Kolumne | Holger Schulze

GÖNNEN KÖNNEN

Ob jemand altruistisch, also selbstlos, handelt, hängt vom persönlichen „sozialen Kompass“ ab. Dieser sitzt in der Amygdala und lässt sich mit Oxytocin „nachjustieren“.

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Kennen Sie das auch? Debatten über Sozialneid und Gerechtigkeit? So denken etwa Politiker aus dem linken politischen Lager aktuell über Enteignungen von Konzernen oder auch privaten Vermietern nach, während Liberale und Konservative dies vehement ablehnen. Wie Sie persönlich zu solchen und ähnlichen Ansichten stehen, hängt wohlmöglich von einem „sozialen Kompass“ ab, den wir alle in unseren Köpfen haben, und der sich interessanterweise auch manipulieren lässt. Wonach also richtet es sich, ob wir eine – sagen wir – „Verteilungssituation“ als gerecht oder ungerecht empfinden?

Oxytocin macht selbstlos!


Stellen Sie sich vor, Sie und ein Freund werden gemeinsam in einem Erbe bedacht, das Erbe ist aber ungleichmäßig aufgeteilt. Womit würden Sie sich am besten fühlen? Wenn Sie etwas mehr bekommen als der andere, deutlich mehr, etwas weniger oder gleich viel? Tatsächlich wählt die Mehrzahl der Menschen die erste Variante: Mehr als andere zu bekommen wird meist als erstrebenswert empfunden, allerdings bitte nicht so viel mehr, dass man deswegen ein schlechtes Gewissen haben müsste! Natürlich existieren auch altruistische Menschen, die eine gleichmäßige Aufteilung als ideal empfinden – jeder hat seinen eigenen „sozialen Kompass“!

Wie wohl oder unwohl man sich nun in einer konkreten Verteilungssituation fühlt, hängt von der Aktivität des limbischen Systems und verbundenen Hirnstrukturen ab: Je stärker diese reagieren, desto mehr weicht die tatsächliche Situation vom eigenen Kompass ab, und zwar bei den Altruisten in der Amygdala, welche den ventromedialen präfrontalen Kortex (vmPFC) beeinflusst, der eine Rolle bei Bewertungsprozessen spielt, wodurch vermutlich das altruistische Verhalten gefördert wird. Bei den Egoisten finden sich entsprechende Reaktionen im lateralen präfrontalen Kortex (lPFC), der in Entscheidungsprozesse eingebunden ist. Interessanterweise können diese Bewertungsprozesse im Gehirn durch das Hormon Oxytocin beeinflusst werden, welches eine wichtige Rolle bei der Steuerung sozialer Interaktionen spielt: So wird vermutet, dass Oxytocin die Wahrnehmung innerer Antriebe dämpft und es so ermöglicht, dass die Aufmerksamkeit stärker auf äußere Signale gelenkt wird.

Dadurch, so die Theorie, könnten soziale Signale bei Entscheidungsprozessen stärker berücksichtigt werden. Tatsächlich verlagerte sich bei Probanden, denen das Hormon über ein Nasenspray verabreicht wurde, die Hirnaktivität der Egoisten aus dem lPFC in die Amygdala, wodurch auch der innere Kompass in Richtung einer bevorzugten gleichmäßigeren Verteilung verschoben wurde: Die Probanden entschieden sich altruistischer! Wie Sie vielleicht wissen, wird Oxytocin beim Sex ausgeschüttet. Falls Sie sich also wünschen sollten, dass sich Ihr Partner oder Ihre Partnerin etwas großzügiger verhält, bekommen Sie vor diesem Hintergrund vielleicht eine Idee, was man da machen könnte. Und vielleicht haben Sie sowas ja sogar schon einmal erlebt – auch ohne Nasenspray!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/19 auf Seite 12.

Zur Person

Prof. Dr. Schulze, Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de 

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