Interview
IM ARMENVIERTEL VON BUENOS AIRES
Seite 1/1 6 Minuten
Wie viele Jahre haben Sie als PTA in Deutschland gearbeitet?
Nach meiner Ausbildung zur PTA war ich über dreißig Jahre in verschiedenen Apotheken im Frankfurter Raum tätig. Zwischendurch gab es Unterbrechungen, wie zum Beispiel durch mein Studium und die Geburt meines Sohnes.
Wie kamen Sie ausgerechnet nach Argentinien?
Vor zwei Jahren hatte mein Mann eine Stelle im Auslandschulwesen angeboten bekommen. Wir haben uns dafür entschieden, einen Teil unseres Hausstandes eingepackt und sind nach Buenos Aires umgezogen, wo wir nun im Stadtteil Palermo leben.
Was hat Sie bewogen, bei „Apotheker ohne Grenzen” mitzuarbeiten?
Es war schon immer ein Wunsch von mir, im Ausland zu arbeiten, andere Strukturen kennenzulernen und eigenständig zu arbeiten. Außerdem finde ich die Organisation AoG mit ihrer Grundidee sehr gut.
Hatten Sie vorher bereits Erfahrung im Ausland beziehungsweise bei Hilfsorganisationen gesammelt?
Während meines Studiums habe ich ein Jahr in Italien in zwei kleinen Unternehmen gearbeitet, ich hatte jedoch noch nie die Gelegenheit, bei Hilfsorganisationen mitzuarbeiten.
Sind Sie die einzige PTA im Gesundheitszentrum vor Ort?
Ja, im Moment schon. Meine argentinischen Kolleginnen sind Apothekerinnen im Ruhestand, die AoG Projektkoordinatorin Carina Vetye-Maler arbeitet mit uns zusammen.
Welche Projekte in Buenos Aires unterstützen die AoG?
AoG arbeitet seit 2002 in Armenvierteln von Buenos Aires. Die meisten Gesundheitszentren in diesen Vierteln haben nicht genügend Ärzte und Krankenschwestern. Pharmazeutisches Personal arbeitet auf dieser Ebene überhaupt nicht mit, weshalb die Arzneimittelversorgung nicht gut funktioniert, da sich kein Fachpersonal um die Medikamente kümmert. Im Gesundheitszentrum Nr. 16 in Villa Zagala, das etwa 2000 Patienten pro Monat versorgt, stellt AoG sicher, dass die Basisarzneimittel immer vorrätig sind. Bei den chronischen Krankheiten heißt das, dass 70 Prozent der Arzneimittel von AoG im Lande gekauft und den Patienten kostenlos zur Verfügung gestellt werden! Nur deshalb haben chronisch Kranke Zugang zu ihrer Behandlung.
Einblick in das Medikamentenlager.
Außerdem werden Zahnpflegeschulungen im Gesundheitszentrum und in Kindergärten des Einzugsbereiches durchgeführt und Aufklärung, Test und Bereitstellung der Medikamente gegen die Chagas Krankheit gewährleistet. AoG hat für diese Arbeit in den Jahren 2008 und 2009 einen eigenen Apothekenraum von zwölf Quadratmetern im Gesundheitszentrum gebaut, in dem nun circa 100 verschiedene Wirkstoffe und Darreichungsformen an Lager sind. Dort arbeiten sieben ehrenamtliche argentinische Apothekerinnen – und nun seit seinem Jahr auch ich.
Wir haben die Verantwortung für die Arzneimittelabgabe. Des Weiteren finanziert AoG einen Teil der Gehälter der Direktorin des Gesundheitszentrums , zweier Ärztinnen in Teilzeit und zweier administrativerMitarbeiterinnen.
Was genau ist Ihre Aufgabe?
Die Apotheke im Gesundheitszentrum Zagala ist nur an drei halben Tage geöffnet, so ist immer genug zu tun. Meine Aufgabe ist es, die Rezepte der Patienten, ausgestellt von den Ärztinnen in unserem Zentrum, entgegenzunehmen und die entsprechenden Medikamente für den Monatsbedarf mit einer mündlichen Gebrauchsanweisung abzugeben. Da viele unserer Patienten Analphabeten sind, wird die Anweisung erklärt und nachgefragt, ob es auch wirklich verstanden wurde.
Wir führen außerdem gemeinsam mit den Ärztinnen Karteikarten über jeden Patienten. So können wir ersehen, ob diese wie zum Beispiel Diabetiker oder Hypertoniker regelmäßig, das heißt, monatlich ins Zentrum kommen. Wer nachlässig ist und nur alle drei Monate vorbeischaut, wird darauf hingewiesen, dass ein regelmäßiger Arztbesuch für eine Besserung des Gesundheitszustandes unerlässlich ist.
Was reizt Sie an Ihrem Job bei AoG?
Eigenständiges Arbeiten, eine andere Kultur, Neues in jeder Beziehung kennenzulernen. Es ist kaum vergleichbar mit einer Betreuung in einer europäischen Apotheke.
Welche Eigenschaften muss jemand für so eine Tätigkeit mitbringen?
Offenheit, Toleranz, Geduld und Humor – da wir hier in einem anderen Kulturkreis leben, sollte man auch die Fähigkeit aufweisen, unerwartete Situationen gelassen zu nehmen.
Sind Sie auch schon einmal in Gefahr gewesen?
Nein, noch nie, aber dazu muss ich sagen, dass unser Apothekenteam unter dem besonderen Schutz des Vorstehers des Armenviertels steht. Er ist stolz, dass das Gesundheitszentrum funktioniert und achtet darauf dass keine „Übergriffe” vorkommen. Die Armut nimmt zu, die Zahl der Drogensüchtigen steigt und an Waffen kommt man leicht. Aus diesem Grund fahren wir gemeinsam per Taxi direkt vor den Apothekeneingang und werden auch per Taxi wieder abgeholt. Ein Umherlaufen im Viertel empfiehlt sich nicht.
Wie sieht Ihr „typischer” Arbeitstag aus?
Mein Arbeitsweg alleine ist schon abenteuerlich. Ich fahre per U-Bahn und Bus über die Stadtgrenze hinaus in das Viertel San Martin und dann per Taxi mit den Kolleginnen in die Villa Zagala. Jeder Weg dauert insgesamt über eine Stunde. Die Apotheke ist an drei Tagen in der Woche geöffnet, dies richtet sich nach den Arbeitszeiten der Ärztinnen im Zentrum. Durch das vergitterte Fenster, wie auf dem Foto zu sehen ist (s. unten, Kasten VITA), reiche ich den Patienten die Medikamente durch. Die Abgabe ist kostenfrei, es gibt also keine Abrechung.
Auf den jeweiligen Patienten-Karteien der Apotheke und der Ärztinnen trage ich die Abgabe ein, damit immer ein Überblick gewährleistet ist, wer wann was erhalten hat. Zwischendurch werden Verfalldaten kontrolliert und der Bestand handschriftlich aufgenommen. Technische Hilfsmittel gibt es keine.
Was war die bislang schwierigste Situation für Sie?
Eine richtig schwierige Situation gab es bisher noch nicht im Gesundheitszentrum. Wenn man in einem Armenviertel die ungeschriebenen Verhaltensregeln beachtet, passiert in der Regel nichts. Für mich persönlich einzig schwierig ist, wenn meine Sprachkenntnisse nicht ausreichen, dann aber helfen mir meine Kolleginnen sofort weiter.
Können Sie sich eine Rückkehr in eine „normale” Apotheke noch vorstellen?
Ja, eine Rückkehr kann ich mir vorstellen, die „normale” Apotheke ist ja kein schlechter Arbeitsplatz – und wenn eine gute Teamarbeit möglich ist, macht der Arbeitstag auch viel Freude.
Wo würden Sie zukünftig gerne arbeiten?
Nach unserer Rückkehr nach Deutschland möchte ich gerne in einem Bereich tätig sein, in dem ich meine in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen einbringen kann.
Was raten Sie unseren LeserInnen, die sich für eine Mitarbeit bei AoG interessieren?
Sie sollten sich für das jeweilige Land, dessen Kultur und Geschichte interessieren, die Sprache weitgehend beherrschen und offen für „Abenteuer” sein. Man sollte eine große Portion Neugier auf neue und hauptsächlich auch völlig unerwartete Erfahrungen mitbringen. Dann wird man sich wohlfühlen im Kreise von sehr freundlichen Kolleginnen und die anfängliche Fremdheit der Umgebung lässt schnell nach. So wie für mich hier jetzt in der Villa Zagala.
AoG bietet außerdem zwei gezielte Schulungen an, deren Besuch eine der Voraussetzungen für einen Einsatz ist. Eine Mitarbeit in Deutschland ist allerdings ebenso wichtig, um unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen, da die Hilfsprojekte finanziert werden müssen. Die Aufgaben umfassen beispielsweise Aufklärung zu „guten” Arzneimittelspenden, Vorträge zur Arbeit des pharmazeutischen Personals in der humanitären Hilfe, Mitarbeit auf der EXPOPHARM oder anderen Fachmessen, Fundraising, usw.
VITA
Jutta Strecker ist nach der Ausbildung zur Apothekenhelferin und zur PTA über viele Jahre in verschiedenen Apotheken tätig gewesen. Während dieser Zeit absolvierte sie ein MA-Studium der Romanistik, lebte und arbeitete ein Jahr in Italien. Im Laufe ihres Berufslebens konzentrierte sie sich auf die Schwerpunkte Klientenzentrierte Gesprächsführung nach Rogers und Ausbildung in anthroposophischer Medizin und Homöopathie.
Sechs Jahre lang arbeitete sie im Bereich Regulatory Affairs. Zurzeit lebt sie in Buenos Aires und ist ehrenamtlich in der Apotheke des Gesundheitsprojekts der AoG tätig, im Armenviertel Villa Zagala im Norden der argentinischen 14-Millionen-Stadt. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/12 ab Seite 106.
Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion