Harn
EIN GANZ BESONDERER SAFT?
Seite 1/1 4 Minuten
Der Harn besteht zu 95 Prozent aus Wasser. Die restlichen 5 Prozent setzen sich hauptsächlich aus überschüssigen Elektrolyten, Stoffwechselabbauprodukten und Giftstoffen wie etwa Medikamentenrückständen zusammen. Urin hat also eine reinigende, entgiftende Funktion. Er ist das Endprodukt des harnverarbeitenden Systems, das aus Nieren, Harnleitern, -blase und -röhre besteht.
Die Harnproduktion und -ausscheidung wird als Diurese bezeichnet und beginnt in den Nieren. Dort filtern die Nierenkörperchen Flüssigkeit und gelöste Stoffe mit einem Durchmesser von weniger als 4,4 Nanometer aus dem Blut. Dabei entstehen täglich bis zu 180 Liter Primärharn. Er enthält neben den toxischen Stoffwechselendprodukten wie Harnstoff, Harnsäure oder Kreatinin auch noch lebenswichtige Baustoffe wie Aminosäuren, Glukose und Elektrolyte. Diese wertvollen Substanzen sowie 99 Prozent der Flüssigkeit werden in den Nieren resorbiert, also dem Organismus wieder zugeführt.
Die aufgenommene Flüssigkeit dient dabei unter anderem dazu, langfristig den Blutdruck zu regulieren. Bei hohem arteriellen Druck wird weniger Flüssigkeit aus dem Primärharn resorbiert, sodass der Blutdruck sinkt. Hingegen regt bei niedrigem Blutdruck ein Botenstoff die Nieren dazu an, mehr Flüssigkeit zu resorbieren, wodurch der Blutdruck steigt. Im Durchschnitt produziert ein gesunder Körper täglich etwa eineinhalb bis zwei Liter Endharn, die nach und nach als Urin ausgeschieden werden.
Mal mehr, mal weniger Der Endharn wird in der Harnblase gesammelt. Das Gefühl, Wasser lassen zu müssen, stellt sich bei den meisten Menschen erst ein, wenn die Harnblase etwa einen halben Liter Urin enthält. Wie schnell das passiert, hängt von vielen Faktoren ab. Eine große Rolle spielt die Ernährung: Je salzärmer man isst, desto häufiger muss man Wasser lassen. Und wer viel trinkt, produziert natürlich auch mehr Urin.
Besonders Kaffee und Alkohol sind harntreibend, da sie die Wirkung des Antidiuretischen Hormons hemmen. Ein gesunder Mensch kann den Reflex, Wasser zu lassen, willentlich auslösen und somit auch über längere Zeit Urin zurückhalten, meist noch bis zu einer Füllmenge von einem Liter.
Geruch Riecht der Urin süßlich und ein wenig wie Nagellackentferner (Aceton), kann das ein Hinweis auf Diabetes sein. Harmlos hingegen ist der typische Geruch nach dem Genuss von Spargel. Er entsteht durch ein Enzym, das die Asparaginsäure im Spargel in schwefelhaltige Substanzen aufspaltet.
Farbe Eine Rotfärbung des Harns kann durch Blut entstehen, zum Beispiel bei Harnwegsinfektionen – oder auch ganz banal durch Menstruationsblut. Es können aber auch schwerere Erkrankungen wie Tumore dahinter stecken. Eine harmlose Rotfärbung löst hingegen der übermäßige Genuss Roter Bete aus. Ist der Urin braun-grünlich, kann das auf Lebererkrankungen wie etwa eine Gelbsucht hinweisen. Fast schwarzer Urin kann seine Ursache in einem Pigmentzellentumor (Melanom) haben.
Teststreifen geben Aufschluss Die Zusammensetzung des Urins kann leicht mit Hilfe eines Teststreifens ermittelt werden. Auf ihm sind verschiedene Indikatoren aufgebracht. Der Streifen wird kurz in den Urin getaucht, wonach seine Zusammensetzung anschließend am Farbumschlag der verschiedenen Reagenzzonen ablesbar ist. Ein Teststreifen liefert zum Beispiel Aufschluss über Schäden an Nieren und Harnwegen (erhöhtes Eiweiß), entzündliche Prozesse oder bakterielle Harnwegsinfektionen (erhöhter Nitrit- und Leukozytenwert).
Wichtige Hinweise
Ein gesunder, frischer Urin riecht würzig und hat eine satt- bis blassgelbe Farbe. Sie entsteht durch Gallenfarbstoffe, Endprodukte des Hämoglobinabbaus. Da Urin „Endstation“ vieler Stoffwechselvorgänge ist, lässt sich an ihm oft ablesen, ob sie normal oder gestört ablaufen. Zudem werden viele Stoffe, deren Blutkonzentration zu hoch ist, über den Urin ausgeschieden. Ungleichgewichte oder Erkrankungen zeigen sich daher häufig bereits in einer abnormen Färbung oder einem auffallenden Geruch des Urins. Betrachten, Riechen und sogar Schmecken des Urins wurden bereits in der Antike zur Diagnose von Krankheiten eingesetzt. Heute können Farbe und Geruch immer noch frühzeitig Hinweise auf Krankheiten geben.
Ein Zuviel an Urobilinogen, einem Abbauprodukt des Blutfarbstoffs, kann seine Ursache in Leber-, Darm- oder Herzerkrankungen haben. Ein Diabetes mellitus kann vorliegen, wenn im Urin zu viel Glucose oder Ketone vorhanden sind. Urintests mithilfe von Teststreifen kann man auch zuhause durchführen, es gibt sie in der Apotheke. Sinnvoll ist das zur Diabeteskontrolle, aber auch für Frauen, die häufig unter Harnwegsinfektionen und Blasenentzündungen leiden. Sie können, wenn sie meinen, erste Symptome zu spüren, mit einem solchen Test schnell Klarheit erhalten.
Doch Urinteststreifen haben auch Grenzen, denn sie liefern nur einen Hinweis auf eine Häufung bestimmter Substanzen. Ob die Menge tatsächlich in bedenklicher Höhe vorliegt, muss ein quantitativer Labortest zeigen.
Der bekannteste Urinselbsttest ist der Schwangerschaftstest. Seit 1980 lässt sich damit eine Schwangerschaft bereits zwei Wochen nach der Befruchtung mit 95-prozentiger Sicherheit nachweisen – und zwar über das Hormon hCG (humanes Choriongonadotropin), das bei werdenden Müttern in höherer Konzentration im Morgenurin vorliegt.
Urin als Heilmittel 1993 erregte eine Radiosendung des WDR große Aufmerksamkeit: Carmen Thomas sprach in „Hallo Ü-Wagen“ über die heilsame Wirkung von Urin. Täglich ein Glas des „Mittelstrahls“ sollte gegen alle möglichen, auch schweren Erkrankungen, Wunder wirken. Seitdem gibt es viele Anhänger der Eigenurintherapie. Ob getrunken, äußerlich angewendet oder gespritzt: Eigenurin soll Ekzeme, Akne, Warzen, Autoimmunerkrankungen und sogar Arthrose positiv beeinflussen können.
Die Idee geht auf den Briten John. A. Armstrong zurück, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angab, seine Tuberkulose durch Fasten und Urintrinken geheilt zu haben. Anhänger der Therapie behaupten häufig, es handelt sich um uraltes Wissen, das sich in vielen Heilkünsten wiederfinde. Dies ist jedoch nicht der Fall. In der Leitlinie für Naturheilkunde wird sie ebenfalls nicht erwähnt. Wissenschaftliche Beweise für Heilungserfolge gibt es nicht und die Therapie ist als alternativmedizinische Methode nicht anerkannt.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/13 ab Seite 110.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist