Zeit ist Wirkung: Die Chronopharmakologie bezieht den menschlichen Biorhythmus in die Wirkweise von Arzneimitteln mit ein. © Ake Ngiamsanguan / iStock / Getty Images Plus

Chronopharmakologie | Erkenntnisse

EINNAHME VON SCHILDDRÜSENHORMON AUCH ABENDS ERLAUBT?

Hepatitis-B-Impfungen wirken nachmittags am besten. Warum das so ist hängt mit der Chronopharmakologie zusammen: Arzneimittel richten sich auch nach dem Biorhythmus des Menschen.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Nachmittags kommt das Immunsystem in Fahrt und bildet viel schneller Antikörper als morgens: Logisch, dass da die Hepatitis-Impfung effektiver wirkt. Denn die Wirkung von Arzneimitteln hängt nicht nur von der Dosis, sondern auch von der Einnahmezeit ab.

Die Prozesse innerhalb des menschlichen Körpers unterliegen einem zyklischen Turnus. Zur richtigen Zeit gegeben, können Substanzen wirkungsvoller und nebenwirkungsärmer sein als zu anderen. Ein bekanntes Beispiel dafür sind Antihypertensiva wie Betablocker, Diuretika und Calciumkanalblocker: Die wirken nämlich am Tag besser als in der Nacht. Das liegt daran, dass sie während des Tages die gesteigerte Sympathikusaktivität hemmen. Ihre Wirkung kann sich deshalb tagsüber voll entfalten – nachts hingegen überwiegt sowieso der Parasympathikus und lässt Blutdruck und Puls fallen.

Richtig angewendet, kann bei passender Einnahmezeit die Wirkstoffmenge gespart werden. So zum Beispiel bei Glucocorticoiden: Die körpereigene Konzentration ist morgens zwischen sechs und acht Uhr am höchsten. Im Allgemeinen wird das Medikament morgens eingenommen. Da zu diesem Zeitpunkt der Cortisonspiegel maximal ist, wird das zugeführte Hormon weniger vom Organismus wahrgenommen als dies zu späteren Tageszeiten der Fall wäre. Bei einer phasengerechten Anwendung würden sich Wirkstoffmengen sparen und Nebenwirkungen reduzieren lassen. Genauso ist das der Fall bei Levothyroxin. Gewöhnlich wird empfohlen, die Hormone morgens nüchtern mindestens eine halbe Stunde vor dem Essen einzunehmen, da die Resorption durch Nahrung stark vermindert wird. Doch neuere Analysen zeigen, dass eine abendliche Einnahme von Levothyroxin genauso effektiv ist wie eine morgendliche Nüchterneinnahme – es sollte nur die Tatsache berücksichtigt werden, dass sie vor dem Schlafengehen mit mindestens zwei Stunden Abstand zur letzten Mahlzeit eingenommen werden.

Ebenso unterliegt die Magensäureproduktion dem circadianen Rhythmus-. Protonenpumpenhemmer (PPI) erhöhen den pH-Wert im Magen nach morgendlicher Gabe stärker als nach abendlicher Applikation, im Gegensatz zu den H2-Blockern wie Ranitidin oder Cimetidin. Daher wird eine abendliche Applikation empfohlen. Für Lansoprazol hingegen wurde eine stärkere Verminderung der Bioverfügbarkeit abends festgestellt – deshalb sollte der Wirkstoff besser täglich morgens genommen werden. Auch bei den cholesterinsenkenden Statinen spielt die Biorhythmik eine große Rolle. Da die Substanzen die HMG-CoA-Reduktase hemmen und die Expression von LDL-Rezeptoren in der Leber triggern, sollten sie abends appliziert werden (wie auch die Antiallergika aus der Gruppe der H1-Rezeptorantagonisten). Allerdings gibt es bei den Statinen substanzspezifische Unterschiede. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass bei der abendlichen Einnahme von Lovastatin und Simvastatin die LDL-Konzentration stärker gesenkt wird als bei der morgendlichen Einnahme. Beide Arzneistoffe sollten daher abends eingenommen werden. Bei Atorvastatin, das eine lange Halbwertzeit von 14 Stunden hat, waren tageszeitliche Unterschiede im Hemmeffekt auf die LDL-Konzentration nicht festzustellen – deshalb kann dieser Wirkstoff unabhängig von der Tageszeit eingenommen werden

Obwohl die Chronopharmakologie so gravierende Auswirkungen auf die Wirkweise von Arzneistoffen besitzt, ist bisher nur ein Bruchteil der vorhandenen Medikamente aus chronobiologischen Eigenschaften untersucht worden.

Alexandra Regner,
PTA/Redaktion

Quelle: Apotheke adhoc

×