Repetitorium
IMPFEN – TEIL 1 –
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Die Ständige Impfkommission (STIKO) betont ausdrücklich, dass die gegenwärtige Pandemie keinesfalls zu zusätzlichen Impflücken führen sollte. Schwere Infektionen, die häufig mit Komplikationen und Krankenhausaufenthalten einhergehen, gilt es zu vermeiden. Um das Gesundheitssystem zu entlasten, sollten daher alle notwendigen und fälligen Impfungen zeitgerecht durchgeführt werden. Die Realität sieht allerdings anders aus. Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen, dass die Impfraten während der Corona-Pandemie weltweit rückläufig sind. Auch in Deutschland bestätigen aktuelle Untersuchungsergebnisse des Robert Koch-Institutes (RKI) diesen Negativtrend. Demnach werden Grundimmunisierungen später als empfohlen begonnen und nicht rechtzeitig abgeschlossen. Impfserien bleiben somit unvollständig, einige Kinder erhalten manche Impfungen gar nicht. Das Resultat: Die Impfquoten sind bei Kindern in allen Altersbereichen derzeit zu niedrig.
Impfungen während COVID-19-Pandemie möglich Dabei können und sollten - wie die STIKO betont - alle empfohlenen Impfungen altersentsprechend während der COVID-19-Pandemie erfolgen. Das Gremium weist darauf hin, dass es keine Hinweise gibt, dass die Auseinandersetzung des Immunsystems mit SARS-CoV-2 durch eine zeitnah verabreichte Impfung negativ beeinflusst wird. Impfungen erhöhen demnach nicht das Risiko, an einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu erkranken. Somit besteht auch kein Anlass, nicht während der Pandemiezeit zu impfen. Im Gegenteil: Alle anstehenden Impfungen sollen wie geplant altersentsprechend in Anspruch genommen und nur bei akuten, schweren Erkrankungen verschoben werden.
Säuglinge, Senioren und Risikogruppen Insbesondere sollten alle von der STIKO empfohlenen Impfungen im Säuglingsalter weiterhin durchgeführt werden. Vor allem ist darauf zu achten, dass die Grundimmunisierungen im ersten und zweiten Lebensjahr mit dem Sechsfach-Impfstoff gegen Tetanus, Poliomyelitis (Polio), Diphterie, Hepatitis B, Pertussis und Haemophilus influenzae Typ b (Hib) sowie die Impfungen gegen Pneumokokken, Masern-Mumps-Röteln-(MMR-) und Varizellen-(V-) zeitgerecht begonnen (ab acht Wochen) und möglichst rechtzeitig beendet werden (mit 15 Monaten). Zudem ist ein guter Impfschutz bei Älteren über 60 Jahre sowie bei Risikogruppen, die für schwere COVID-19-Verläufe prädestiniert sind, essenziell. Hierzu zählen beispielsweise Personen mit schweren Vorerkrankungen oder Immunsupprimierte. Hier sollte der Fokus auf Impfungen gegen Pneumokokken, Herpes zoster, Influenza und Pertussis liegen. Ein guter Immunschutz bewahrt zwar nicht vor COVID-19 selbst, minimiert aber die Gefahr, dass verschiedene Erreger gleichzeitig auftreten und besonders schwere Infektionen auslösen.
Pertussis Bordetella pertussis ist der Erreger des Keuchhustens (Pertussis), einer Atemwegsinfektion, die durch einen krampfartigen Stakkatohusten charakterisiert ist. Die Hustenanfälle treten vor allem nachts auf und werden wochenlang durch das Pertussis-Toxin aufrechterhalten. Säuglinge sind bei einer Infektion mit dem stäbchenförmigen gramnegativen Bakterium besonders gefährdet. Lebensbedrohliche Atemnot sowie schwerwiegende Komplikationen (z. B. Lungen-, Mittelohr- oder Gehirnentzündung) sind gefürchtet. Bei Erwachsenen werden Pertussis-Infektionen häufig unterschätzt, obwohl sich etwa bei 40 Prozent Komplikationen, vor allem Lungenentzündungen (Pneumonien), einstellen.
Sollte es gar zu einem gemeinsamen Auftreten von Pertussis und einer COVID-19-Infektion kommen, könnten Immunsystem und Lunge des Erkrankten stark in Mitleidenschaft gezogen und das Risiko für eine stationäre Aufnahme verstärkt werden. Sowohl eine durchgemachte Pertussis-Erkrankung als auch eine Impfung bieten nur einen begrenzten Schutz (maximal 10 bis 20 Jahre) gegen die hochinfektiöse Krankheit. Daher empfiehlt die STIKO allen Erwachsenen, einmalig den Immunschutz zu aktualisieren. In Anbetracht der Tatsache, dass kein monovalenter Pertussis-Impfstoff zur Verfügung steht, sollte die nächste fällige Impfung gegen Tetanus und Diphterie mit einem Kombinationsimpfstoff durchgeführt werden, der auch eine Pertussis-Komponente enthält. Zudem werden zum Schutz von Neugeborenen und jungen Säuglingen angesichts der Schwere des klinischen Verlaufs einer Pertussis-Erkrankung im Säuglingsalter verschiedene Strategien verfolgt. So sollen sich zum einen enge Haushaltskontaktpersonen (z. B. Eltern, Geschwister) und Betreuende (z. B. Tagesmütter, Großeltern) eines Neugeborenen vor dessen Geburt impfen lassen (Cocooning).
Außerdem rät die STIKO seit März 2020 zu einer Impfung der Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel unabhängig vom Abstand zu vorher verabreichten Pertussis-Impfungen und in jeder Schwangerschaft. Mit der maternalen Immunisierung können die schützenden Antikörper, die die werdende Mutter bildet, durch die Plazenta an das Ungeborene übertragen werden (Nestschutz durch Impfung). Wurde die Impfung versäumt, sollte sich die Mutter gleich in den ersten Tagen nach der Geburt impfen lassen. Eine Impfung des Säuglings ist erst ab einem Alter von acht Wochen möglich. Diese erfolgt im Rahmen der Sechsfach-Impfung nach dem 2+1 Schema, das seit Juni 2020 von der STIKO empfohlen wird.
Pneumokokken Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist auch die Pneumokokken-Impfung besonders wichtig. Das Bakterium Streptococcus pneumoniae verursacht nicht nur bei Kindern bis 24 Monaten, sondern vor allem bei Senioren und anderen Risikopersonen schwere Pneumonien und lebensbedrohliche Komplikationen wie eine Blutvergiftung (Sepsis). Diese können eine Versorgung der Patienten auf einer Intensivstation gegebenenfalls mit Beatmung erforderlich machen. Da diese Intensivbetten aber möglichst für Corona-Patienten freigehalten werden sollen, möchte man das Gesundheitssystem nicht mit weiteren respiratorischen Erkrankungen wie den Pneumokokken-Infektionen belasten.
Zudem werden aufgrund langjähriger Erfahrungen mit Grippepatienten bei Corona-Infizierten schwere Superinfektionen mit Pneumokokken befürchtet, die mit einem besonders schweren COVID-19-Verlauf einhergehen könnten, sich aber mit einer Pneumokokken-Impfung vermeiden ließen. Aufgrund des aktuellen Lieferengpasses bei den Pneumokokken-Impfstoffen sollen laut Robert Koch-Institut (RKI) zurzeit bevorzugt Personen mit einem besonders hohen Risiko für Pneumokokken-Infektionen geimpft werden. Daher sollen nicht, wie im Impfkalender vorgesehen, bereits gesunde Ältere ab 60, sondern erst ab 70 Jahren standardmäßig geimpft werden. Zudem zählen zum priorisierten Personenkreis Patienten mit chronischen Erkrankungen (z. B. Asthma, COPD, chronische Herzerkrankungen, Diabetes mellitus), Personen mit eingeschränktem Immunsystem sowie Säuglinge und Kinder bis zwei Jahre.
Herpes Zoster Auch beim Totimpfstoff gegen die Gürtelrose kommt es aufgrund der hohen Nachfrage wiederholt seit Aufnahme in die STIKO-Impfempfehlungen und Übernahme als Kassenleistung immer wieder zu eingeschränkten Lieferkapazitäten. Die STIKO empfiehlt seit Dezember 2018 zur Verhinderung von Herpes Zoster und einer postzosterischen Neuralgie einen Herpes-zoster-Totimpfstoff als Standardimpfung für alle Personen über 60 Jahren und als Indikationsimpfung für Personen über 50 Jahren mit Risikofaktoren (z. B. Rheumatoide Arthritis, Asthma bronchiale, Diabetes mellitus). Die Impfung erfolgt zweimal im Abstand von zwei bis maximal sechs Monaten.
Damit angefangene Impfserien zeitgerecht beendet werden können, appelliert die STIKO derzeit an Ärzte, verfügbare Vorräte vorrangig zur Komplettierung begonnener Impfserien zu verwenden. Ein Ausweichen auf den ebenfalls vorhandenen Lebendimpfstoff sieht die STIKO nicht vor. Im Gegensatz zum Herpes-zoster-Lebendimpfstoff sind die Schutzraten mit dem Totimpfstoff grundsätzlich und darüber hinaus auch in höheren Altersgruppen deutlich höher. Zudem hält seine Schutzwirkung länger an. Ferner können mit dem Totimpfstoff auch Personen mit geschwächtem Immunsystem und Personen, die bereits in der Vergangenheit an Herpes Zoster erkrankt waren, geimpft werden. Beides ist mit dem Lebendimpfstoff nicht möglich.
Influenza Der Herpes-zoster-Totimpfstoff kann zusammen mit einem inaktivierten, nicht adjuventierten saisonalen Grippeimpfstoff (tetravalent) gegeben werden. Wegen der Corona-Pandemie rät die STIKO diesen Winter eindringlich zur jährlichen Grippeschutzimpfung, da man möglicherweise besonders schwer verlaufende Doppelinfektionen mit den Influenza- und COVID-19-Viren vermeiden will. Die Impfung gegen Influenza gehört für Senioren ab 60 Jahren und für Risikogruppen zu den wichtigsten Impfungen, da diese oft besonders schwer an Influenza erkranken. Häufige Komplikationen wie eine Pneumonie können eine stationäre Versorgung der Patienten im Krankenhaus gegebenenfalls auf einer Intensivstation erforderlich machen.
Da dies vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie für das Gesundheitssystem eine besondere Herausforderung darstellen könnte, wurde vor allem an Risikogruppen appelliert, zeitgerecht an die Influenza-Impfung zu denken. Zu den Risikogruppen für eine Influenza-Infektion zählen auch Schwangere. Eine Influenza-Impfung wird ihnen explizit ab dem zweiten Trimenon (ab der 13. Woche) von der STIKO angeraten, da sie aufgrund diverser physiologischer und immunologischer Veränderungen während der Schwangerschaft empfänglicher für schwere Krankheitsverläufe sind. Zudem besteht bei Infektion das Risiko für vorzeitige Wehen sowie für Fehl- oder Frühgeburten. Eine Impfung schützt darüber hinaus das Neugeborene durch Übertragung mütterlicher Antikörper im Mutterleib vor Influenzaviren.
Hochdosis-Grippeimpfstoff Die STIKO rät seit langem allen älteren Menschen ab 60 Jahren im Herbst zur jährlichen Impfung gegen die saisonale Influenza. Neu ist, dass die aktualisierte Impfempfehlung aus dem Januar dieses Jahres den über 60-Jährigen einen Hochdosis-Influenzaimpfstoff anrät. Derartige Impfstoffe existieren zwar bereits seit 2020, allerdings mit einer Zulassung für Personen über 65 Jahren. Man rechnet damit, dass ein Hochdosis-Impfstoff in der nächsten Grippesaison 2021/22 verfügbar sein wird.
Hintergrund für die ausdrückliche Empfehlung zu speziellen Grippeimpfstoffen bei Senioren ist, dass herkömmliche Influenzavakzine bei Menschen im höheren Alter aufgrund altersbedingter Veränderungen im Immunsystem in der Regel weniger wirksam sind (Immunseneszenz). Gründe, weshalb die neuen für ältere Menschen entwickelten Impfstoffe im Alter eine bessere Wirksamkeit versprechen, sind unter anderem höhere Antigenmengen sowie der Zusatz eines Adjuvans zur Wirkverstärkung.
VORGEHEN BEI EINER IMPFUNG GEGEN PNEUMOKOKKEN
Konjugat-Impfstoff
Für die Grundimmunisierung im Säuglingsalter (bis 24 Monate) können aufgrund der Unreife des Immunsystems ausschließlich Konjugat-Impfstoffe zum Einsatz kommen. Bei diesen ist das Antigen an ein Proteinträgermolekül gekoppelt, wodurch die Immunreaktion verstärkt wird. Der aktuelle Konjugat-Impfstoff ist 13-valent, baut also gegen 13 der insgesamt über 90 bekannten Pneumokokken-Serotypen einen Impfschutz auf (PCV13).
Polysaccharid-Impfstoff
Erwachsene ab 60 Jahre sollen aufgrund der breiteren Serotypenabdeckung mit einem 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff (PPSV23) geimpft werden. Zudem erhalten Jugendliche (ab 16 Jahre) und Erwachsene mit chronischen Krankheiten den Poly-saccharid-Impfstoff.
Sequenzielle Impfung
In besonderen Fällen kann auch eine sequenzielle Impfung, das heißt eine Pneunomokokken-Impfung mit zwei unterschiedlichen Impfstoffen, erfolgen. Diese beginnt in der Regel mit dem 13-valenten Konjugat-Impfstoff (PCV13) gefolgt von dem Polysaccharid-Impfstoff (PPSV23) nach sechs bis zwölf Monaten. Die sequenzielle Impfung kombiniert die bessere Effektivität eines Konjugat-Impfstoffs mit der breiteren Serotypenabdeckung des Polysaccharid-Impfstoffs. Die STIKO empfiehlt erwachsenen Personen mit eingeschränktem Immunsystem sowie Personen mit anatomischen und Fremdkörper-assoziierten Risiken für eine Pneumokokken-Meningitis (z. B. bei einem Cochlea-Implantat) sequenziell zu impfen. Ebenso sollen Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis 15 Jahren mit chronischen Krankheiten eine sequenzielle Impfung erhalten.
WiederholungsimpfungDa die Dauer des Impfschutzes begrenzt ist, empfiehlt die STIKO allen Risikogruppen, nach sechs Jahren die Impfung mit PPSV23 zu wiederholen. Eine generelle Auffrischung für Ältere ab 60 Jahre hält die STIKO zwar für sinnvoll, eine offizielle Empfehlung gibt sie aber nicht, da der Impfstoff derzeit dafür nicht zugelassen ist. Bei gesunden Senioren muss der Arzt individuell über eine Wiederholungsimpfung entscheiden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/2021 ab Seite 70.
Gode Chlond, Apothekerin