© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Anthroposophische Arzneimittel

KEIN BUCH MIT SIEBEN SIEGELN

Indikation, Herstellung und Wirkweise von Anthroposophischen Arzneimitteln sind vielen PTA und Apothekern fremd. Schließlich lernt man darüber nichts in der PTA-Schule oder im Studium. Wir öffnen das Buch einen kleinen Spalt.

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Auf der Verpackung und in den Gebrauchsinformationen kann man häufig lesen: Gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis. Was ist das für eine Erkenntnis? Und bezogen auf Arzneimittel: Wie unterscheiden sich die Behandlungsmethoden von denen der Schulmedizin?

Weltanschauung Wenn man den Begriff Anthroposophie wörtlich aus dem Griechischen übersetzt, bedeutet er „Weisheit vom Menschen“. Der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner (1861–1925) nannte sie „Bewusstsein des eigenen Menschentums“ und erklärte dazu: Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte. Nicht so leicht zu verstehen und auch nicht einfach zu erklären!

Vielleicht gelingt es so: Die Anthroposophie orientiert sich an den Naturwissenschaften, akzeptiert deren Erkenntnisse und erweitert sie über das Materielle hinaus um die seelisch-geistige Welt. Dabei ist die Anthroposophische Medizin nur ein Aspekt. Man findet die anthroposophische Weltanschauung in vielen Lebensbereichen – in der Kunst, der Architektur, der Pädagogik (Waldorfpädagogik), der Landwirtschaft (biologisch-dynamische Landwirtschaft) oder der Bewegungskunst (Eurythmie).

Geisteswissenschaftliche Erweiterung der Schulmedizin Die Anthroposophische Medizin speist sich dementsprechend aus zwei Quellen. Zum einen ist das die naturwissenschaftlich orientierte, konventionelle Medizin mit ihren Methoden und Ergebnissen, zum anderen sind es die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse der Anthroposophie. Beides gehört für einen anthro- posophischen Arzt untrennbar zusammen. Denn der Mensch besteht ja nicht nur aus einem Körper, sondern er hat auch eine Seele und eine individuelle Persönlichkeit. Körper, Seele und Persönlichkeit beeinflussen sich wechselseitig und das wird auch bei der Auswahl der Arzneimittel berücksichtigt.

Der Mensch wird in seiner Gesamtpersönlichkeit und in seinen Besonderheiten nach menschenkundlichen, also anthro- posophischen Gesetzmäßigkeiten erfasst. Dazu gehören neben Körperbau und -sprache auch der Bewegungsfluss, das Schlafverhalten, die Wärme- und Kälteempfindlichkeit, die Atmung sowie körperliche Rhythmen. Denn jeder Mensch wird in der Anthroposophischen Medizin als einzigartig angesehen; und jede Behandlung muss es ebenfalls sein, auch wenn sie sich bei vielen Menschen ähnelt. Neben dem Allgemeinen berücksichtigt die Anthroposophische Medizin also immer auch das Besondere, das Individuelle eines jeden Menschen.

Die Anthroposophie orientiert sich an den Naturwissenschaften und erweitert sie über das Materielle hinaus um die seelisch-geistige Welt.

Aktivierung der Selbstheilungskräfte Die Anthroposophische Medizin ergänzt die Schulmedizin. Wo die konventionelle Medizin darauf ausgerichtet ist, Krankheitskeime abzutöten, Krankheitsprozesse zu unterdrücken oder fehlende Stoffe zu ersetzen, geht die Anthroposophische Medizin einen Schritt weiter. Sie will bewirken, dass der Organismus – wo immer es möglich und sinnvoll ist – eine Krankheit aus eigener Kraft überwindet. Dabei geht es vor allem darum, die Körperfunktionen wieder ins Gleichgewicht zu bringen und die Abwehrkräfte zu stärken.

Anthroposophische Arzneimittel Ausgangsbasis sind mineralische (z. B. Quarz, Schwefel, Kalk, Antimonit, Zinnober), metallische (z. B. Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Quecksilber, Zinn, Blei), pflanzliche (z. B. Arnika, Gelber Enzian, Kamille, Ringelblume) und tierische Stoffe (z. B. Biene, Ameise, Schlangengift, Organextrakte). Diese Ausgangssubstanzen haben Anthroposophische Arzneimittel mit einigen anderen Therapierichtungen, wie der Homöopathie oder der Phytotherapie, gemeinsam. Der Unterschied liegt in der Arzneimittelfindung.

In der Homöopathie bestimmt das Arzneimittelbild, das durch Versuche an Gesunden entstanden ist, die Auswahl des Medikaments („Ähnliches wird mit Ähnlichem geheilt“). Die traditionelle Phytotherapie setzt ihre Arzneimittel aufgrund jahrhundertelanger Erfahrung ein, während die moderne Phytotherapie wirkstofforientiert ist. Anthroposophische Arzneimittel sind allseitig orientiert und beschränken sich nicht auf bestimmte pharmazeutische Besonderheiten. Zu den Anthroposophischen Arzneimitteln gehören daher sowohl homöopathisch potenzierte als auch konzentrierte pflanzliche oder komplex zusammengesetzte Mittel.

Verschiedene Herstellungsverfahren Die Kriterien für die Wahl der Rohstoffe, die Art der Herstellung und die Auswahl im Hinblick auf bestimmte Krankheiten gehen zurück auf Arbeiten von Dr. Rudolf Steiner, der zusammen mit der Ärztin Dr. Ita Wegman die Anthroposophische Medizin Anfang des 20. Jahrhunderts begründet hat. Großer Wert wird darauf gelegt, wie miteinander kombinierte Inhaltsstoffe zusammenwirken. Sie bilden eine neue Einheit. Anthroposophische Arzneimittel werden vorwiegend in rhythmischen Prozessen, abgestuften Wärmeanwendungen oder einer Kombination aus beidem hergestellt.

Dazu gehören das Lösen und Kristallisieren von salzartigen Substanzen mineralischen Ursprungs, das Herstellen von wässrigen, wässrig-​alkoholischen oder öligen Pflanzenextrakten, Mazerieren, Digerieren, Überbrühen mit kochendem Wasser (Infusum), Auskochen (Decoctum), Destillieren ätherischer Öle aus Pflanzen, Rösten, Verkohlen und Veraschen von Pflanzen und Pflanzenteilen. Aber auch das Potenzieren, wie man es aus der Homöopathie kennt, wird eingesetzt. Drei weitere pharmazeutische Verfahren sind das Herstellen von Metallspiegeln und von vegetabilisierten Metallen sowie das Rh-Verfahren.

Ein Metallspiegel wird durch Verdampfen des Metalls im Vakuum und anschließende Kondensation hergestellt. Produkte, die einen solchen Metallspiegel enthalten, sind am Zusatz „praeparatum“ zu erkennen. Beim Vegetabilisieren von Metallen wird aus dem Metall eine lösliche Zubereitung hergestellt, die als Düngemittel für eine bestimmte Heilpflanze dient. Durch das Rh-Verfahren entstehen gut haltbare wässrige Präparate aus Frischpflanzen. Dazu werden Pflanzenpresssäfte wiederholt morgens auf 37 Grad Celsius (°C) erwärmt, rhythmisch geschüttelt, abends auf 4 °C abgekühlt und erneut rhythmisch geschüttelt.

Die so entstandenen fermentierten Präparate bedürfen keiner Konservierung, solange sie verschlossen und kühl gelagert werden. All diese verschiedenen Herstellungsverfahren werden gebraucht, um die vielfältigen natürlichen Ausgangsstoffe aufzuschließen und in die spezielle Arzneiform zu bringen, mit der der Arzt oder Therapeut den Patienten nach dessen Erfordernissen behandeln kann. Es gäbe noch sehr viel mehr über die Vorstellungen der Anthroposophischen Mediziner zu berichten, beispielsweise die Dreigliederung des Menschen oder das Verhältnis zwischen Pflanze und Mensch, aber das sprengt an dieser Stelle den Rahmen. Vielleicht haben wir ja Ihr Interesse geweckt.

Den Artikel finden Sie auch in unserem Sonderheft „Phytotherapie und alternative Heilmethoden“ ab Seite 68.

Sabine Breuer, Apothekerin/Chefredaktion

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