Heilpflanze des Jahres
GESEGNETE SPEISE INDIENS
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Das tropische Süd- und Südostasien ist die Heimat der Ingwergewächse. Zu diesen gehört auch die artenreiche Familie der Zingiberaceae mit Curcuma, Canna und Ingwer. Zingiber officinalis fällt durch dünne Stängel mit schilfförmigen Blättern auf. Der lange Blütenstand schraubt sich direkt aus der Wurzel in die Höhe. Daran öffnen sich purpurfarbene oder gelbe Blüten, die von Vögeln und Fledermäusen bestäubt werden. Die pharmakologische Wirkung von Ingwer sitzt jedoch tiefer, im Rhizoma zingiberis, dem knolligen Wurzelstock. Schneidet man die Knolle auf, kommt hellgelbes, faseriges Fruchtfleisch zum Vorschein.
Dieses riecht aromatisch-frisch und schmeckt ausgesprochen scharf. Daher zählt Ingwer zu den Gewürzpflanzen. So enthalten die Exkretzellen der Wurzel bis zu drei Prozent ätherische Öle, mit den Inhaltsstoffen Borneol, Cineol und Zingiberen, das für den typischen Geruch verantwortlich ist. Dazu das antioxidativ wirksame Curcumin sowie den Scharfstoff Gingerol. Das Wort Ingwer entwickelte sich aus dem althochdeutschen „gingibero“, das wiederum aus dem mittelindischen „singivera“ entlehnt wurde. Die Pflanze, die also vermutlich aus Indien stammt, gelangte vor über 3000 Jahren nach China. Später erreichten die Wurzeln über das Rote Meer Griechenland und Rom, und im zehnten Jahrhundert blühte der Ingwerhandel in Europa.
Denn Ingwer war im Mittelalter das einzige scharfe Gewürz – neben Pfeffer. Heute wird die Staude in fast allen tropischen Ländern kultiviert. Zwar ist Indien der größte Produzent, doch am meisten Ingwer exportiert China. Schon in der altindischen Medizin wurde Ingwer gegen Blähungen und Gicht angewandt. Als Aufguss half er bei Halsschmerzen und Erkältungen. Noch heute wird zerquetschter, frischer Ingwer zum Tee gereicht und soll aphrodisierend wirken. Und getrockneter Ingwer, mit Wasser vermischt, wird äußerlich gegen Schmerzen eingesetzt.
Wie moderne Analysemethoden zeigen, beruhen die über Jahrtausende praktizierten Anwendungen auf definierten, pharmakologischen Wirkungen. So wirkt Ingwer antibakteriell, antimykotisch, molluskizid, und nematozid – also gegen alle möglichen tropische Parasiten; dazu antientzündlich und spasmolytisch. Darüber hinaus auch gegen Übelkeit, leberschützend und gallenfördernd. Die Scharfstoffe im Ingwer regen die Schweißproduktion an, was bei Erkältungen und grippalen Infekten die Selbstheilung unterstützt.
Wie ein Digestivum Bei Magen-Darm-Beschwerden wirken Tees und Tinkturen des Ingwerwurzelstockes wie ein Digestivum: Sie regen den Appetit an, fördern die Sekretion von Speichel und Magensaft und lindern dyspeptische Beschwerden. Davon profitieren besonders ältere Menschen mit Verdauungsschwäche. Für die Zubereitung von Tee übergießt man einen halben bis einen Teelöffel der grob gepulverten Droge mit heißem Wasser und lässt ihn fünf bis zehn Minuten ziehen; eine Tasse davon vor den Mahlzeiten trinken. Auch wenn sich Ingwer seit dem Altertum bei Verdauungsbeschwerden bewährt hat, wusste man lange nicht genau, wie es wirkt.
Indische Wissenschaftler stellten nun fest, dass der Ingwerextrakt bei Mäusen die Speisepassage durch das Intestinum fördert. Sie erkannten zudem im Gewebe einen spasmolytischen Effekt. Tatsächlich ergab die phytochemische Analyse, dass der Rohextrakt neben einer cholinergen, krampferzeugenden Komponente auch spasmolytisch wirkende Bestandteile mit calciumantagonistischen Eigenschaften enthält. Diese spielen besonders bei hyperaktiven Magenzuständen wie Koliken oder Diarrhoen eine Rolle. Ingwer besitzt aber auch antioxidative Eigenschaften und hemmt die Lipidperoxidation, sodass er möglicherweise auch dadurch den Magen-Darm-Trakt schützt.
So können Magenulzera verhindert werden, die sich nach der Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika, Reserpin oder Alkohol entwickeln, bei Stress oder Helicobacter pylori-Infektionen. Wie ein aktueller Übersichtsartikel beschreibt, greift das scharfe Bittermittel von mehreren Seiten in das Magen- Darm-System ein: Es regt die Peristaltik an und erleichtert das Entleeren, es ist wirksam bei Oberbauchbeschwerden und verringert Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen. Auch die Kommission E sowie die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) befürworten die Anwendung von Ingwerwurzeln bei Magen-Darm-Beschwerden und bei Übelkeit.
Eine positive Wirkung wurde auch gegen die Reisekrankheit attestiert sowie gegen Übelkeit nach Operationen oder Chemotherapien. Das gilt jedoch nicht für Schwangerschaftserbrechen oder die Seekrankheit. Nach wie vor gibt es widersprüchliche Ergebnisse über die Vorbeugung chemotherapiebedingter Übelkeit, sodass kein endgültiger Schluss über die Effektivität von Ingwer als Breitband-Antiemetikum gezogen werden kann.
Blockiert Schmerzrezeptoren Ingwer lindert sogar Schmerzen. Denn der Scharfstoff Gingerol hemmt das Enzym Cyclooxigenase-2, wobei die Schmerzhemmung mit der von nichtsteroidalen Antirheumatika vergleichbar ist. Positiv beeinflusst werden auch Erkrankungen der Magenschleimhaut, beispielsweise durch die Einnahme von NSAR bei Arthrose. In einer vierwöchigen Studie empfanden die 21 Personen, die täglich 340 Milligramm (mg) einer Ingwer-Kombination erhielten, einen leicht verringerten Schmerz. Die Dyspepsie blieb zwar unverändert, doch die Spiegel der mucosatypischen Prostaglandine waren signifikant erhöht.
In der Gruppe, die 100 mg Diclofenac pro Tag erhielt, war sowohl der Schmerz als auch die Dyspepsie erhöht. Gleichzeitig nahmen die schützenden Prostaglandine ab und die Mucosa degenerierte. Bei beiden Gruppen reduzierte sich der Arthroseschmerz signifikant. Gingerol wirkt grundsätzlich schmerzlindernd, weil es den Capsaicin-Rezeptor der schmerzmeldenden Nervenfasern besetzt und die Schmerzweiterleitung abschwächt. Eine potente Arzneipflanze – dies ist der Grund, warum der Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus e.V. den Ingwer zur Heilpflanze des Jahres 2018 gewählt hat.
Ayurvedisch kochen Vor allem aber ist Ingwer die Essenz der indischen Küche. Geschält, gehackt oder gemahlen verfeinert das Gewürz jedes Currygericht. Es wird zu Marinaden oder zu lagerfähigen Pasten verarbeitet, oft gemeinsam mit Knoblauch. Im tropischen Klima verhindert Ingwerpulver das Stocken, wenn es vor dem Kochen über die Milch gestreut wird. An hohen Festtagen gibt es in Indien ein süßes, aber scharf gewürztes Ingwergetränk und Ingwer-Konfekt, das aus Zucker, Kokosnuss und Milch zubereitet wird. Und in den Tempeln wird an die Gläubigen Prasad, die gesegnete Speise, verteilt: Eine Mischung aus getrocknetem Ingwer und Zucker, mit Kardamom vermischt.
Den Artikel finden Sie auch in unserem Sonderheft „Phytotherapie und alternative Heilmethoden“ ab Seite 16.
Dr. rer. nat. Christine Reinecke, Diplom-Biologin