Diabetes | Kinder
MEIN KIND HAT TYP-1-DIABETES - WAS TUN?
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Die ersten Anzeichen scheinen banal: Das Kind trinkt sehr viel und muss nachts häufig auf die Toilette. Dabei wirkt es zunehmend abgeschlagener und müder, verliert an Gewicht. All das könnte für Diabetes Typ 1 sprechen.
Das viele Trinken falle gerade im Sommer erst einmal nicht so auf, weiß Martin Holder. Er leitet am Klinikum Stuttgart die Schulungs- und Behandlungseinrichtung für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes. «Häufig freuen sich die Eltern noch darüber.»
Die Symptome werden oft zu spät erkannt, wie Prof. Andreas Neu erklärt. Das führt zu einer Stoffwechsel-Entgleisung. Der Blutzucker steigt erheblich, es werden Säuren produziert, die den Körper übersäuern. «Zellen und Organe werden in ihrer Funktion gelähmt oder funktionsuntüchtig», führt der Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft aus.
Kinderklinik als erste Station
Die Diagnose ist meist recht schnell gestellt, ein Blut- oder Urintest bringt Klarheit. Die Familien jedoch trifft die chronische Krankheit hart. «Das Leben ändert sich schlagartig», sagt Holder. In der Regel gingen die Kinder besser damit um, erklärt Bernhard Kulzer, Fachpsychologe für Diabetes.
Wichtig nach der Diagnose ist die rasche Einweisung in eine Kinderklinik, um die Insulin-Versorgung einzustellen. Die ersten Tage gilt es, die Stoffwechselverhältnisse zu normalisieren.
Dann erst beginnt die Schulung der Eltern und des Kindes. Wie messe ich meinen Blutzucker? Auf was muss ich beim Essen achten und wie mache ich künftig Sport, all diese Fragen werden dabei geklärt. Meist bedeute das einen 14-tägigen stationären Aufenthalt, sagt Holder. «Ziel ist, dass die Kinder und ihre Familien so normal wie möglich weiterleben können.»
Nicht in die Schuldfalle tappen
Die Anfangsphase sei entscheidend für den Umgang mit der Krankheit, erläutert Kulzer. Wie überwinden die Eltern gemeinsam diesen Schock, und wie integrieren sie die Krankheit ins Familiensystem? «Meist wird recherchiert, ob es in der Verwandtschaft ähnliche Fälle gibt und ob es erblich ist.»
Trotz intensiver Forschung ist bislang nicht sicher, wie dieser Diabetes-Typ entsteht. Gewisse Strukturen des Immunsystems seien durchaus erblich, berichtet Kulzer, die hätten jedoch viele Menschen, die dann nicht an Diabetes erkranken. Gerade deshalb müssten Eltern aufgeklärt und unterstützt werden, um gar nicht erst die Schuld-Frage zu stellen.
«Irgendwann fängt aber jeder an, mit der Krankheit zu hadern», sagt Holder. In den Kliniken gehört aus diesem Grund eine fortlaufende psychosoziale Begleitung häufig mit zum Programm.
Therapiert wird Diabetes Typ 1 meist durch Insulin-Spritzen oder eine Insulin-Pumpe. Wird das Kind über eine Pumpe versorgt, muss es je nach Alter selbst oder mit Hilfe der Eltern alle zwei bis drei Tage den Katheter wechseln. «Zu Beginn ist der Mehraufwand natürlich noch groß und wird häufig als Belastung empfunden», legt Neu dar. Schnell werde das Zuckermessen, Abschätzen der Kohlenhydrate und Spritzen aber zur Routine.
Normalität im Alltag entscheidend
Kulzers wichtigster Tipp lautet daher: Normalität. «Dass das Kind chronisch erkrankt, bedeutet, dass man ihm mehr Aufmerksamkeit widmet.» Sein Team rate deshalb stets, es langsam angehen zu lassen. «Die Technik ist mittlerweile sehr gut, es kann gerade am Anfang wenig passieren», sagt Kulzer. Er empfiehlt Eltern, offen mit der Krankheit umzugehen, und auch das Kind offen damit umgehen zu lassen. «Das ist die beste Chance, dass sich alles normalisiert.»
Neu plädiert für eine gute Balance zwischen Kontrolle, Überwachung und Einschränkung auf der einen Seite und der Stärkung von Eigenverantwortlichkeit und Freiheit auf der anderen Seite. «Eltern sollen darauf vertrauen, dass das Kind selbst etwas leisten kann.»
Geschwister werden oft etwas vernachlässigt, wissen die Experten. «Der größte Fehler wäre, das kranke Kind in Watte zu packen oder ihm zu viel Aufmerksamkeit über die Erkrankung zu geben», warnt Kulzer. Holder empfiehlt, Geschwister bewusst mit einzubinden, vielleicht sogar je nach Alter ihnen Verantwortung zu übergeben oder einmal ausschließlich mit ihnen was zu unternehmen.
Selbsthilfegruppe für den Austausch
Den Experten zufolge ist es wichtig, die Schulungen über den Kreis der Familie auszuweiten. So werden beispielsweise die Betreuenden in der Kita, im Kindergarten oder Lehrer aufgeklärt, um Missverständnisse zu vermeiden. «Kinder denken, das sei ansteckend und wollen dann nicht mehr neben dem kranken Kind sitzen oder mit ihm spielen», sagt Neu.
Gerade für Klassenfahrten sollten Lehrer vorbereitet sein. Neu bietet an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Tübingen an, gute Freunde des Kindes vorher zu schulen. «Wir instruieren sie über die Zeichen einer möglichen Stoffwechsel-Entgleisung, damit sie wissen, wann sie Hilfe holen müssen», erklärt der Professor.
Die Experten raten Eltern, sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen, um sich auszutauschen und Tipps zu geben. Das sei auch für die Kinder wichtig, um Gleichgesinnte zu treffen und zu merken, dass sie nicht alleine sind. Darüber hinaus können Vorbilder wie Leistungssportler mit Diabetes 1 helfen, die Krankheit besser zu akzeptieren.
Quelle: dpa