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Repetitorium

ERKRANKUNGEN DER SCHILDDRÜSE – TEIL 2

In der Apothekenberatung sollte das komplexe Krankheitsgeschehen bei Schilddrüsenerkrankungen – und mögliche Auswirkungen auf die Lebensqualität – angesprochen werden. Hier erhalten Sie einen Überblick.

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Erkrankungen der Schilddrüse sind durch Veränderung der normalen Schilddrüsengröße, Gewebeveränderungen und/ oder Funktionsstörungen charakterisiert. Im Folgenden soll eine Einteilung wesentlicher Schilddrüsenerkrankungen nach Gewebeveränderungen, aber auch nach Funktionsstörungen vorgenommen werden, da Gewebeveränderungen auch mit Funktionsstörungen einhergehen können und somit zwangsläufig Überlappungen existieren. Auch autoimmune Verläufe werden angesprochen.

Das Struma oder „der Kropf” Der Begriff „Struma” beschreibt eine sichtbare, tastbare oder mithilfe bildgebender Verfahren erkennbare Vergrößerung der Schilddrüse. Häufigste Ursache ist im Jodmangelgebiet Deutschland eine zu geringe Aufnahme mit der Nahrung (Jodmangelstruma). Der tägliche Jodbedarf eines Erwachsenen beträgt 180 bis 200 Mikrogramm (μg), die tatsächliche Aufnahme trotz mittlerweile verwendetem Jodsalz und jodierten Fertignahrungsmitteln liegt bei etwa 110 bis 120 μg pro Tag.

Da die Schilddrüse das Spurenelement Jod benötigt, um ihre jodhaltigen Hormone Levothyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) bilden zu können, versucht sie zunächst mit dem geringeren Angebot auszukommen, indem sie ihre jodverarbeitenden Zellbestandteile aufbaut. Es werden Wachstumsfaktoren produziert, welche die Thyreozyten zu Vermehrung und Vergrößerung anregen. Hinzu kommt eine vermehrte Stimulation durch Thyreoidea stimulierendes Hormon (TSH) über den Rückkoppelungsregelkreis. Das Zellvolumen nimmt zu, die Schilddrüse schwillt an (Struma diffusa), häufig mit zusätzlicher Knotenbildung (Struma nodosa). Die Stoffwechsellage ist euthyreot, funktioniert also normal, solange keine Autonomie vorliegt.

Bei einer Knotenbildung können diese mithilfe eines Szintigramms untersucht werden. „Heiße Knoten” speichern das verabreichte Radionuklid stärker als die Umgebung. Die Schilddrüse kann bei Jodangebot hier unkontrolliert Hormone bilden und ausschütten. Es kommt zum Hormonüberschuss und somit zu den körperlichen Erscheinungen einer Schilddrüsenüberfunktion. Da diese Knoten sich „selbstständig gemacht” haben und unabhängig vom eigentlichen Bedarf des Körpers aktiv sind, werden sie autonome Adenome genannt.

„Kalte Knoten” sind hingegen funktionslose, inaktive Gewebsveränderungen. Hierunter können sich verschiedene Krankheitsprozesse verbergen, etwa Zysten (Struma aufgrund Zystenbildung), degenerative Veränderungen sowie gutartige und bösartige Tumoren. Nur in ein bis fünf Prozent der Fälle handelt es sich um ein Karzinom. Auch möglich: Strumen aufgrund Hormonresistenz oder Immunthyreopathien.

Therapie: Bei nur geringer Schilddrüsenvergrößerung hat sich die medikamentöse Kombination von Jodid und Levothyroxin bewährt. Das Prinzip ist: Ausgleich des Jodmangels durch zusätzliche Jodgabe und/oder Schilddrüsenhormon, um das erkrankte Organ zu entlasten. Ansonsten besteht bei Komplikationen, Therapieversagen oder Rezidiven, also Rückfällen, die Möglichkeit einer Radiojodtherapie. Dabei zerstört radioaktives Jod das wuchernde Gewebe. Vor allem, wenn es zu

  • Atembeschwerden kommt, da die vergrößerte Schilddrüse auf die Luftröhre drückt, dadurch Probleme mit der Sauerstoffversorgung auftauchen und Blutgefäße nicht mitwachsen,
  • das Druckgefühl unerträglich ist oder
  • Karzinomverdacht besteht,

sind Operationen häufig.

Entzündungen Schilddrüsenentzündungen (Thyreoitiden) unterscheiden sich in Entstehungsweise, Symptomatik, Verlauf, aber auch im feingeweblichen, also histologischen Befund deutlich. Für ihre Entstehung können einerseits allgemeine Entzündungsmechanismen (Leukozyten, Lymphozyten) oder komplizierte autoimmunologische Prozesse verantwortlich sein. Die meisten Schilddrüsenentzündungen zeichnen sich durch einen schubweisen Verlauf aus. Akute Entzündungen heilen häufig folgenlos ab, chronische Entzündungen bewirken langfristig einen Untergang des Schilddrüsengewebes, sodass ein Mangel an Schilddrüsenhormonen entsteht.

Die häufigsten Schilddrüsenentzündungen sind die akut bis subakut verlaufende Thyreoiditis De Quervain, benannt nach ihrem Erstbeschreiber, dem Schweitzer Arzt Fritz de Quervain, und die chronische, in Schüben wiederkehrende Hashimoto-Thyreoiditis.

Die subakute Thyreoiditis De Quervain tritt typischerweise im Gefolge einer Virusinfektion auf, ist häufig schmerzhaft, aber selbstlimitierend. Die Beschwerden, meist einseitige lokale Schmerzen mit Ausstrahlung zum Ohr, bisweilen Rücken- und Gliederschmerzen, erhöhte Temperatur, hohes Krankheitsgefühl, schnelle Erschöpfung, geringe Belastbarkeit, verschwinden bei den meisten Betroffenen von selbst innerhalb eines Jahres. Vor allem Frauen zwischen der dritten und fünften Lebensdekade trifft es.

Therapie: Unter Gabe von nicht-steroidalen Antiphlogistika (Paracetamol, Acetylsalicylsäure, Diclofenac), bei schweren Verläufen auch Glukokortikoiden, heilt die Erkrankung im Allgemeinen folgenlos aus. Beratungstipp für einen möglichen Zusatzverkauf: Im akuten Entzündungsfall können Kühlkompressen das Gewebe zusätzlich gut kühlen und dadurch Entzündung und Schmerzen lindern. Selten ist eine akute bakterielle Thyreoiditis, die mit entsprechenden Breitsprektrumantibiotika zu behandeln ist.

Ein weiterer Grund für eine Schilddrüsenentzündung kann eine Bestrahlung der Halsregion sein (Strahlenthyreoiditis). Schließlich gibt es noch eine sehr seltene chronische Entzündung mit starker Bindegewebsvermehrung in den umliegenden Weichteilen des Halses, die zu einem „eisenharten Struma” mit letztlich kompletter Schilddrüsengewebszerstörung führt: die Riedel-Thyreoiditis (1896 von Bernhard Riedel erstmals beschrieben). Dass die Ursache auf eine Autoimmunerkrankung zurückgeht, wird nicht ausgeschlossen, ist aber keineswegs gesichert. Die Behandlung erfolgt chirurgisch, Glukokortikoide können Symptome lindern und die Gewebewucherung verzögern.

ZUNEHMENDES ALTER, ZUNEHMENDE STÖRUNGEN
Mit zunehmendem Alter - Untersuchungen sprechen von "nach dem 50. Lebensjahr" – schrumpft die Schilddrüse mit allmählichem fibrotisch-bindegewebigem Umbau und Atrophie (Verkümmerung). Jodaufnahme und Hormonproduktion sind reduziert. Andererseits entsteht im Alter häufiger eine Vergrößerung durch Knotenbildung (Struma, Kropf). Auch Funktionsstörungen sind häufiger, vor allem bei Frauen. Schilddrüsenkarzinome im Alter haben eine eher ungünstige Prognose. Da bei älteren Patienten sich die Symptomatik der Schilddrüsenerkrankungen verwischt, oft sogar untypisch wird, fällt das Erkennen schwerer.

Funktionsstörung Hypothyreose: alles verlangsamt Unter einer Schilddrüsenunterfunktion wird die ungenügende Bildung beziehungsweise Freisetzung oder – selten – ungenügende Wirkung von Schilddrüsenhormonen verstanden. Die auslösenden Ursachen sind vielfältig, können auf Ebene der Schilddrüse (primäre Hypothyreose), der Hypophyse (sekundäre Hypothyreose) oder des Hypothalamus (tertiäre Hypothyreose) angesiedelt, angeboren oder erworben sein.

Als häufigste Ursachen lassen sich allerdings die operative Entfernung der Schilddrüse, Jodmangel sowie eine chronische, immunologisch bedingte Entzündung, die Autoimmunthyreoiditis (AIT), vielfach Hashimoto-Thyreoiditis genannt, ausmachen. Entwicklungsdefizite mit debilem Ausmaß (geistige Ausfallserscheinungen), früher häufig als „Kretinismus” bezeichnet, treten heute dank direktem Neugeborenem-Screening auf Stoffwechselstörungen mit TSH-Wert-Messung quasi nicht mehr auf.

Symptomatisch gemeinsam ist allen Hypothyreosen: Die Betroffenen leiden an Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, depressiver Verstimmung, aufgrund des erniedrigten Grundumsatzes unter erniedrigter Körpertemperatur, Kälteempfinden, Übergewicht oder zumindest Gewichtszunahme, langsamem Pulsschlag und Obstipation. Die trockene, blasse Haut kann sich im Vollbild der Erwachsenenhypothyreose zu einer eigentümlichen Verdickung und Schwellung der Haut infolge Einlagerung von Glykosaminoglykanen entwickeln, was als Myxödem bezeichnet wird. Behandelt wird eine Hypothyreose primär durch lebenslängliche Substitution mit Schilddrüsenhormonen, insbesondere mit L-Thyroxin.

Funktionsstörung Hyperthyreose: alles gesteigert Bei der Schilddrüsenüberfunktion ist die Ausschüttung der Schilddrüsenhormone im Organismus gesteigert. Dies beruht auf verschiedenen krankhaften Mechanismen, deren Unterscheidung für die Therapie aber sehr bedeutend ist. So handelt es sich zwar vielfach um eine Autoimmunerkrankung (Morbus Basedow, Hashimoto-Thyreoiditis im Anfangsstadium) oder eine funktionelle Schilddrüsenautonomie. Es kann sich aber auch um eine Schilddrüsenentzündung (Subakute Thyreoiditis de Quervain, Post-partum-Thyreoiditis, Strahlenthyreoiditis) handeln, jodinduziert sein beziehungsweise ausgelöst werden durch eine erhöhte externe Zufuhr von Schilddrüsenhormonen.

Findet die Funktionsstörung auf Ebene der Schilddrüse selbst statt, wird von primärer Hyperthyreose gesprochen, ist sie auf Ebene der Hypophyse angesiedelt, von sekundärer Hyperthyreose. Die Schilddrüsenautonomie ist eine Verselbständigung von Teilen des Schilddrüsengewebes vom thyreotropen Regelkreis (Hypothalamus – Hypophyse – Schilddrüse), sodass die Schilddrüsenhormonproduktion nicht bedarfsgerecht stattfindet. Autonome Knoten sind in Deutschland für etwa 50 Prozent der Schilddrüsenüberfunktionen verantwortlich.

Gemeinsam ist allen Schilddrüsenüberfunktionen: Der Körper befindet sich im Dauerstress und es kommt zu einer Dauerstimulation sämtlicher Organsysteme. Die Betroffenen sind häufig unruhig, leicht gereizt, Grundumsatz, Körpertemperatur, Herzzeitvolumen und Herzfrequenz (Puls) sind erhöht, sie leiden unter Haarausfall, Schweißneigung, gehäuften Darmentleerungen, Kraftlosigkeit und trotz guten Appetits kommt es zur Gewichtsabnahme.

Stärkste Form der Hyperthyreose ist die thyreotoxische Krise, die potenziell lebensbedrohlich sein kann. Behandelt wird häufig zunächst medikamentös durch Gabe von Thyreostatika und, um Folgeschäden wie eine koronare Herzkrankheit infolge Bluthochdrucks und schnellen Pulschlags zu vermeiden, teilweise auch durch zusätzliche Betablockergabe. Radiojodtherapie und operative Entfernung hypersekretorischen Schilddrüsengewebes sind Maßnahmen der definitiv endgültigen Beseitigung.

Autoimmunerkrankungen Die am häufigsten anzutreffenden Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse sind die Hashimoto-Thyreoiditis (chronisch-lymphozytäre Autoimmunthyreoiditis, AIT) und Morbus Basedow (Autoimmunthyreopathie, Immunhyperthyreose, IHT). Als Varianten dieser Autoimmunerkrankungen können die atrophische Thyreoiditis, als Endstadium der Hashimoto-Thyreoiditis, die Post-partum Thyreoiditis (PPT), die Silent-Thyreoiditis (subakute lymphozytäre Thyreoiditis) und die medikamentös-induzierte Thyreoiditis angesehen werden.

»In Jodmangelgebieten, wie den Alpen, gehörte der Kropf früher zum alltäglichen Erscheinungsbild.«

Beim Morbus Basedow, im englischsprachigen Raum als Graves’ Disease bekannt, zirkulieren IgG-Autoantikörper im Blut, die ähnlich wie das TSH die Schilddrüse stimulieren und zu einer latenten oder manifesten Überfunktion sowie einem Struma führen können. Neben den Symptomen der Überfunktion, ist besonders die endokrine Orbitopathie (EO) charakteristisch, die in der auffälligsten Verlaufsform durch Hervortreten der Augäpfel (Exophthalmus) leicht zu erkennen ist. Über das typische Beschwerdebild „Schilddrüsenüberfunktion mit Augenbeteiligung” hinaus kann die Diagnose mit Labor, Ultraschall und Szintigraphie weiter abgeklärt werden.

Therapie: Thyreostatika mit möglichst niedriger Erhaltungsdosis über ein bis eineinhalb Jahre, da ein Morbus Basedow spontan in Remission gehen kann. Bei Rezidiven nach einem Auslassversuch folgt eine Radioiodtherapie oder eine Operation. In der Folge müssen dann häufig Schilddrüsenhormone zugeführt werden. Sind die Augensymptome behandlungsbedürftig, können Glukokortikoidstoßtherapie, Bestrahlung oder chirurgische Eingriffe notwendig werden.

Zusatzinformationen zur Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis
Bei der Hashimoto-Thyreoiditis, aufgrund der erstmaligen Beschreibung dieses Krankheitsbildes 1912 durch den japanischen Arzt Hakaru Hashimoto so benannt, zirkulieren ebenfalls Autoantikörper, die aber im Gegensatz zum Morbus Basedow zu einer chronischen Entzündung und Infiltration des Organs durch Lymphozyten führen. Dies führt zu einer fortschreitenden Zerstörung der Schilddrüsenzellen.

Da durch den Zellzerfall bereits synthetisierte Schilddrüsenhormone freigesetzt werden, kann es im Anfangsstadium zu einer asymptomatischen Schilddrüsenüberfunktion (Synonym: Hashitoxikose) kommen. Bei Kindern und Jugendlichen liegt oft gleichzeitig ein Struma vor. Mittel bis langfristig entsteht bei den meisten betroffenen Erwachsenen eine Hypothyreose, da das Schilddrüsengewebe weitgehend zerstört und die Schilddrüse stark verkleinert, also atrophisch ist.

Frauen sind etwa sieben- bis zehnmal häufiger betroffen als Männer. Rauchen und eine hohe Jodaufnahme sollen als Risikofaktoren begünstigend wirken. Häufig wird die Erkrankung erst spät diagnostiziert oder nur zufällig entdeckt. Diagnostisch können häufig (gerade im fortgeschrittenen Stadium aber meist nicht mehr) Antikörper gegen die Thyreoidale Peroxidase (TPO) im Blut nachgewiesen werden. Therapie: Ausgleich des Hormonmangels durch exogene Zufuhr von Schilddrüsenhormon L-Thyroxin. Manchmal wird – gerade bei nachgewiesenem Selenmangel – zusätzlich die Gabe von 200 µg Selen empfohlen.

Den Artikel "Erkrankungen der Schilddrüse – Teil I" aus der April-Ausgabe finden Sie hier.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/12 ab Seite 74.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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