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Rauschtrinken

LEBENSBEDROHLICHE ALKOHOLEXZESSE

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Alkoholvergiftungen, die stationärer Behandlung bedürfen, steigt stetig. 2012 haben sich über 26 000 Jungen und Mädchen so stark betrunken, dass der Notarzt kommen musste.

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Die Droge Alkohol genießt hier zu Lande gesellschaftliche Anerkennung; ihr Konsum gehört in der Erwachsenenwelt zur Normalität und wird mit Geselligkeit und Entspannung assoziiert. Bei der Jugend gilt dies als cool und Trinkfestigkeit als Beweis, kein Kind mehr zu sein. Vor diesem Hintergrund wird seit geraumer Zeit ein besorgniserregender Trend beobachtet: Jugendliche und sogar Kinder treffen sich zum gemeinsamen Besäufnis, bei dem extreme Mengen alkoholischer Getränke in kurzer Zeit konsumiert werden . Aus einem schweren Rauschzustand kann sich dann rasch eine lebensbedrohliche Situation entwickeln.

Was im Gehirn passiert Regelmäßig zu sich genommen, schädigt das Zellgift Ethanol langfristig auch in relativ geringen Mengen den gesamten Körper. Insbesondere Leber, Herz, Magen und Nervensystem sind betroffen. Außerdem besteht die Gefahr, abhängig zu werden (Alkoholkrankheit). Die wichtigsten akuten Wirkungen löst Ethanol aber im Zentralnervensystem (ZNS) aus.

Hier sind es hauptsächlich zwei Neurotransmittersysteme, an denen es ansetzt: GABA-Rezeptoren, an denen die Erregbarkeit der Nervenzellen herabgesetzt wird, werden angeregt – ähnlich wie durch Benzodiazepine oder Barbiturate – und bestimmte Glutamatrezeptoren, die unter anderem für Bewegungsteuerung sowie Gedächtnisfunktionen wichtig sind, blockiert. Grob vereinfacht dämpft Alkohol erregende Ereignisse im Gehirn und fördert die Hemmung neuronaler Aktivität.

Beides führt unter geringen Mengen zunächst zu einer angstlösenden, enthemmenden Wirkung, sprich: Der Alkoholeinfluss macht lockerer, mutiger, hebt Kontaktfreude und Stimmung. Mit größeren Mengen kommt dann die Sedation zum Tragen. Neurologen sprechen von einer zentralnervösen Enthemmung, gefolgt von einer Lähmung.

Akute Alkoholvergiftung Die beeinträchtigte Informationsübermittlung zwischen den Nervenzellen führt zu den bekannten Phänomenen wie Trübung der Sinneswahrnehmungen und Störung von Sprache und Gleichgewichtssinn. Die Folgen sind bekannt: von Redseligkeit und undeutlich werdender Sprache bis zum Torkeln und verlängerter Reaktionszeit (Stadium 1). Im Stadium 2 (bei einer Alkoholkonzentration von etwa 2 bis 2,5 Promille im Blut) gelingt es den Betroffenen immer weniger, sich zu artikulieren; die Muskeln erschlaffen. In dieser Phase schlägt die gute Laune oft in Aggressivität um. Betroffene werden benommen und schläfrig.

PROBLEM ENERGYDRINKS
Zusätzlich kritisch kann es sich auswirken, wenn auf Feiern Hochprozentiges mit Koffein- und Taurin-haltigen Limonaden gemixt wird. Abgesehen davon, dass sich alkoholisierte Personen nach Konsum solcher aufputschender Getränke fälschlich für noch fahrtüchtig halten und so sich und andere gefährden, ist die Kombination für sich riskant: Derartige Mischungen können lebensgefährliche Reaktionen auslösen, von Herzrhythmusstörungen über Nierenversagen bis zu Krampfanfällen, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung – Todesfälle nicht ausgeschlossen.

Ab Stadium 3 (bis zu ungefähr vier Promille) wird der Betroffene bewusstlos und es droht ein Schock. Im Stadium 4 schließlich droht Kreislaufversagen. Die Pupillen des Patienten reagieren nicht mehr, sein Körper ist unterkühlt, die Atmung gestört; ein Atemstillstand (mit der Folge einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns) droht. Diese zentrale Atemdepression kann ebenso zum Tod führen wie eine Aspiration von Erbrochenem. In diesem Stadium haben Betroffene nämlich auch keine Schutzreflexe mehr wie den Lidschluss- oder Würgereflex.

Die Wirkung eines bestimmten Alkoholquantums variiert dabei je nach Körpergewicht, genetischer Ausstattung mit Alkohol-abbauenden Enzymen, Geschlecht, Trinkgewohnheiten und Magenfüllung individuell und situationsabhängig. Je rascher größere Mengen getrunken werden, umso gefährlicher der Effekt, da dann extrem hohe Level im Blut erreicht werden, noch bevor der Körper mit Übelkeit und Erbrechen reagieren kann.

Nicht nur die gleichzeitige Einnahme von Drogen oder Medikamenten kann durch Wechselwirkungen die Vergiftung beschleunigen und den Zustand verschärfen, auch in manchen Getränken enthaltenes Methanol oder andere Fuselalkohole, die als Nebenprodukte von Gärungsprozessen entstehen können, verschlimmern die Folgen zusätzlich. Kinder und Jugendliche reagieren in der Regel deutlich empfindlicher auf Alkohol, das heißt, schon auf niedrigere Dosen.

Erste Hilfe Gibt es Hinweise auf eine Alkoholintoxikation, muss – auch wenn der Mensch (noch) ansprechbar ist, als erstes ein Notarzt gerufen werden. Bewusstlose müssen in die stabile Seitenlage gebracht werden, um zu verhindern, dass sie im Fall des Erbrechens daran ersticken. Atmet die Person nicht, sind Wiederbelebungsmaßnahmen erforderlich. Weil Alkohol die peripheren Gefäße weit stellt, kann es sehr rasch zu einer starken Auskühlung kommen; daher sollte die Person zugedeckt werden.

Teenagergehirne besonders gefährdet Anders als früher gedacht, dauert die Hirnentwicklung wesentlich länger und ist erst etwa im Alter von rund 25 Jahren komplett abgeschlossen. Gerade in der Adoleszenz, also der Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenenstadium, finden dynamische Veränderungen statt. Während das für Emotionen zuständige limbische System bei Jugendlichen weitgehend entwickelt und sehr aktiv ist, befindet sich dessen Gegenpol, das Stirnhirn (präfrontaler Kortex), noch in der Entwicklung.

In diesem Teil des Gehirns vermutet man Arbeitgedächtnis, Handlungsplanung und komplexe kognitive Leistungen wie Denken und Entscheidungsfindung. Die unterschiedliche Reifungsgeschwindigkeit der verschiedenen Areale erklärt die relativ höhere Risikobereitschaft Jugendlicher. Da die Ausbildung von Verschaltungen im Gehirn in dieser Phase offenbar stark von äußeren Einflüssen geprägt wird, nimmt man an, dass Alkohol, vor allem in hohen Dosen, in diesem Lebensabschnitt besonders schädlich für das Gehirn ist. Nach epidemiologischen Studien ist das Risiko einer Alkoholkrankheit umso größer, je früher die Erfahrungen mit dem Stoff gesammelt werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/14 ab Seite 48.

Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin

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