Durchfall
EINE ZIEMLICH DÜNNE ANGELEGENHEIT
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Durchschnittlich ein Mal jährlich leidet jeder dritte Deutsche an Durchfall. Säuglinge und Kleinkinder sind deutlich öfter betroffen. Sie quälen sich mit einer akuten Diarrhö fast so häufig wie mit banalen Atemwegsinfektionen. Neben dünnflüssigen Stühlen verspüren die Betroffenen häufig Übelkeit und schmerzhafte Bauchkrämpfe. Auch Erbrechen und Fieber sind möglich.
Akut vs. chronisch Definitionsgemäß spricht man von einer Diarrhö bei mehr als drei ungeformten, dünnflüssigen Stuhlentleerungen am Tag. Ein akuter Durchfall ist durch einen plötzlichen Beginn und in der Regel selbstlimitierenden Verlauf gekennzeichnet. Eine chronische Diarrhö dauert länger als drei Wochen an und bedarf einer ärztlichen Abklärung.
Aber schon ein Durchfall, der länger als drei Tage besteht, ist kein Fall für die Selbstmedikation. Ebenso ist ein Arztbesuch bei Blut oder Schleim im Stuhl, kolikartigen Schmerzen, Fieber, Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung, großem Wasser- und Gewichtsverlust, nach Antibiotikaeinnahme oder bei Säuglingen und Kindern unter zwei Jahren, Schwangeren und älteren Menschen anzuraten.
Zahlreiche Auslöser Am häufigsten liegen infektiöse Durchfallerkrankungen vor, bei denen Viren oder Bakterien beziehungsweise ihre Toxine, seltener auch Parasiten, Darminfektionen auslösen. Sie führen durch eine unkontrollierte Sekretion von Wasser und Schleim aus der Darmwand zu wässrig-breiigen Stühlen. Gleichzeitig kann der Rücktransport von Wasser und Mineralstoffen in den Organismus nicht mehr aufrechterhalten werden. Auch psychischer Stress, die Einnahme von Arzneimitteln oder der Verzehr von Zuckeraustauschstoffen (z. B. Sorbit) können Stuhlkonsistenz und -frequenz verändern.
Chronischer Durchfall beruht oft auf einer Grunderkrankung. Mögliche Ursachen sind beispielsweise Stoffwechselerkrankungen (z. B. Schilddrüsenüberfunktion, Diabetes mellitus), Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. Zöliakie, Laktoseintoleranz), entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sowie das Reizdarmsyndrom.
Viral bedingt Die meisten akuten Diarrhöen werden durch Viren verursacht, vor allem im Winter überwiegen Durchfälle viralen Ursprungs. Die wichtigsten Erreger sind Noroviren, die für einen Großteil der nichtbakteriell bedingten Magen-Darm-Infektionen bei Kindern (ca. 30 Prozent) und Erwachsenen (bis zu 50 Prozent) verantwortlich sind. Sie werden über den Stuhl und das Erbrochene vom Menschen ausgeschieden und sind sehr infektiös. Nur wenige Viren reichen aus, um einen schlagartig einsetzenden Durchfall, der von heftigem Erbrechen begleitet wird, auszulösen.
Die Übertragung erfolgt fäkal-oral über Schmierinfektion und über die orale Aufnahme virushaltiger Tröpfchen, die durch das schwallartige Erbrechen entstehen. Letzteres erklärt die schnelle Ausbreitung des Virus in Gemeinschaftseinrichtungen. Hinzu kommt, dass die Viren lange auf Gegenständen und in kontaminierten Lebensmitteln überleben können. Bei Kindern gelten Rotaviren als Hauptverursacher schwerer Durchfälle, wobei besonders häufig Säuglinge und Kleinkinder im Alter von sechs Monaten bis zwei Jahren erkranken.
Laut Meldungen des Robert Koch-Institutes (RKI) betrafen 61 Prozent der Infektionen im Jahre 2009 Kinder bis fünf Jahre. Auch die hochinfektiösen Rotaviren werden durch Schmierinfektion und über kontaminiertes Wasser und Speisen übertragen und verbreiten sich rasant auf engem Raum wie beispielsweise in Kindergärten und Schulen. Die Ausprägung der Durchfallerkrankung reicht von leichten Symptomen bis schwere Formen mit lebensbedrohlichen Folgen.
Bakteriell bedingt In den Sommermonaten spielen vor allem Bakterien eine Rolle und sind die häufigsten Verursacher einer Reisediarrhö. Säuglinge und Kleinkinder sind besonders anfällig für eine Salmonellose. Sie manifestiert sich als akute Darmentzündung mit plötzlich einsetzendem Durchfall, Kopf- und Bauchschmerzen sowie Unwohlsein. Manchmal kommt es auch zu Erbrechen, häufig tritt Fieber hinzu.
Die Beschwerden werden durch mit Salmonellen verdorbene Lebensmittel ausgelöst, die sich vor allem in nicht ausreichend erhitzten Eiern beziehungsweise eihaltigen Speisen, aber auch in rohem Fleisch und nicht vollständig durchgegarten Fleischerzeugnissen finden. In seltenen Fällen nimmt die klassische Lebensmittelinfektion einen septischen Verlauf mit schwerwiegenden Komplikationen, die wiederum hauptsächlich bei Menschen über 60 Jahre auftreten. Neben Salmonellen sind die meisten Sommer- und Reisediarrhöen auf Infektionen mit Enterotoxin-bildenden Escherichia-coli-Stämmen (ETEC) zurückzuführen. Daneben werden auch Shigellen, Yersinien oder Campylobacter jejuni diagnostiziert.
ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN
Teepausen oder eine Durchfalldiät mit fettarmen Speisen gehören der Vergangenheit an. Nach erfolgreicher Rehydrierung kann wieder allmählich leichte Kost verzehrt werden. Geeignet sind komplexe Kohlenhydrate wie Brot, Nudeln-, Kartoffel- oder Reisgerichte, Salzstangen oder Gemüsesuppen. Die Speisen sollten fettarm und nicht zu scharf gewürzt sein. Bei den Getränken sind Alkohol, Kaffee oder Säfte mit hohem Fruktose-, Saccharose- oder Sorbitanteil nicht geeignet. Ideal sind Wasser und Tees.
Von ETEC sind die enterohämorrhagischen Escherichia-coli-Stämme (EHEC) zu unterscheiden, die im letzten Sommer hier zu Lande teilweise schwere Durchfallerkrankungen auslösten, die in seltenen Fällen mit einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) mit Nierenversagen, Anämie und Hämolyse einhergingen.
Antibiotika-assoziiert Gefürchtet sind zudem Durchfälle, bei denen die physiologische Darmflora aus dem Gleichgewicht gerät. Während einer Antibiotikatherapie oder auch noch Wochen danach kann die natürliche Bakterienbesiedlung im Darm verdrängt und durch andere Keime überwuchert werden. 15 bis 20 Prozent der Antibiotika-assoziierten Durchfälle werden von dem anaeroben Keim Clostridum difficile beziehungsweise dessen Toxin verursacht. Typischerweise setzen die wässrigen, übel riechenden Stühle abrupt ein und werden von Fieber und Bauchschmerzen begleitet.
Achtung Flüssigkeitsverlust Bei Säuglingen und Kleinkindern kann eine Durchfallerkrankung besonders schwer verlaufen. Je jünger das Kind ist, desto größer ist das Risiko einer raschen Dehydratation und damit einer Störung lebenswichtiger Funktionen von Herz, Nieren und Gehirn. Auch alte Menschen sind besonders gefährdet, durch starke Wasser- und Elekrolytverluste auszutrocknen.
Anzeichen einer Austrocknung sind
- dunkler werdender Urin
- geringe Urinproduktion
- Schlappheit, Müdigkeit, Apathie
- trockene Lippen, Zunge und Mundschleimhaut
- stehende Hautfalte.
Bei schweren Diarrhöen sowie bei Säuglingen, Kleinkindern und alten Menschen ist die rasche und kontinuierliche Gabe von Flüssigkeit und Elektrolyten die wichtigste Maßnahme. Die infektiöse Durchfallerkrankung selber ist in der Regel selbstlimitierend und bedarf keiner weiteren Behandlung. Selbst bei bakteriell ausgelösten Diarrhöen sind Antibiotika nur in Ausnahmefällen notwendig (z. B. bei Infektionen mit Salmonella typhi, Vibrio cholera, Clostridien difficile).
Orale Rehydratationslösungen Mittel der Wahl sind standardisierte Rehydratationslösungen (ORL). Mit ihnen werden den Zellen der Darmschleimhaut Glukose und Natrium zugeführt, wodurch nachfolgend Wasser aus dem Darmlumen in den Körper hinein diffundiert. Damit verbessert sich der Hydratationsstatus. Gleichzeitig wird der Darminhalt eingedickt und der Durchfall vermindert.
Während die von der WHO empfohlene Rezeptur zur Bekämpfung schwerer Durchfallerkrankungen wie Cholera oder Ruhr einen maximalen Natriumgehalt von 75 nmol/l vorsieht, kommen in den Industrieländern vorwiegend Glukose-Elektrolytlösungen mit einem Natriumgehalt von 45 bis 60 nmol/l zum Einsatz, da hier die Salzverluste bei den typischerweise vorkommenden viralen Durchfallerkrankungen geringer ausfallen.
Am praktischsten ist die Gabe eines Fertigpräparates, das einfach in Wasser aufgelöst wird. Es stehen unterschiedliche Geschmacksrichtungen zur Verfügung, damit auch Kinder die ORL akzeptieren. Davon sollten 30 bis 50 ml pro kg Körpergewicht in einer Stunde löffelweise getrunken werden. Ist eine orale Aufnahme ausreichender Mengen an ORL nicht möglich oder nicht in ausreichendem Maße wirksam, wird eine intravenöse Zufuhr notwendig, die ambulant oder stationär in der Klinik erfolgt.
Nicht geeignet sind traditionell empfohlene Cola-Getränke oder Säfte, da sie zu hohe Konzentrationen an Zucker, zu wenig Natrium und zum Teil kein Kalium enthalten. Auch selbsthergestellte Saft/Zucker-Salz-Wasser Mischungen sind in ihrer Zusammensetzung zu heterogen und daher nicht anzuraten.
Probiotika Bei Durchfall helfen Mikroorganismen, die Dauer zu reduzieren und die Gefahr eines größeren Wasser- und Elektrolytverlustes zu minimieren. Als Wirkmechanismus nimmt man an, dass Probiotika einen Biofilm auf dem Darmepithel bilden und es so vor invasiven pathogenen Keimen schützen. Zudem produzieren sie antibakterielle Substanzen und stimulieren das Darm-assoziierte Immunsystem. Wichtig für den Therapieerfolg sind eine hohe Dosis und ihr früher Einsatz.
»Da hormonelle Kontrazeptiva nach einer Durchfallerkrankung nicht mehr zuverlässig wirken, müssen weitere Verhütungsmaßnahmen eingesetzt werden.«
Ein großer Vorteil der Probiotika ist ihre Wirksamkeit gegen Bakterien und Viren. Ab dem Säuglingsalter setzen Ärzte beispielsweise Präparate mit Laktobazillen ein, bei Kindern ab zwei Jahren kann auch medizinische Hefe wie beispielsweise Präparate mit Saccharomyces boulardii zur Anwendung kommen. Letztere haben sich auch in der Prophylaxe von Reisedurchfällen bewährt.
Loperamid Sehr zuverlässig hemmt es die Darmbewegungen. Der Opioidantagonist ist in der Selbstmedikation zur symptomatischen Therapie einer kausalen Diarrhö unterschiedlicher Ursache für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen. Über einen Angriff an periphere Opioidrezeptoren der Darmschleimhaut normalisiert Loperamid die gesteigerte Motilität, erhöht die Resorption von Wasser und Elektrolyten durch Verlängerung der intestinalen Transitzeit und reduziert damit den Flüssigkeits- und Elektrolytverlust. Sein Einsatz ist besonders sinnvoll bei Reiseaktivitäten, die mit Durchfall unvereinbar sind (z. B. längere Bus- oder Flugreisen).
Loperamid sollte aber nur für kurze Zeit (nicht länger als zwei Tage) zum Einsatz kommen und darf nicht bei schweren Darminfektionen, die mit Fieber oder blutigem Durchfall einhergehen, eingenommen werden. Ebenso ist der Wirkstoff für Kinder unter zwei Jahren kontraindiziert.
Durchfall, der länger als drei Tage besteht, ist kein Fall für die Selbstmedikation
Uzarawurzel Ein pflanzlicher Motilitätshemmer ist die Zubereitung aus der Uzarawurzel. Sie hat sich als eine unterstützende Behandlung bei akuten, unspezifischen Durchfallerkrankungen bewährt und ist schon bei Kindern ab zwei Jahren einsetzbar. Der Extrakt normalisiert die stark verkürzte Darmpassagezeit. Dabei nimmt die Stuhlhäufigkeit ab, ohne dass die physiologischen Darmbewegungen zum Erliegen kommen.
Zusätzlich sind spasmolytische Effekte zu verzeichnen. Da die in der Uzarawurzel enthaltenen Cardenolidglykoside chemisch mit den Digitalisglykosiden verwandt sind, sollte der pflanzliche Motilitätshemmer sicherheitshalber nicht gemeinsam mit Digitalispräparaten wegen möglicher Wechselwirkungen eingenommen werden.
Adsorbentien und Adstringentien Alternativ können auch Adstringentien, also Gerbstoff-haltige Präparate (z. B. mit Tanninalbuminat), den Durchfall lindern. Sie dichten die Schleimhaut ab und hemmen so den Wassereinstrom in den Darm. Sie können in Kombination mit dem antimikrobiell wirksamen Ethacridinlactat schon bei Kindern ab fünf Jahren empfohlen werden. Adsorbentien wie medizinische Kohle sind zwar ein Klassiker, doch kritisieren Reisemediziner fehlende toxinbindende Effekte. Als problematisch wird auch das Aufsaugen von überschüssigem Wasser gesehen, da sie dadurch den Flüssigkeitsverlust verschleiern.
Tipps zur Prävention Damit es möglichst gar nicht erst zu einer Darminfektion kommt, sollten alt bewährte Hygienetipps konsequent eingehalten werden. Im häuslichen Umfeld gilt:
- Händewaschen nach jedem Toilettengang sowie vor dem Kochen und Essen
- Adäquater Umgang bei der Zubereitung von Lebensmitteln, beispielsweise Obst und Gemüse vor Verzehr waschen, verderbliche Speisen kühl lagern, rohe Eier oder Hackfleisch am Einkaufstag verarbeiten, Fleisch vollständig durchgaren, besser zu reinigende Plastikbretter Holzbrettern verwenden, Spüllappen regelmäßig bei 60 °C waschen und auswechseln.
Speziell bei Reisen in Länder mit unklarem oder niedrigem hygienischen Standard (z. B. nach Südeuropa, Lateinamerika, Südostasien oder Afrika) gilt:
- die bewährte Regel: „peel it, boil it, cook it or forget it!“ („schälen, kochen, braten oder verzichten“)
- auf aufgewärmte Speisen vom Vortag verzichten
- rohe Kost wie ungekochtes Gemüse, ungeschältes Obst, frische Salate, Meeresfrüchte oder ungebratenes Fleisch sind ebenso wie Eiswürfel, Eierspeisen oder Eis tabu
- steht kein sauberes Leitungswasser zur Verfügung, sollte nur Wasser aus versiegelten Flaschen (Mineralwasser) oder frisch abgekochtes beziehungsweise mit einem Wasseraufbereitungspräparat behandeltes Wasser verwendet werden.
Mit Impfungen vorbeugen Zur Prävention von Rotavirusinfektionen stehen zwei orale Impfstoffe zur Verfügung, die zwar nicht zu den empfohlenen Standardimpfungen der Ständigen Impfkommission zählen, aber von den pädiatrischen Fachgesellschaften für alle Säuglinge empfohlen werden. Bei Erwachsenen lässt sich mit einer oralen Cholera-Impfung effektiv eine Vielzahl von Reisedurchfällen vermeiden, da der Impfstoff eine Kreuzprotektion gegenüber ETEC aufweist.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/12 ab Seite 14.
Gode Meyer-Chlond, Apothekerin