Der Thrombozytenaggregationshemmer Acetylsalicylsäure ist in niedriger Dosierung eins der Standardmedikamente nach Herzinfarkt oder Schlaganfall. Bei gesunden Senioren sieht eine Studie allerdings eher Risiko als Nutzen. © Thomas-Soellner / iStock / Getty Images Plus

Primärprävention | Australische Studie

KREBSRISIKO NACH TÄGLICHER ASS-EINNAHME LEICHT ERHÖHT

Immer wieder erschüttern Studien scheinbare medizinische Gewissheiten. So auch diese: „An aspirin a day keeps the doctor away“ stimmt nicht immer. Bei Menschen über 70 zeigte sich das Krebsrisiko nach einer Einnahmedauer von knapp fünf Jahren leicht erhöht.

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Auch die Ärzte hierzulande verschreiben ihren Patienten nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt Acetylsalicylsäure (ASS) in der niedrigen Tagesdosis von 100 Milligramm (mg). Dieser Nutzen ist durch mehrere große randomisierte klinische Studien belegt. Der Thrombozytenaggregationshemmer hat dort mehr Patienten vor weiteren thrombotischen Ereignissen geschützt als durch Blutungskomplikationen gefährdet.

Was liegt näher, als das Prinzip auch auf gesunde Menschen zu übertragen, um sie vor Schlaganfall und Herzinfarkt zu schützen. Sogar eine krebspräventive Wirkung wird diskutiert, da ASS die Entwicklung von Darmpolypen hemmt. Diese Vorteile müssen jedoch gegen das Blutungsrisiko abgewogen werden.

In einer großen australischen Studie wurde nun die Primarprävention von ASS in Bezug auf Menschen ab 70 Jahre überprüft (bisher galt die Empfehlung nur für jüngere Erwachsene zwischen 50 und 70 Jahren). Sie alle waren frei von Erkrankungen, nach denen der Einsatz von ASS induziert ist, nicht jedoch von kardiovaskulären Risikofaktoren: Drei Viertel der knapp 20 000 Teilnehmer hatten einen zu hohen Blutdruck, zwei Drittel zu hohe Blutfette und ein Viertel eine eingeschränkte Nierenfunktion. Bei elf Prozent lag ein Typ-2-Diabetes vor.

Vor diesem Hintergrund hatte das Team um John McNeil von der Monash University in Melbourne erwartet, das die Einnahme von ASS während der Behandlungsdauer von 4,7 Jahren die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse deutlich senkt. Jedoch: Das war nur eingeschränkt der Fall.

Zwar traten in der ASS-Gruppe bei 448 Personen kardiovaskuläre Ereignisse auf und bei der Placebo-Gruppe 474. Allerdings kam es in der ASS-Gruppe bei 361 Patienten zu schweren Blutungskomplikationen. Dazu gehörten hämorrhagische Schlaganfälle oder sonstige Blutungen im Gehirn, gastrointestinale oder sonstige Blutungen, die eine Transfusion erforderlich machten. Trotz der schweren Folgen, die diese Blutungen haben können, war das behinderungsfreie Überleben in der ASS-Gruppe nicht höher als in der Placebogruppe.

Also könnte bei diesem „Gleichstand“ die erhoffte krebspräventive Wirkung von Acetylsalicylsäure den entscheidenden Vorteil bedeuten. Zur Enttäuschung aller ASS-Anhänger mussten McNeil und seine Mitarbeiter jedoch feststellen, dass es in der ASS-Gruppe nicht zu weniger, sondern zu mehr Krebstodesfällen (295) kam als in der Placebogruppe (227). Selbst kolorektale Karzinome traten in der ASS-Gruppe häufiger auf als in der Placebogruppe. Am Ende war die Gesamtsterblichkeit in der ASS-Gruppe eindeutig erhöht.

Die Ergebnisse der Studie bedeuten damit für McNeil nicht nur, dass Millionen von gesunden älteren Menschen auf der ganzen Welt aus der Einnahme von „Baby-Aspirin“ keinen Nutzen ziehen: Sie könnten ihre Gesundheit damit sogar schädigen.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Ärzteblatt

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