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Kolumne | Holger Schulze

ILLUSION UND WIRKLICHKEIT

Was wir von der Welt wahrnehmen, entspricht nicht immer der Realität, denn unsere Wahrnehmung wird beeinflusst von früheren Erfahrungen und Erwartungen.

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Kennen Sie das auch? Menschen die Dinge hören oder sehen, die faktisch gar nicht da sind? Vielleicht haben Sie ja sogar selbst schon einmal Stimmen gehört, obwohl objektiv betrachtet kein Sprecher mit Ihnen im Raum war, kein Fernseher lief und auch kein Radio. Falls ja, bedeutet dies aber noch lange nicht, dass Sie an einer Psychose wie etwa einer Schizophrenie leiden, selbst wenn das Hören von Stimmen durchaus typisch für dieses Krankheitsbild ist. Tatsächlich machen etwa zehn Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens die Erfahrung, Stimmen zu hören, die keine physikalische Quelle haben und folgerichtig irgendwie im Gehirn der Betroffenen entstehen müssen.

Und weniger komplexe akustische oder optische Halluzinationen treten noch deutlich häufiger auf. Wie aber kommt es zu solch eingebildeten Wahrnehmungen? Zunächst einmal kann man festhalten, dass es, um eine bewusste sensorische Wahrnehmung hervorzubringen, neuronale Aktivität in dem entsprechenden Teil der Großhirnrinde geben muss. Werden also zum Beispiel Stimmen oder Töne gehört, sind auch diejenigen Nervenzellen im Hörkortex aktiv, die auch dann reagieren würden, wenn das entsprechende Schallereignis tatsächlich eintreten würde.

Dieser Fakt konnte erst unlängst in einem sehr eleganten Experiment nachgewiesen werden, bei dem Forscher akustische Halluzinationen durch ein Lerntraining in Versuchspersonen ausgelöst haben: Dazu wurden bei den Probanden die Hörschwellen gemessen und dann Töne präsentiert, die gerade so laut waren, dass sie eben noch wahrgenommen werden konnten. Gleichzeitig wurde die Darbietung der Töne mit einem visuellen Reiz gepaart, sodass das Gehirn lernt, dass Ton und Bild immer gleichzeitig auftreten. Lässt man dann nach einer Weile den Ton weg und zeigt nur noch das Bild, dann nehmen die Probanden den Ton trotzdem noch wahr, sie halluzinieren also! Misst man in beiden Bedingungen die Hirnaktivität, so findet man bei Halluzination und tatsächlicher Stimulation vergleichbare Aktivität im Hörkortex.

Halluzinieren kann man lernen!

Wahrnehmung beruht also beileibe nicht nur auf dem, was unsere Sinnesorgane an das Gehirn senden, sondern auch auf den Erwartungen des Gehirns, welche wiederum auf früheren Erfahrungen beruhen: Das Gehirn hat gelernt, dass Bild und Ton zusammengehören und rekonstruiert dann einfach den fehlenden Teil, wenn er mal nicht da ist. Ein gesundes Gehirn wird den Fehler allerdings relativ schnell erkennen und so die Halluzination wieder verschwinden lassen, während dies einem an einer Psychose erkrankten Gehirn deutlich schwerer fällt.

Die Ursache hierfür liegt dabei offenbar in einer gestörten Verarbeitung im Hippocampus sowie dem Kleinhirn, also Strukturen, die für das „Aktualisieren“ der erwartungsbedingten Vorhersagen des Gehirns zuständig sind. Also seien Sie nicht besorgt, wenn Ihr Gehirn Sie ab und zu täuscht: Wenn es Sie nicht ängstigt oder anderweitig beeinträchtigt, können Sie das gelassen ignorieren. Nur wenn das doch der Fall sein sollte, gehen Sie bitte zum Arzt, aber das wissen Sie selbst sicher auch…

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/18 auf Seite 12.

Zur Person
Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de

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