Erkrankungen im Kindesalter
KLEINE DRACHEN UNTER DER HAUT
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Krätze kommt von kratzen – und das beschreibt auch schon das wichtigste Symptom der Erkrankung: den starken Juckreiz. Auch der lateinische Name der Erkrankung – Scabies – spiegelt dies wieder – er kommt von scabere (lateinisch: kratzen). Die Ursache sind Krätzemilben, mit vollem Namen Sarcoptes scabiei variatio hominis. Nach der Befruchtung bohren sich die Weibchen in die obersten Schichten der Haut, also das Stratum corneum und das Stratum granulosum, und graben dort Gänge, bis zu fünf Millimeter am Tag, wo sie ihre Eier ablegen. Für den Juckreiz hauptsächlich verantwortlich ist ihr Kot, den sie dort ebenfalls abgeben.
Der Erreger Die Krätzemilbe gehört zu den Spinnentieren. Sie ist für ihr Überleben und ihre Fortpflanzung auf ihren Wirt, den Menschen, angewiesen. Die ausgewachsenen Milben-Weibchen sind etwa 0,3 bis 0,5 mm groß und damit gerade noch so mit dem bloßen Auge erkennbar. Männchen werden maximal so groß wie kleine Weibchen. Ihre einzige Aufgabe ist die Befruchtung – danach sterben sie. Die befruchteten Weibchen bohren sich sodann mit ihren kräftigen Kieferwerkzeugen in die obersten Hautschichten hinein, wo sie ihre restliche Lebenszeit von sechs bis acht Wochen verbringen. Dort graben sie Tunnel, in denen sie jeden Tag ein bis vier Eier legen. Aus diesen Eiern schlüpfen nach zwei bis drei Tagen Larven, die sich in Falten, Vertiefungen und Haarfolikeln auf der Hautoberfläche zunächst zu Nymphen und innerhalb von zwei bis drei Wochen zu geschlechtsreifen Milben entwickeln. Dann beginnt der Zyklus von vorne.
Enger Hautkontakt Die Übertragung der Krätze erfolgt ganz überwiegend über Hautkontakt. Da Milben nicht springen können, sondern nur langsam krabbeln, geht man davon aus, dass ein enger Kontakt von fünf bis zehn Minuten notwendig ist. Ein Infektionsrisiko besteht demnach vor allem innerhalb von Familien sowie in Einrichtungen, wo häufig Haut-zu-Haut-Kontakt stattfindet, etwa in Krabbelstuben und Kindergärten. Bei Jugendlichen und Erwachsenen spielt zudem der Geschlechtsverkehr für die Übertragung eine Rolle. Auch in Heimen, Wohngemeinschaften, Krankenhäusern und Gefängnissen kann es zu Ausbrüchen kommen. Eine flüchtige Umarmung oder ein Küsschen auf die Wange reichen für eine Ansteckung normalerweise nicht aus (Ausnahme Scabies crustosa, Borkenkrätze, s.u.). Werden Krätzemilben von der Haut abgestreift und landen beispielsweise im Bett oder in Kleidungsstücken, sterben sie nach etwa zwei Tagen ab. Werden diese jedoch von mehreren Menschen gemeinsam genutzt, so ist auch auf diesem Weg eine Übertragung möglich.
Heftiger Juckreiz Die Krätzemilben bevorzugen Hautregionen mit möglichst dünner Hornschicht. Bei älteren Kindern und Erwachsenen gehören dazu beispielsweise die Regionen zwischen den Fingern und Zehen, unter den Achseln, der Brustwarzenhof, die Nabelregion, die Leisten, die Knöchel, die Analfalte und bei Jungen/Männern insbesondere auch der Penisschaft. Kopf, Nacken, Hand- und Fußflächen sind dagegen meist nicht betroffen. Anders bei Säuglingen und Kleinkindern: Hier können diese Regionen ebenfalls betroffen sein. Erste Symptome treten etwa zwei bis fünf Wochen nach der Ansteckung auf. Typisch ist ein starker Juckreiz, der sich vor allem nachts durch die Bettwärme verstärkt. Die Ursache ist eine Immunantwort vom verzögerten Typ auf die Ausscheidungsprodukte der Milben. Hatte eine Person sich bereits zuvor schon einmal mit der Krätze infiziert und steckt sich ein zweites Mal an, so ist sie bereits sensibilisiert und die Symptome beginnen bereits nach ein bis vier Tagen.
Diagnose Die Primäreffloreszenzen in betroffenen Hautarealen bestehen aus unregelmäßigen, zirka ein Zentimeter langen, oft als komma-förmig beschriebenen Milbengängen, an deren Ende sich ein Bläschen ausbilden kann. Durch die Immunreaktion bildet sich ein Ekzem mit Papeln, Bläschen und Papulovesikeln. Diese werden von den Patienten meist aufgekratzt, sodass zunehmend ein vielfältiges morphologisches Bild entstehen kann, das mitunter schwierig von anderen Hautkrankheiten zu unterscheiden ist. Es kann auch zu bakteriellen Superinfektionen kommen. Für die Diagnose stehen zwei Methoden zur Verfügung: Ist ein Dermatoskop verfügbar, lassen sich damit in der obersten Hautschicht typischerweise sogenannte „Winddrachenzeichen“ erkennen.
Die winzigen Dreiecke, die aussehen wie Drachen, die man im Wind steigen lassen kann, entsprechen dem Kopf und dem Brustschild der Milbenweibchen. Sie befinden sich typischerweise am Ende eines luftgefüllten Milbengangs, der als Kielwasserzeichen bezeichnet wird. Alternativ kann der Arzt die Milben, ihre Eier und/oder Kotballen unter dem Mikroskop nachweisen. Dafür kann er entweder mit einem Skalpell vorsichtig etwas Haut abschaben und das Geschabsel mikroskopieren. Oder er verwendet etwas durchsichtigen Klebefilm, den er zunächst auf eine betroffene Hautstelle und dann zusammen mit den daran haftenden Hautresten auf einen Objektträger klebt und so mikroskopiert.
Sonderfall Borkenkrätze Besonders wenn das Immunsystem nur eingeschränkt funktioniert – etwa wegen einer chronischen Erkrankung oder aufgrund von Medikamenten – können sich die Milben extrem stark vermehren und es kommt zu einer besonders ausgeprägten Form der Krätze, der sogenannten Scabies crustosa oder Borkenkrätze. Sie ist aufgrund der hohen Anzahl der Milben hochansteckend und sieht auch vom Erscheinungsbild etwas anders aus. Der sonst typische Juckreiz kann mitunter fehlen. Mittel der ersten Wahl ist Permethrin (5 %), das als Creme aufgetragen wird und sowohl die Milben als auch ihre Eier abtötet.
Bei einer unkomplizierten Erkrankung reicht die einmalige Anwendung oft aus, wobei manche Ärzte auch fordern, dass grundsätzlich zweimal behandelt werden sollte. Über mögliche Resistenzen gegen Permethrin wird diskutiert, allerdings fehlen hierzu belastbare Analysen. Seit einigen Jahren ist mit Ivermectin in Deutschland auch ein orales Medikament gegen die Krätze verfügbar. Weitere topische Medikamente sind Benzylbenzoat und Crotamiton. Neben der medikamentösen Behandlung müssen Bettwäsche, Kleider und Handtücher gewaschen werden, um eine Re-Infektion zu vermeiden. Gegenstände, die nicht waschbar sind wie beispielsweise Kuscheltiere, werden für drei Tage aus dem Verkehr gezogen, bis eventuell darauf befindliche Milben abgestorben sind.
Essenziell sind die Identifikation und möglichst gleichzeitige Mitbehandlung von engen Kontaktpersonen des Kindes, auch wenn sie keine Symptome zeigen. Dies setzt eine offene Kommunikation über die Krätze voraus – ansonsten besteht eine ein reelles Risiko für (wiederholte) gegenseitige Wiederansteckungen. Eltern müssen die Einrichtung, die ihr Kind besucht, über die Infektion informieren, die dies wiederum an das Gesundheitsamt weitergibt. Das Kind darf die Einrichtung erst nach einer Behandlung wieder besuchen.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 11/2020 ab Seite 90.
Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin