Neuronen© ktsimage / iStock / Getty Images Plus
Im Gehirn eines Erwachsenen werden durch sogenannte perineuronale Netzwerke die Verbindungen zwischen den Nervenzellen stabilisiert. Dadurch können Erinnerungen besser gefestigt werden.

Mikroglia | Nervenzellen

WIEDERBESCHREIBBARES HIRN

In der frühen Kindheit können sich im Gehirn sehr leicht neue Verknüpfungen bilden. Mit zunehmendem Alter schwindet diese hohe neuronale Plastizität zugunsten langfristiger Erinnerungen. Forscher haben nun einen Weg gefunden, die neuronale Plastizität wiederherzustellen.

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Sogenannte perineuronale Netze stabilisieren die Verbindungen zwischen den Nervenzellen im erwachsenen Gehirn und festigen auf diese Weise Erinnerungen. Es handelt sich dabei um Zucker-Protein-Komplexe, die sich um die Nervenzellen, Dendriten und Synapsen herum anlagern. Sie sind an der Signalübertragung beteiligt. Während bestehende Verknüpfungen gestärkt werden, werden neue weniger leicht gebildet.

Entfernt man die perineuronalen Netze, erhöht dies die neuronale Plastizität. Es macht das Gehirn wieder anpassungs- und lernfähig – wie in der Kindheit. Das haben Tierversuche gezeigt. Ein Team um Alessandro Venturino vom Institute of Science and Technology (IST) Austria hat zwei Möglichkeiten entdeckt, perineuronale Netze bei Mäusen zu entfernen: wiederholte Behandlungen mit dem Anästhetikum Ketamin sowie Lichtflimmern in einer Frequenz von 60 Hertz.

Durch frühere Versuche an Ratten konnte man bereits feststellen, dass Ketamin dazu geeignet sein könnte, perineuronale Netze zu entfernen. Die Ratten bekamen allerdings über einen längeren Zeitraum niedrige Dosen verabreicht und entwickelten oft Symptome von Schizophrenie. Die Forschenden vom IST hingegen verwendeten eine so hohe Dosis Ketamin, dass sie ihre Versuchsmäuse damit in Narkose versetzten. Venturinos Kollegin Sandra Siegert sagt über das Ergebnis:

„Nach nur drei Behandlungen konnten wir einen erheblichen Verlust des perineuronalen Netzes feststellen, der sieben Tage lang anhielt, bevor es wieder aufgebaut wurde.“

Die Rolle der Mikroglia

Mikroglia sind als Immunzellen des Gehirns bekannt. In einem späten Stadium der Alzheimer-Krankheit können sich diese Fresszellen beispielsweise gegen Synapsen und Nervenzellen richten oder die schädlichen Plaques abbauen. Was die Wissenschaftler, überraschte: Sie reagieren auch stark auf die Ketamin-Narkose. Die Mikroglia zerfressen das perineuronale Netz – und zwar ohne die in früheren Versuchen beobachteten Nebenwirkungen.

Da bereits frühere Versuche gezeigt haben, dass es möglich ist, testeten die Forschenden, inwieweit sich die Mikroglia-Aktivität gegen das perineuronale Netz auch ohne Ketamin erreichen lässt: durch optische Impulse. „Es wurde bereits gezeigt, dass Licht, das 40 Mal pro Sekunde – also mit 40 Hertz – flackert, die Mikroglia dazu anregen kann, Plaques zu entfernen, die durch die Alzheimer-Krankheit entstehen. Aber das perineuronale Netz wurde davon nicht angegriffen“, erklärt Venturino. Flackert das Licht 60 Mal pro Sekunde, so haben Venturino und seine Kollegen festgestellt, dass es einen ähnlichen Effekt hat wie die Ketamin-Behandlungen.
 

Neue Therapieansätze

Bisherige Strategien, um perineuronale Netze zu entfernen, haben den Nachteil, dass sie dauerhaft sowie invasiv sind und neuropsychiatrische Symptome triggern. Die hochdosierte Ketaminbehandlung und das 60-Hertz-Lichtflimmern hingegen sind nur minimalinvasiv und könnten daher auch neue Therapieansätze am Menschen eröffnen.

Sobald die perineuronalen Netze im Gehirn abgebaut sind, sind die Neuronen wieder empfänglich. Außerdem können alte Synapsen leichter abgebaut und neue gebildet werden. Doch Venturino stellt klar:

„Es ist aber nicht so, dass man einfach Ketamin einnimmt und dadurch klug wird.“

Die Studienergebnisse zeigen, dass durch die Wiederherstellung der Plastizität, traumatische Erfahrungen überschrieben und posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können. „Aber wir sind sehr vorsichtig, denn in diesem prägenden Fenster könnte auch etwas Traumatisches passieren“, warnt Siegert. In Zukunft müssen weitere Studien klären, welche Anwendungsgebiete und Behandlungen tatsächlich aussichtsreich sind.

Quelle: www.wissenschaft.de

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