Darreichungsformen
EINE KLEBRIGE ANGELEGENHEIT
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Pflaster sind bereits seit über 4000 Jahren im Einsatz und gehören damit zu den ältesten Therapiemöglichkeiten. Gleichzeitig zählen Pflaster auch zu den komplexesten und modernsten Darreichungsformen. Hohe Anforderungen werden sowohl an den Wirkstoff als auch an das Trägersystem gestellt. Sie bieten eine patientenfreundliche Möglichkeit der Dauermedikation, denn der Patient kann die Therapie leicht applizieren und im Notfall eigenständig unterbrechen. Durch Umgehung der Magen-Darm-Passage können Magenbeschwerden verhindert werden und der Patient muss sich an keine besondere Art der Ernährung anpassen. Pflaster bieten eine gute Möglichkeit säurelabile Stoffe in den Körper einzuschleusen, die eventuell auch den First-Pass-Effekt nicht überstehen würden. Leider kann von diesen Vorteilen erst dann profitiert werden, wenn die galenischen Hürden überwunden sind.
Wirkstoffe, die in der Therapie nur eine lokale Wirkung erzielen sollen, reizen meist nur bestimmte oberflächliche Rezeptoren oder beseitigen unerwünschte Hautveränderungen. Ihre chemische Struktur spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wirkstoffe, die auf Dauer eine systemische Wirkung erzielen sollen, müssen schon höhere Hürden überwinden. Zum einen müssen sie in der Lage sein die Hautbarriere durchdringen zu können. Potenzielle Wirkstoffe sollten dafür eine hohe Lipophilie aufweisen und eine Größe von 500 Dalton nicht überschreiten. Zusätzlich müssen die Wirkstoffe schon in geringen Konzentrationen hoch wirksam sein. Nur wenige Substanzen erfüllen diese Anforderungen und haben sich einen festen Platz in der transdermalen Langzeittherapie gesichert. Um diese Wirkstoffe gleichmäßig unter die Haut zu bekommen, stehen verschiedene galenische Methoden zur Verfügung.
Membran oder Matrix Eine Variante bilden die Membransysteme. Auch als Reservoirsystem bezeichnet, bildet ein Arzneistoffreservoir den Kern des Pflasters. In diesem Reservoir liegt der Arzneistoff gelöst oder suspendiert in einem flüssigen oder festen Medium vor. Zur Außenseite hin befindet sich eine undurchlässige Folie. Der so entstehende Okklusionseffekt unterstützt die Wirkstoffpenetration durch die Aufweichung der Hautbarriere. Zur Haut hin befindet sich eine spezielle Membran, die die Abgabe des Wirkstoffs an die Haut regelt. Je nachdem welche Materialien für diese Membran genutzt werden, können verschiedene Abgabegeschwindigkeiten erzielt und so die Dosiergenauigkeit gesteuert werden.
Wird diese Membran allerdings beschädigt oder sogar zerstört besteht die Gefahr des „dose-dumping“. Die gesamte Wirkstoffmenge trifft unkontrolliert auf die oberste Hautschicht. Eine mitunter lebensgefährliche Überdosierung kann die Folge sein. Deshalb dürfen Membransysteme nicht zerschnitten werden. Eine zweite Variante bilden die matrixgesteuerten Systeme. Der Kern besteht aus einer Gelmatrix, in der der Wirkstoff fein verteilt ist. Nach dem Aufkleben diffundiert der Wirkstoff durch die Matrix in Richtung Haut. Der Vorteil: Auch bei einer mechanischen Zerstörung der Matrix kommt es nicht zum dose-dumping.
BERATUNGSHINWEISE
+ Membransysteme dürfen nicht zerschnitten werden. Gefahr des „dose-dumping“
+ Der Austausch von matrixgesteuerten Fentanylpflastern kann durch pharmazeutische Bedenken auf Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes unterbunden werden.
+ Die überwiegend eingesetzten Polyacrylatpflaster und Silikonkleber benötigen keine speziellen Lagerungsbedingungen.
Trotzdem sollte Kunden davon abgeraten werden die Pflaster eigenmächtig zu zerschneiden. Auf diese Weise wird die ärztliche Therapie stark gefährdet. Abgesehen von der Patientensicherheit begünstigen die im Vergleich zu anderen transdermalen Systemen dünneren Pflaster einen höheren Tragekomfort. Auch die Industrie profitiert von dieser Art Pflaster. Die Herstellung zeigt sich wenig störanfällig. Durch den Einsatz verschiedener Subtypen können matrixgesteuerte Pflaster an verschiedene Bedürfnisse der Wirkstoffe angepasst werden. So gibt es Pflaster, die nur aus einer wirkstoffhaltigen Klebematrix bestehen, Matrixsysteme mit zusätzlichen Polsterschichten oder nicht klebende Matrixsysteme, die durch einen sie umschließenden Klebering auf der Haut angebracht werden.
Ein weiterer Subtyp ist das mehrschichtige Matrixsystem. Dieser ist darauf ausgelegt den wichtigsten Nachteil der Matrixpflaster zu kompensieren. Es penetriert nämlich niemals der gesamte Wirkstoffanteil in die Haut. Wenn circa 30 Prozent der Ausgangsdosis erreicht sind, nimmt die Penetrationsrate ab. Der Arzneistoffspiegel im Körper sinkt. Diese Problematik wird in der Produktion durch die Einarbeitung zusätzlichen Wirkstoffs kompensiert. Was in der Regel für den Apothekenalltag ohne Relevanz zu sein scheint, kann bei Wirkstoffen zu Problemen führen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Rabattverträge geben beispielsweise den Austausch fentanylhaltiger, matrixgesteuerter Pflaster vor.
Die Problematik in der Offizin besteht darin, dass die verschiedenen Firmen zwar die gleiche Wirkstoffmenge pro Zeiteinheit anbieten. Uneinsehbar ist aber die Gesamtmenge an Fentanyl, die verarbeitet wurde, um die Freisetzungsrate für den gewünschten Zeitraum gleichmäßig zu halten. So kann es sein, dass durch einen Firmenaustausch unbeabsichtigt mehr Fentanyl an den Kunden abgegeben wird, als auf dem Rezept verordnet wurde. In diesem Fall können auf Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes pharmazeutische Bedenken geltend gemacht werden.
Mikroreservoirsysteme als dritte Variante der transdermalen Systeme verbinden die Eigenschaften der Membran- und matrixgesteuerten Systeme. Mikroarzneimittelreservoire werden in eine feste Matrix eingebettet. Diese Reservoire diffundieren als Einheit durch die Matrix zur Haut und penetrieren dort. Potenziell können so Pflaster produziert werden, die mit einer einzigen Applikation verschiedene Wirkstoffspiegel erzeugen oder sogar verschiedene Wirkstoffe in den Körper einbringen.
Anwendungshinweise Alle galenischen Errungenschaften sind hinfällig, wenn der Patient nicht ausreichend aufgeklärt wird. Auch bei Pflastern sollten Hinweise gegeben werden. So ist zu klären, ob eine bestimmte Hautstelle vorgegeben wird. Gute Stellen bilden die obere Rückenpartie oder die Außenseite der Oberarme. Zu beachten ist die Unversehrtheit der ausgewählten Stelle. Vor der Applikation reicht es aus, wenn die Stelle mit Wasser abgewaschen wurde. Seife oder andere Reinigungsprodukte sollen nicht verwendet werden. Nach der Applikation sollte der Patient das Pflaster für circa 30 Sekunden leicht andrücken, um ein Verrutschen zu vermeiden.
Dann werden die Hände gewaschen. Ebenfalls sollte erwähnt werden, dass übermäßige Hitze durch Saunabesuche, Wärmflaschen oder Sonnenbaden zu vermeiden ist. Durch die Hitze kann der Wirkstoff schneller aufgenommen werden. Schwimmen und Duschen sind in der Regel unproblematisch. Bei einem Pflasterwechsel sollte immer auch die Stelle gewechselt werden. Sieben Tage reichen in der Regel aus, bis sich die genutzten Stellen wieder erholt haben und neu genutzt werden können.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2021 ab Seite 130.
Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde