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Repetitorium

EPILEPSIE – TEIL 2

Die Behandlung jeder Epilepsie erfolgt individuell. Hier erfahren Sie, welche Mittel konkret eingesetzt werden. Die hauptsächlichen Maßnahmen sind eine gute Beratung und Schulung der Betroffenen und ansonsten eine sinnvolle Medikation.

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Nur in ausgewählten Fällen kann auch ein chirurgischer Eingriff Teil der Behandlung sein, insbesondere bei Medikamenten-resistenten fokalen Epilepsien. Auch verschiedene Stimulationsverfahren sind bei schwer behandelbaren Epilepsien einsetzbar.

Die Vagus-Nerv-Stimulation (Nervus vagus ist der 10. Hirnnerv) bei therapierefraktären Fällen (Pharmakoresistenz) führt zwar selten zur Anfallsfreiheit, aber häufig zur Anfallsreduktion. Durch den zudem meist einsetzenden antidepressiven Effekt profitieren zahlreiche Betroffene zusätzlich. Der Einsatz der tiefen Hirnstimulation ist als Therapieverfahren speziellen Zentren vorbehalten.

Die Entwicklung der Antiepileptika Lange Jahrhunderte galt Epilepsie als Ausdruck von Besessenheit und Dämonologie beziehungsweise als Gottesstrafe. Demzufolge kamen die abstrusesten Therapieansätze zur Anwendung. Als Begründer einer richtungsweisenden medikamentösen Epilepsiebehandlung kann der Arzt Charles Locock (1799 bis 1875) angesehen werden, der am 11. Mai 1857 über den erfolgreichen Einsatz von Kaliumbromid bei Frauen mit „hysterischer“ Epilepsie berichtete.

Daraufhin veröffentlichte der Psychiater und Neurologe Alfred Hauptmann (1881 bis 1948) fünfzehn Jahre später seine Beobachtungen über die antiepileptische Wirkung von Phenobarbital. Mit der Entdeckung von Phenytoin als Antiepileptikum wurde 1938 erstmals ein Medikament ohne sedierende Wirkung für Epilepsiepatienten verfügbar. Später folgten die in ihrer Struktur aus dem Phenytoin abgeleiteten Substanzen Trimethadion, Ethosuximid, Mesuximid. In den 1960ern kamen die Antiepileptika (AED = Anti-Epileptical Drugs) Carbamazepin und Valproat (Valproinsäure) zum Einsatz, welche noch heute als Medikamente der ersten Wahl breite Anwendung finden.

Bei der Einführung der Benzodiazepine, ebenfalls in den 1960er-Jahren, stand deren krampflösende, also antikonvulsive Wirkung zunächst nicht im Vordergrund. Medikamente, die seit 1990 zugelassen wurden, werden im Gegensatz zu den „konventionellen“ AED als „neuere“ Antiepileptika (NAED) bezeichnet. Die Kosten für NAED sind meist deutlich höher und nur in Ausnahmefällen konnte eine bessere Wirksamkeit als die der konventionellen AED nachgewiesen werden. Neben- und Wechselwirkungen sind dafür aber bei vielen NAED deutlich seltener.

Antiepileptika Antikonvulsiva sind Wirkstoffe, welche die Häufigkeit und Schwere von Anfällen bei von Betroffenen vermindern. Sie können die Krankheit zwar nicht heilen, aber die Wahrscheinlichkeit senken, dass epileptische Anfälle auftreten. Die Medikamente wirken somit als „Anfallsblocker“ (Antikonvulsiva). Behandelt wird also das Symptom, nicht die zugrunde liegende Erkrankung, wobei das Ziel ist, die Lebensqualität der Epileptiker möglichst weitgehend zu verbessern.

Im günstigsten Fall verhindern die Antiepileptika das Auftreten von epileptischen Krämpfen vollständig. Dabei sollen die Wirkstoffe eine möglichst geringe sedierende, also beruhigend-müdemachende oder gar hypnotische Wirkung besitzen.

Aktuelle Behandlungsleitlinie Schon beim ersten epileptischen Anfall sollte ein Neurologe hinzugezogen und geprüft werden, ob die Indikation zu einer medikamentösen Behandlung besteht. Nach dem ersten Anfall kann, nach mehreren Anfällen sollte auf jeden Fall eine Epilepsietherapie begonnen werden. Vorzugsweise wird zunächst mit einer antikonvulsiven Monotherapie begonnen.

Das primäre therapeutische Ziel ist die Anfallsfreiheit. Sie kann hierdurch bei etwa zwei Dritteln aller betroffenen Patienten erreicht werden. Ist die Ersttherapie nicht erfolgreich, wird zunächst auf ein anderes antikonvulsives Medikament umgestiegen. Eine Kombinationstherapie stellt erst bei Resistenz gegen eine Monotherapie eine Alternative dar. Dabei werden in der Mehrheit zwei und nur selten drei oder mehr Antikonvulsiva gemeinsam eingesetzt.

Insgesamt stehen heute mehr als 20 Wirkstoffe zur Anfallsbehandlung zur Verfügung. Seit 1992 sind in Deutschland 16 neue Wirkstoffe eingeführt worden, die Einsatz als Antiepileptika finden. Allerdings ist es für viele Wirkstoffe schwierig, Eingang in die Therapieleitlinien zu finden, da ihr zusätzlicher Nutzen gegenüber den älteren Substanzen schwer nachweisbar ist. Das britische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) empfiehlt beispielsweise neuere Mittel fast ausschließlich bei Versagen oder Unverträglichkeit der älteren Mittel sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter.

In Deutschland ist mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) seit 2011 für alle neuen Arzneimittel eine frühe Nutzenbewertung vorgeschrieben. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), die mit der Nutzenbewertung befassten Stellen, sahen bisher einen Zusatznutzen gleich für zwei der neuesten Epilepsiemedikamente – Perampanel (EU-Zulassung 2012) und Retigabin (EU-Zulassung 2011) – als nicht belegt.

Dies führte dazu, dass diese Medikamente hier zu Lande seitens der Hersteller vom Vertrieb ausgesetzt wurden. Selbst Epileptiker, die schon mit einer Zusatztherapie mit diesen Medikamenten begonnen hatten und davon profitierten, können diese seitdem nur noch unter erschwerten Bedingungen erhalten. Eine erneute Bewertung des Zusatznutzens wird in absehbarer Zeit aber erfolgen.

Wirkstoffe vor 1992: Valproinsäure, Carbamazepin, Phenytoin, Barbiturate, Benzodiazepine und Sultiam.

Neuere Wirkstoffe: Vigabatrin, Lamotrigin, Gabapentin, Felbamat, Tiagabin, Topiramat, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Pregabalin, Zonisamid, Rufinamid, Lacosamid, Stiripentol, Eslicarbazepin, Retigabin und Perampanel. In Deutschland werden derzeit für Epilepsien mit fokalem Ursprung Lamotrigin, Levetirazetam, Topiramat, Valproat, Gabapentin, Carbamazepin sowie Oxcarbazepin als Medikamente erster Wahl empfohlen. Lamotrigin und Levetirazetam sind dabei sogar bevorzugte Mittel der ersten Wahl.

»Seit 1992 sind in Deutschland 16 neue Wirkstoffe eingeführt worden, die Einsatz als Antiepileptika finden.«

Handelt es sich um eine idiopathische (genetische) Epilepsie mit fokalen Anfällen, stellen Sultiam, Valproinsäure und Carbamazepin die Medikamente der Wahl dar. Bei idiopathischen Epilepsien mit primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen wird Valproat als Medikament erster und Topiramat sowie Lamotrigin als Medikamente zweiter Wahl angegeben. Bei Persistenz der Anfälle wird abhängig davon, ob es sich um tonisch-klonische oder myoklonische Anfälle handelt, die Kombination mit verschiedenen Zweitmedikamenten empfohlen.

Bei Absencen stellen Valproat und Ethosuximid die Medikamente der Wahl dar (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Stand September 2012). Eine hochwertige Studie konnte mittlerweile sogar die hervorragende Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ethosuximid im Vergleich zu Valproat und Lamotrigin bei der Absence- Epilepsie des Schulalters zeigen.

Therapieziel Nebenwirkungs- und Interaktionsarmut Zweites relevantes Ziel bei der Epilepsiebehandlung ist, bedeutsame Neben- oder Wechselwirkungen möglichst zu vermeiden. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen spielen bei den Antikonvulsiva eine wichtige Rolle. Neben der Wirksamkeit bestimmen sie maßgeblich die Lebensqualität und somit den Therapieerfolg. Nicht selten haben Patienten mehr unter den Nebenwirkungen als unter den Symptomen der unbehandelten Krankheit zu leiden – und da sich viele ältere Antiepileptika (AEDs) weniger in ihrem Wirk- als in ihrem Nebenwirkungsprofil unterscheiden, ist Letzteres oftmals ausschlaggebend für die Medikamentenwahl.

Verständlicherweise verteilen sich Antiepileptika nicht nur im Gehirn, sondern auch in allen anderen Organen und Geweben. Die häufigsten Nebenwirkungen sind allerdings mild und dosisabhängig und betreffen das Nervensystem oder den Gastrointestinaltrakt. Lebensbedrohliche Nebenwirkungen kommen meist an Haut, Leber oder Blutzellen vor und sind zwar selten, können dafür aber oft unvorhersehbar und noch nach langer problemloser Medikamenteneinnahme auftreten.

Da nur etwa die Hälfte aller dank Medikation anfallsfreien Patienten auch nach einem geplanten Absetzen anfallsfrei bleibt, müssen etwa 60 Prozent aller Betroffenen lebenslang ein Epilepsiemedikament einnehmen. Daher sind solch negative Langzeiteffekte, die verständlicherweise in den meist nur kurzen Studien nicht berücksichtigt werden können, von großer Bedeutung.

ANTIKONVULSIVA UND PHARMAKOGENOMIK
Nachdem in der Vergangenheit Medikamente weitgehend empirisch entwickelt wurden und Erkenntnisse genetischer Untersuchungen hauptsächlich zum besseren Verständnis der Krankheitsentstehung beigetragen haben, hat sich in den letzten Jahren zunehmend die Pharmakogenomik als eigener Forschungszweig durchgesetzt. Es handelt sich dabei um eine Verknüpfung von Pharmakologie und Genetik, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Einflüsse individueller genetischer Faktoren auf die Wirkung von Arzneimitteln zu untersuchen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Individualisierung der Medizin.

Neben der Wirkung können auch Nebenwirkungen unter anderem genetisch determiniert sein und dürften sich somit durch genetische Tests vorhersagen bzw. vermeiden lassen. Ein Beispiel hierfür stellen die hepatischen Enzyme der Cytochrom P-450-Familie dar, über die ein Großteil der konventionellen, also älteren Antiepileptika (AEDs) abgebaut wird. Interindividuelle Unterschiede in der Aktivität dieser Enzyme können zu dosisabhängigen Nebenwirkungen durch zu hohe Medikamentenplasmaspiegel führen und lassen sich im Rahmen genetischer Untersuchungen ermitteln, was sie als Gegenstand prätherapeutischer Screening-Untersuchungen interessant macht.

Besonders beeinträchtigend ist die deutliche Enzyminduktion der klassischen Antiepileptika wie Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital. Diese permanente Enzyminduktion beeinflusst nicht nur den Knochenstoffwechsel (Osteoporoserisiko steigt) und die Wirkung oraler Kontrazeptiva negativ, sondern kann für die Epileptiker dann lebensbedrohlich werden, wenn andere wichtige Medikamente wie Steroide, Phenprocoumon, Zytostatika oder Immunsuppressiva eingenommen werden müssen.

Über eine Stoffwechselbeschleunigung oder – anders ausgedrückt – eine deutliche Verkürzung der Eliminationshalbwertszeit anderer Medikamente müssten teilweise kritische Wirksamkeitseinschränkungen dieser oft lebenswichtigen Medikamente in Kauf genommen werden.

Beispiel: Hinzugabe von Carbamazepin bei Phenprocoumontherapie. Phenprocoumonspiegel sinkt, Quick steigt /INR sinkt. Enzyminhibitoren wiederum verlangsamen den Abbau anderer Medikamente. Beispiel: Hinzugabe von Valproat bei Lamotrigintherapie: Lamotriginspiegel steigt deutlich. Gegen den frühzeitigen Einsatz von AEP mit enzyminduktorischer Wirkung sprechen auch neue Veröffentlichungen, die zeigen, dass die Werte von Lipiden, Homocystein und C-reaktivem Protein beim Wechsel von Enzyminduktoren zu Nicht-Enzyminduktoren abfallen. Zudem können Enzyminduktoren zu einem kritischen Vitaminmangel führen.

Die Leitlinie Epilepsie kommt demzufolge zu dem Schluss: Da zwei Drittel aller Patienten lebenslang therapiert werden müssen, sollten statt Enzyminduktoren und Enzymhemmern heute Medikamente ohne Interaktionspotenzial vorgezogen werden.

Kriterien der Medikamentenauswahl Diese richten sich nach der Art der Epilepsie, wobei Neben- und Wechselwirkungen, gerade unter dem Gesichtspunkt der meist notwendigen Dauertherapie einzubeziehen sind. Aber auch die spezifischen Patientenbedürfnisse (weitere Gesundheitsrisiken, wie Übergewicht, Komedikation oder Compliance) müssen bei der Auswahl berücksichtigt und regelmäßig genau kontrolliert werden. Sicherheit und Preis spielen heute bei der Einstellung eines Epileptikers zudem eine mitentscheidende Rolle.

In Deutschland wurden für das Jahr 2010 durchschnittliche Gesamtkosten von etwas mehr als 5300 Euro pro Epilepsiepatient ermittelt, von denen über 3000 Euro indirekte Kosten durch Erwerbsminderung darstellen. Der Anteil an Medikamentenkosten macht circa 20 Prozent der Gesamtkosten aus. Insbesondere Generika tragen heutzutage wesentlich zum Einsparpotenzial bei.

Wegen der variablen Bioverfügbarkeit und des damit verbundenen Rückfallrisikos (etwa auch Verlust der Fahrtauglichkeit) empfiehlt die Epilepsieleitlinie vor allem bei anfallsfreien Patienten vor einem Wechsel eine sorgfältige Risikoabwägung und Aufklärung durchzuführen. Fallberichte zeigen, dass eine Anfallsfreiheit durch einen Wechsel vom Original zum Generikum beendet wurden. Die Neu- und Dauereinstellung auf ein bestimmtes Generikum wird hingegen als medizinisch unproblematisch betrachtet.

Hier kommen Sie zum ersten Teil der Artikelreihe.

ZUSATZINFORMATIONEN
Eine Tabelle „Medikamente zur Anfallskontrolle“ finden Sie hier.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/14 ab Seite 90.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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