Krebserkrankungen
HÄUFIG EIN ZUFALLSBEFUND
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Rund 95 Prozent aller bösartigen Nierentumore entstehen aus entarteten Zellen der schlauchartig geformten Nephrone, in denen der Urin gebildet wird. Man spricht daher zwar umgangssprachlich von „Nierenkrebs“, meint damit aber eigentlich diese Nierenzellkarzinome. Wesentlich seltener sind Tumore im Nierenbecken oder den Harnleitern (Urothelkarzinome). Sie zählen zu den Krebserkrankungen der Harnwege und werden entsprechend anders behandelt. In Deutschland erkrankten 2018 etwa 16 000 Menschen neu an Nierenzellkrebs, wobei Männer fast doppelt so häufig betroffen waren wie Frauen. Nierenzellkrebs ist ein Krebs des Alters, Männer erkranken daran im Schnitt mit 68, Frauen mit 72 Jahren. Es gibt jedoch Sonderformen, die vor allem junge Menschen betreffen, wie Sarkome oder Lymphome, also Tumoren, die vom Muskel- oder Lymphgewebe ausgehen. Das Nephroblastom, auch Wilms-Tumor genannt, tritt sogar fast ausschließlich bei Kindern unter fünf Jahren auf.
Einseitiger Krebs Meist ist beim Nierenzellkrebs nur eine Niere betroffen. Die Geschwulst kann über sehr lange Zeit unbemerkt wachsen, ohne dass Symptome auftreten. Erst wenn der Tumor sehr groß ist, kommt es zu Schmerzen in der Nierengegend (Flankenschmerz) oder es zeigt sich Blut im Urin. Manchmal ist der Tumor dann bereits so groß, dass er von außen tastbar ist. Bricht der Tumor beim Mann in die Nierenvene ein, kann eine typische Krampfader am Hoden entstehen. Anfangs ist die Geschwulst deutlich begrenzt, bis sie irgendwann die Bindegewebskapsel der Niere durchbricht. Dann wächst der Tumor in umliegende Gewebe hinein und kann über Lymph- und Blutbahnen streuen.
Metastasen können in jedem Körpergewebe auftreten, bevorzugt jedoch in Lunge, Skelett, Leber und Gehirn. Ein metastasierter Nierenzellkrebs kann in der Regel nicht mehr geheilt werden. Wird er jedoch frühzeitig erkannt, stehen die Chancen für eine Heilung nicht schlecht. So sinkt die Sterblichkeit seit einigen Jahren, obwohl dieser Krebs erst so spät Symptome zeigt. Grund dafür ist der zunehmende Einsatz bildgebender Verfahren, die durchgeführt werden, um andere Beschwerden im Bauchraum abzuklären. Über die Hälfte aller Nierenzellkarzinome werden so bereits häufig in einem frühen Stadium als Zufallsbefund entdeckt.
Operation ja oder nein? Nur durch eine vollständige Entfernung des Tumorgewebes lässt sich ein Nierenzellkrebs heilen. Daher wird immer geklärt, ob eine Operation möglich ist. Wenn der Tumor klein ist und langsam wächst, kann eine engmaschige Kontrolle die Operation ersetzen oder hinausschieben. Ansonsten versuchen die Chirurgen den Tumor so zu entfernen, dass die Niere möglichst wenig geschädigt wird (partielle Nephrektomie). Kleinere Tumoren können dabei unter bestimmten Voraussetzungen auch minimal-invasiv durch Kälte oder Hitze zerstört werden.
Erklärtes Ziel ist es jeweils, die Funktion der Niere weitgehend zu erhalten, denn sie hat im Körper wichtige Aufgaben, wie die Reinigung des Bluts von Giftstoffen und die Steuerung des Wasser- und Mineralhaushalts. Muss eine Niere diese Aufgabe allein übernehmen, kann das zu Problemen führen. Liegt der Tumor jedoch ungünstig oder ist er zu groß, kann man die Niere nicht erhalten. Dann wird die sie mitsamt Nebenniere, Harnleiter, Fettgewebe und Kapsel entfernt (radikale Nephrektomie).
Das Nierenzellkarzinom ist die häufigste bösartige Tumorerkrankung der Niere. Frühzeitig behandelt, ist eine Heilung möglich.
Neue Entwicklungen geben Hoffnung Anders als bei anderen Krebserkrankungen, hat sich die Chemotherapie bei der Behandlung von metastasierten Nierenzellkarzinomen größtenteils als unwirksam erwiesen und spielt hier kaum eine Rolle. Gleiches gilt für die Bestrahlung, die in der Regel nur angewendet wird, um einzelne, isolierte Metastasen im Skelett oder Gehirn zu bekämpfen. Doch in den letzten 15 Jahren hat sich viel getan. Heute gibt es eine Vielzahl neuer Medikamente, die bei metastasiertem Befall gewinnbringend eingesetzt werden können. Erste große Fortschritte ermöglichten dabei zielgerichtete Therapien, die den Krebs an unterschiedlichen spezifischen Ansatzpunkten angreifen und das Fortschreiten der Erkrankung monatelang aufhalten können.
So hindern Angiogenesehemmer den Tumor daran neue Blutgefäße zu bilden, sodass er nicht mehr weiterwachsen kann und abstirbt. Tyrosinkinase-Hemmer und mTOR-Inhibitoren unterbinden zusätzlich auch noch die Signale, die die Tumorzellen zum ständigen Wachstum anregen. Die neueste Behandlungsmöglichkeit beim metastasierten Nierenzellkarzinom sind Immuntherapien mit den Wirkstoffen Nivolumab und Ipilimumab. Diese Immun-Checkpoint-Inhibitoren bewirken, dass sich Tumorzellen nicht mehr als gesunde Zellen tarnen können und so vom Immunsystem erkannt und vernichtet werden.
Die Kombination beider Wirkstoffe ist aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit heute die erste Wahl bei Patienten mit einer ungünstigeren Prognose. Durch die Vielzahl der mittlerweile zugelassenen Substanzen, die alle das Tumorwachstum über längere Zeit stoppen können, ergeben sich für die Patienten neue Perspektiven. Denn kommt es dann zu einem Rückfall, kann ein neuer Wirkstoff zum Einsatz kommen, der das Fortschreiten der Erkrankung aufgrund seiner anderen Wirkweise ebenfalls wieder aufhalten kann. Welche Wirkstoffsequenzen hierbei die besten Ergebnisse bringen, wird gegenwärtig noch untersucht.
Leben mit und nach dem Krebs Vor allem für Betroffene, denen eine Niere entfernt wurde, ist eine vernünftige Lebensführung wichtig. Solange die noch vorhandene Niere gut arbeitet, ist zwar keine spezielle Ernährung notwendig, doch sollte auf ausgewogene, leichte Ernährung, genug Flüssigkeitsaufnahme und regelmäßige Bewegung geachtet werden, um die Nebenwirkungen der Medikamente auszugleichen, und die Niere(n) bestmöglich zu entlasten. Eine Krebserkrankung ist immer ein einschneidender Schicksalsschlag. Gerade für zuvor sehr aktive Menschen kann es schwierig werden, nicht mehr so belastbar zu sein. Daher sollte man auch über eine psychologische Betreuung während und nach der Therapie nachdenken.
Vorbeugung ist die beste Therapie Warum es zu einem Nierenzellkarzinom kommt, ist immer noch unklar. Risikofaktoren scheinen in der Lebensführung zu liegen. Studien deuten darauf hin, dass Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck das Krebsrisiko erhöhen können, während dies für die Ernährung bisher nicht gezeigt werden konnte. Als weitere Risikofaktoren gelten eine chronische Niereninsuffizienz, die Einnahme von Schmerzmitteln sowie die Exposition gegenüber toxischen Stoffen wie Asbest, Cadmium oder chemischen Lösungsmitteln.
Darüber hinaus können auch genetische Risikofaktoren vorliegen, wie das seltene von-Hippel-Lindau-Syndrom, das neben anderen Tumoren auch die Entstehung von Nierenzellkarzinomen begünstigt. Menschen, die an einer solchen familiär vererbten Erkrankung leiden, sollten sich regelmäßig untersuchen lassen. Generelle Früherkennungsmaßnahmen werden für die Bevölkerung jedoch nicht angeboten, da dies bei der niedrigen Zahl an Betroffenen zu aufwändig wäre.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/20 ab Seite 106.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist