden streckt sich der Fuß kurz. Fehlt der Reflex, kann eine Achillessehnenschädigung oder ein Bandscheibenvorfall im oberen Kreuzbein (S1) vorliegen. Der Tibialis-posterior-Reflex kann einen Bandscheibenvorfall im Bereich L5 aufdecken. Der Musculus tibialis posterior ist der hintere Schienbeinmuskel. Er steuert den inneren Fußrand. Schlägt der Arzt mit dem Hämmerchen direkt unter den Innenknöchel, so muss sich der innere Fußrand heben. Wichtig ist, den Reflex an beiden Beinen zu testen und zu vergleichen, denn er ist individuell unterschiedlich ausgeprägt.
Schädigung von Sehnerv oder Gehirn? Je nach Lichteinfall kann durch Vergrößerung oder Verkleinerung die Pupille verändert werden. Bei einem plötzlichen starken Lichteinfall schützt der Pupillenreflex vor einer Schädigung der Sehzellen. Es genügt, die Netzhaut eines Auges zu beleuchten, um in beiden Augen durch Schließen der Regenbogenhaut eine sofortige Pupillenverkleinerung gleichen Ausmaßes auszulösen. Beim Pupillenreflex handelt es sich um einen polysynaptischen Reflex, da er über mehrere Synapsen läuft. Der Arzt testet ihn zum Beispiel bei Unfallopfern, um eine Hirnverletzung auszuschließen beziehungsweise um ihr auf die Spur zu kommen.
Auch nach einem Schlaganfall kann der Reflex gestört sein. Mit einer Taschenlampe leuchtet der Arzt für einen kurzen Moment in ein Auge des Patienten. Wenn sich die beiden Augen unterschiedlich verhalten und sich die Pupillen nicht in gleicher Weise schließen, was durch einen erhöhten Druck auf einer Hirnseite zustande kommt, muss von einer Hirnschädigung ausgegangen werden, die durch weitere Untersuchungen genauer zu diagnostizieren ist. Es kann allerdings auch eine Schädigung des Sehnervs vorliegen. Beeinträchtigt wird der Reflex durch einige Drogen und Vergiftungen. Kokain und Amphetamine stellen die Pupillen weit und vermindern den Reflex.
Opioide führen zu einer Pupillenverengung auch ohne starken Lichteinfall. Ein weiterer Schutzreflex des Auges ist der Lidschlussreflex. Er schützt das Auge vor Verletzungen durch herannahende Fremdkörper. Die mechanische Einwirkung auf die Hornhaut oder die nähere Umgebung des Auges bewirkt einen Verschluss der Augenlider im Bruchteil einer Sekunde. Der Arzt ahmt den Fremdkörper mit einem Wattestäbchen nach. Funktioniert der Lidschlussreflex nicht, so spricht das für Lähmungen des Gesichtsnervs, zum Beispiel aufgrund eines Schlaganfalles.
Hirntot? Anhand fehlender Reflexe lässt sich auch der Hirntod eines Menschen feststellen. Denn bei einem bewusstlosen Patienten sind bestimmte Reflexe auslösbar, bei einem Hirntoten jedoch nicht. Hierzu zählen der Pupillenreflex, der Lidschlussreflex, das Puppenkopf-Phänomen, der Würge- und Hustenreflex sowie Schmerzreaktionen im Gesicht. Das Puppenkopf-Phänomen wird auch als okulozephaler Reflex bezeichnet. Ein bewusstloser Patient reagiert auf das schnelle Drehen oder Kippen seines Kopfes mit einer langsamen Gegenbewegung der Augen. Bei einem Hirntoten bleiben die Augen während dieses Tests ohne Reaktion in ihrer Ausgangsstellung.
Den Würge- und Hustenreflex kann man auslösen, wenn man die hintere Rachenwand berührt. Bewusstlose reagieren darauf, Hirntote nicht. Auf Schmerzreize im Gesicht reagieren selbst Patienten, die im tiefen Koma liegen mit erkennbaren Muskelzuckungen und Abwehrreaktionen der Kopf- und Halsmuskulatur. Bei Hirntoten bleiben auch diese Reflexe aus. Auch die unbewusst ablaufende Atmung ist ein lebenswichtiger Reflex, den man für die Diagnose des Hirntods heranzieht. Steigt der Kohlendioxid-Gehalt im Blut, wird das Atemzentrum aktiviert, das einen Atemzug auslöst. Wenn alle fünf Reflexprüfungen auf einen Hirntod hindeuten, dann wird jede maschinelle Beatmung ausgestellt. Setzt keine Spontanatmung ein, so liegt ein kompletter Ausfall des Atemzentrums vor.
Frühkindliche Reflexe Erfreulicher ist in der Regel die Überprüfung der Neugeborenenreflexe. Es sind Schutzreflexe, die dem Baby bei der Geburt und in den ersten Lebenswochen helfen. Sobald es lernt, seine Muskeln zu kontrollieren, verlieren sich diese Reflexbewegungen allmählich. Dazu gehören unter anderem der Suchreflex, bei dem der Kopf gedreht wird, wenn ein Mundwinkel berührt wird, der Saug- und Schluckreflex, der Hand- und Fußgreifreflex, der entwicklungsgeschichtlich dem Festhalten an der Mutter dient, der Schwimmreflex und der Schreitreflex. Ärzte testen bei den Vorsorgeuntersuchungen, ob die Reflexe noch auslösbar sind. Dies lässt Rückschlüsse auf die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes zu.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/18 auf Seite 148.
Sabine Breuer, Apothekerin/Chefredaktion