Moderne Medizin
GEWEBE AUS DEM 3D-DRUCKER
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Bioprinting – das ist dreidimensionales Drucken mit organischen Substanzen, die als sogenannte „Biotinte“ bezeichnet werden. Für den Schichtaufbau wird, ähnlich wie im Papierdruck, das Tintenstrahl-Verfahren angewandt: Zwei Düsen spritzen abwechselnd Hydrogel, ein Gerüst aus zähflüssigem Polymer, und lebende Zellen, also Körperzellen oder Stammzellen, die mit Wachstumsfaktoren angereichert sind. Forschern der Julius-Maximilians-Universität Würzburg gelang es erst kürzlich, ein mechanisch besonders stabiles Thermogel zu synthetisieren.
Die neue Biotinte aus Polymer und Bindegewebsvorstufen, den Fibroblasten, ist bei Raumtemperatur flüssig und bei Erwärmung gelartig. Die schwammartige Netzstruktur besitzt durchgängige Kanäle, die für das Zellwachstum förderlich sind. Bioprinting wird in der regenerativen Medizin angewandt, um Knochendefekte zu heilen. Auch Prothesen stammen mittlerweile aus dem Drucker. So werden 90 Prozent der Otoplastik, der maßgefertigten Verbindung zwischen Ohr und Hörhilfe, auf diese Weise hergestellt. Bei Augen- und Handprothesen ist die Qualität allerdings noch nicht so gut wie bei manuell gefertigten Teilen. Was die Forscher besonders herausfordert, ist die Versorgung mit Blutgefäßen und die Ausbildung von Nervenverbindungen.
Künstliche Haut Anders bei Geweben: Ein Madrider Forschungsverbund stellte kürzlich eine zweilagige Haut aus menschlichem Blutplasma vor. In der verwendeten Biotinte befanden sich menschliche Fibroblasten, die zur Kollagenproduktion befähigt sind, sowie Blutplasma und Keratinozyten. Diese bilden die Oberhaut und die Epidermis. Nach Aussage der Forscher lässt sich die gedruckte Haut viel schneller herstellen als im aufwändigen Hand-Verfahren und ist von Laborhaut nicht zu unterscheiden. Die Kunsthaut ist frei von tierischem Kollagen und eignet sich für Tests von Kosmetik, Chemikalien oder Arzneimitteln. Schon vor einigen Jahren gelang es Wissenschaftlern des Weill Cornell Medical College in New York, ein vollständiges Ohr auszudrucken.
Zuerst fertigte der Drucker nach einem 3D-Scan eine dreidimensionale Form, die dann mit Knorpelzellen und Kollagen aufgefüllt wurde. Das so hergestellte Organ, das einem echten Ohr sehr ähnlich sah, wurde auf eine Ratte verpflanzt und lebte dort weiter. Ein Problem bei künstlichen Knorpeln ist die mangelnde Stabilität im Vergleich zu natürlichem Gewebe. Das versuchten US-amerikanische Forscher des Wake Forest Institute in Winston-Salem zu lösen, indem sie abwechseln dünne Polymerfäden und Knorpelzellen bis zu einer Dicke von 0,4 Millimetern ausdruckten. Acht Wochen nach der Verpflanzung in Mäuse bildete das Knorpelgewebe die mechanischen Eigenschaften und die Belastbarkeit eines natürlichen Knorpels aus.
Versorgung durch Mikrokanäle Der Forschungsgruppe gelang es auch, mit Hilfe von Gewebe-Organ-Druckern stabile Konstrukte im menschlichen Maßstab herzustellen. Dafür wurden zellbeladene Hydrogele mit abbaubaren Biopolymeren gedruckt und auf Hydrogelen befestigt. Die korrekte Form erreichte man, indem die Bilddaten eines anatomischen Defektes in ein Programm übersetzt wurden. Dieses kontrollierte die Bewegung der Druckerdüsen, die die Zellen an die richtigen Orte verteilte. Dann wurden Mikrokanäle inkorporiert, die die Diffusion von Nährstoffen zu den Zellen erleichterten. Normalerweise besteht bei einer Schichtdicke von über 200 Mikrometern ein Diffusionslimit, das die Versorgung der Zellen verhindert.
Ausgebildete Blutgefäße Mit Hilfe von Gewebe-Organ-Druckern konnten die Wissenschaftler auch Knochen von Unterkiefer und Schädeldach herstellen sowie Knorpel und Skelettmuskulatur. Die Proben wurden erfolgreich in Mäuse und Ratten verpflanzt. Ein Stück künstliches Schädeldach wurde vom umgebenden Gewebe mit Blutgefäßen versorgt. Knorpelgewebe in der Form eines Säuglingsohrs wuchs auf dem Rücken von Mäusen an und behielt seine Gestalt. Implantierte Muskelstücke wurden nicht nur mit Blutgefäßen, sondern auch mit Nervenverbindungen versorgt. Dennoch hat man es bei Knorpeln und Ohrmuscheln mit einfach gebauten Organen zu tun und die Ergebnisse von Kleinsäugern lassen sich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen.
In Zukunft sollen jedoch auch komplexere Gewebe und Organe entwickelt werden, die sich für den Einsatz am oder im Menschen eignen. Dazu ist eine Form und innere Struktur nötig, in die die lebenden Zellen eingesetzt werden. Wichtig dabei ist, die richtigen Zellen an die richtigen Stellen zu platzieren. Schließlich muss das künstliche Organ auch durchblutet werden. Dafür entwickelten Forscher der University of Pennsylvania in Philadelphia ein ausdruckbares Gerüst aus verschiedenen Kohlenhydraten, in dem sich Blutgefäße ansiedeln sollten. Um die Stützhilfe wurden lebende Zellen gruppiert. Nach der Auflösung des Gerüstes blieb im Zellmedium eine Struktur aus zukünftigen Blutgefäßen und Gewebe übrig.
Und in Zukunft? In zehn bis zwanzig Jahren könnte die Bioprinting-Technologie Forschung und Anwendung revolutionieren. Gedrucktes, künstliches Gewebe könnte dann für Arzneimittel-Wirkstofftests zur Verfügung stehen – ganz ohne Tierversuche. Vor kurzem wurde in Oxford ein Netzwerk aus lipidumhüllten Wassertropfen erschaffen, das elektrische Signale über Poren weiterleitet. In diesem Netzwerk finden auch Osmoseprozesse statt, sodass Formänderungen bis hin zu einer kugelförmigen Gestalt möglich sind. Somit könnte das Modell für den Transport von Medikamenten genutzt werden. Aktuell arbeitet eine Forschungsgruppe an der Klinik für Plastische und Handchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg daran, Knochengewebe mit bereits angelegten Blutgefäßen zu drucken.
Das Fernziel ist es, lebensrettende Organe bei Verbrennungen, Fehlbildungen oder schweren Krankheiten bereit zu stellen. In diese Richtung gehen auch die Ergebnisse eines US-amerikanischen Unternehmens, dem es gelang, per Druckvorgang eine dünne Schicht aus Leberzellen aufzubauen, die von Stammzellen oder aus der menschlichen Leber stammten. Der Drucker setzte die speziell präparierten Zellen Schicht für Schicht in eine Form. Anschließend verbanden sich die Zellen zu einem funktionsfähigen Gewebe, das Cholesterol bildete und eine induzierbare Cytochrom P 450-Aktivität aufwies.
Auf die gleiche Weise wurden auch kleine Proben von künstlichem Muskel-, Lungen- und Herzgewebe sowie Blutgefäße hergestellt, die sich vor allem für Laborversuche eignen. Ob Arzneimitteltests, Gewebeaufbau nach Brustkrebs oder künstliche Organe als Ersatz für Spenderorgane – die Möglichkeiten des Bioprintings sind vielfältig. Wie der Mensch als Empfänger auf die 3D-Gewebe reagiert, muss allerdings noch genauer erforscht werden. So bietet die Universität Würzburg seit dem Wintersemester 2015 den internationalen Master-Studiengang „Biofabrikation“ an. Denn Spezialisten sind nötig, wenn es um die medizinische Versorgung einer immer älter werdenden Gesellschaft geht.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/17 ab Seite 50.
Dr. rer. nat. Christine Reinecke, Diplom-Biologin