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Ernährung als Medizin

MASSGESCHNEIDERTE SPEISEPLÄNE

Mehr oder weniger Mahlzeiten am Tag? Aufs Abendessen lieber verzichten? Schützt dunkle Schokolade wirklich das Herz? Das Karussell der Ernährungstrends dreht sich schnell – und verunsichert manchmal auch völlig gesunde Menschen.

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An eine „richtige“ Ernährung knüpfen sich mittlerweile enorme Erwartungen – kein Wunder, da schier wöchentlich neue Versprechungen beziehungsweise Warnungen kursieren. Glaubt man den Medien und manchen Internetseiten, gibt es kaum ein Zipperlein oder Leiden, das sich nicht mit der richtigen Kost beheben ließe – schönere Haut und längeres Leben inbegriffen. Im Übermaß genossen, beeinflussen Zucker und Fett den Stoffwechsel eher ungünstig, zumindest auf Dauer, demgegenüber entfalten Ballaststoffen im Wesentlichen – meist! – günstige Wirkungen.

Derlei Einsichten hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. in zehn Regeln gegossen, um eine grobe Orientierung zu geben. Auf den Ratgeberseiten der Presse geraten diese Empfehlungen sowie das eine oder andere Ergebnis einer der zahlreichen Ernährungsstudien nicht selten zu ehernen Geund Verboten und statistische Daten über Wahrscheinlichkeiten werden als eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen missverstanden.

Schwierige Daten An der Fülle der zum Teil auch einander widersprechenden Studienergebnisse lässt sich ablesen, wie komplex die Materie tatsächlich ist. Ohne Zweifel hat die Erforschung möglicher Auswirkungen von Ernährungsformen auf den Gesundheitszustand beziehungsweise das Auftreten von Krankheiten in späteren Jahren besondere Schwierigkeiten zu überwinden. So lässt sich, was bei den Probanden auf den Teller kommt und was sie zwischendurch zu sich nehmen, aus ethischen wie auch aus ganz praktischen Gründen nicht festlegen, wie man es bei klinischen Studien mit Therapien macht.

Ebenso schwierig ist es, die Angaben zu kontrollieren: Fragebögen sind gerade in diesem Bereich fehleranfällig. So sind die wenigsten Empfehlungen für gesunde Kost durch gute Evidenz abgesichert. Streng wissenschaftlich betrachtet, liefern die meisten Untersuchungen, auf die sich die gängigen Empfehlungen stützen, nur Hypothesen: Beim Gros der Ernährungsstudien handelt es sich um Beobachtungsstudien, die aus Sicht der evidenzbasierten Medizin als nicht sehr zuverlässig gelten: zu viele andere Einflüsse und zufällige Konstellationen können hierbei die gefundenen, rein statistischen Zusammenhänge verzerren.

Und selbst Untersuchungen, die randomisiert und kontrolliert durchgeführt wurden und damit die heute geltenden wissenschaftlichen Anforderungen an wissenschaftlich fundierte Studien erfüllen, geben Wissenschaftlern, die genauer hinsehen, Anlass zur Kritik. Ein Beispiel ist etwa die Aussage, dass schon dreimal eine Handvoll Nüsse pro Woche die Gesamtmortalität um fast 40 Prozent senken soll – laut Experten eine gewagte Hochrechnung aus Daten, die teilweise angreifbar sind.

Viele Unbekannte Die meisten chronischen Krankheiten entstehen durch vielschichtige Prozesse, die wiederum mit einander vernetzt sind. Betrachtet man isoliert nur eine einzelne Facette und blendet andere aus – von Bewegungsarmut und Stress, über Schlafqualität, Schadstoffe aller Art bis hin zu sozioökonomischen Variablen und Genen – wird man der Komplexität der Krankheitsentstehung nicht gerecht. Ergebnisverfälschungen durch Störgrößen lassen sich Experten zufolge auch durch statistische Berücksichtigung einiger bekannter solcher Variablen nicht verhindern – gerade bei so vielfältigen, oft miteinander verwobenen Elementen der Lebensgewohnheiten.

Umso vorsichtiger sind aber so gewonnene Resultate zu bewerten. Zudem: Was in statistischen Zahlen stimmt, ist für den Einzelnen nicht notwendig uneingeschränkt gut. Zum Beispiel reagiert der Verdauungstrakt mancher Menschen besonders empfindlich auf die „an sich“ gesunden Ballaststoffe. Erklären Sie daher Kunden, die sich Stress mit dem gesunden Essen bereiten, dass es manchmal gesünder sein kann, mit Spaß und lieben Menschen zu genießen, als mit schlechtem Gefühl zu kauen, was einem eigentlich nicht schmeckt. Vielleicht können ja die Zubereitung frischer Mahlzeiten und die Zeit, sie in Ruhe und genussvoll – und am besten in Gesellschaft – zu verspeisen, letztlich mehr zur Gesunderhaltung beitragen als das allzu genaue Abwiegen und Ausrechnen „erlaubter“ und nicht erlaubter Komponenten.

Nutrigenomik Es ist eine gängige Erfahrung: Längst nicht jeder, der viel fette Braten und kaum Salat isst, ist dick oder wird zum Herzpatienten. Die Forschung hat längst erkannt, dass es keine einzelne Diät geben kann, die bei jedem gleich wirkt.

ZUSATZINFORMATIONEN
Alle Menschen haben verschiedene Genvarianten, die sich jeweils unterschiedlich auf den Stoffwechsel auswirken. Man vermutet, dass viele unserer Gene in einer Art Wechselbeziehung mit Ernährungsfaktoren stehen und möglicherweise mehrere Hunderte von Genvariationen die Verdauungsprozesse – und damit auch die Verträglichkeit von Nahrung - und das Körpergewicht beeinflussen. Je nachdem, ob etwa bestimmte Enzyme im Stoffwechsel mehr oder weniger aktiv sind, können zum Beispiel manche Substanzen schlechter verwertet werden.

Die Nutrigenomik, ein relativ junger Forschungszweig, befasst sich mit den Möglichkeiten einer individuellen Ernährungsberatung, die sich unter anderem auf Genanalysen stützt. Schon heute werben Firmen und Institute für DNA-Tests, auf Basis derer es gelingen soll, abzunehmen oder langfristig gesund zu bleiben. Aber gegenüber solchen Angeboten ist große Zurückhaltung angebracht. Denn noch ist man erst dabei, für die möglicherweise relevanten Gene herauszuarbeiten, ob und wie sich deren verschiedene Ausprägungen auf die Nahrungsverwertung auswirken; unzählige Wechselwirkungen sind vorstellbar.

Ob eine Kost, die sich am eigenen Genom orientiert, im Endeffekt wirklich gesünder ist, ist noch unbekannt. Mit dem von der EU geförderten Projekt „Food4Me“ sollen die Möglichkeiten einer solchen personalisierten Ernährung vorerst an fünf Genen ausgelotet werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/14 ab Seite 104.

Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin

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